Dieser Artikel ist Teil der Reihe Künstliche Intelligenz und Postwachstum.
Angesichts der aktuellen Polykrise stellt sich die Frage, ob industrielle Gesellschaften an Postwachstum als Befreiung vom ökonomischen Wachstumszwang, oder gar an Degrowth als radikale Abkehr vom Kapitalismus, umorientiert werden müssen. In dieser Debatte spielt Technik als zentraler Wachstumstreiber seit der industriellen Revolution eine prominente Rolle. Die Frage ist: Welche Form von Technik braucht eine zukunftsfähige Gesellschaft? Ivan Illich (1975) hat mit dem Begriff der Konvivialität einen wichtigen Vorschlag gemacht.
Konviviale Technikgestaltung als Degrowth-Strategie
Konviviale Werkzeuge sind welche, die jedem Menschen ermöglichen, durch ihre Nutzung das eigene Leben möglichst selbstbestimmt zu führen und die kollektive Umwelt durch Gegenstände, Fürsorge und Beziehungen mitzugestalten. Im Gegensatz dazu sind industrielle Werkzeuge solche, die weitgehend fremdbestimmt benutzt werden und die Macht über ihre konkrete Wirkung an ihre Hersteller*innen geben. Industrielle Gesellschaften sind aber an Wachstum in der Form von Kapitalakkumulation in den Händen von wenigen orientiert. Dementsprechend wird Technik selten konvivial gestaltet.
Warum braucht Degrowth eine konviviale Technik? Technikgestaltung ist zugleich Ausdruck und Faktor der Entwicklung einer Gesellschaft. Eine Transformation, die auf eine Befreiung vom Wachstumszwang und eine selbstbestimmte, gerechte Lebensweise abzielt, muss ihre Prinzipien in der Technikgestaltung ihrer Zeit verankern. Um Konvivialität als Transformationsperspektive und ihre Prinzipien konkreter zu formulieren, hat Andrea Vetter (2023) eine „Matrix für konviviale Technik“ vorgeschlagen. Damit kann dargestellt werden, wie sich die Schritte des Lebenszyklus eines Werkzeuges (von Fertigung zur Nutzung, mit einem Blick auf nötige Materialien und Infrastruktur) auf verschiedene Dimensionen auswirken. Diese Dimensionen sind Verbundenheit, Zugänglichkeit, Anpassungsfähigkeit und Bio-Interaktivität als Parameter des Zusammenlebens, ergänzt durch Angemessenheit als Bewertung des Verhältnisses von Mitteln zu Zwecken.
Wer eine konviviale Umgestaltung der Technik als Strategie folgen will, muss sich mit digitaler Technik auseinandersetzen. Dazu wurde aus einer Degrowth-Perspektive bisher wenig gearbeitet (Guenot/Vetter 2022), und spezifischer noch zum Thema KI gibt es sehr wenige Analysen (Meyers 2023). Wie konvivial ist KI aktuell und welche Entwicklungen sind denkbar?
Das Potenzial real existierender KI
In den letzten Jahren ist KI zum Hauptversprechen der Digitalisierung aufgestiegen und ihre Entwicklung wurde massiv beschleunigt. Die Begeisterung für neue Werkzeuge in spezifischen Sektoren wie automatisierte Übersetzung oder Bildbearbeitung war nur der Auftakt. Mit generativer KI und der Einführung von Werkzeugen wie ChatGPT wird jetzt im Diskurs das Potenzial von KI als allumfassend dargestellt. Von Produktivitätssteigerungen zur vollen Befreiung von der Arbeit oder von Dematerialisierung zur Bewältigung der Klimakatastrophe, der Glaube an die Fähigkeiten der KI kennt kaum Grenzen. Diese Erzählung wird aber nie grundlegend belegt und beruht auf der Annahme, dass Maschinen bessere Entscheidungen als Menschen treffen können. Sie ist zudem tiefgreifend vom Solutionismus (Morozow 2013) geprägt und behauptet, dass alle Probleme der aktuellen Technik durch mehr Innovationen (?) gelöst werden können.
Ein Blick auf die Lage der globalen Wirtschaft bestätigt, dass KI eine prominente Rolle übernommen hat und ihre Entwicklung den Ausbau digitaler Infrastrukturen befeuert. Dementsprechend sollte ihr Potenzial in der Einleitung einer neuen Phase der Kapitalismus realisiert gesehen werden. Wenige Techkonzerne stehen im Wettbewerb um die Kontrolle zukünftiger Märkte. Macht und Reichtum werden sich in noch weniger Händen als zuvor konzentrieren. Die Entwicklung von KI und den erforderlichen Rechenzentren wird sogar zur geopolitischen Notwendigkeit, mit brutalen Konsequenzen. So wächst zum Beispiel die Rolle der Gewinnung von seltenen Erden in Konflikten, von Drohungen gegen Kanada und Grönland bis hin zu Kriegen im Kongo und in der Ukraine.
Die negativen Auswirkungen der beschleunigten Entwicklung von KI sind vielfältig (Crawford 2024) und eine Bewertung der eingeführten Werkzeuge anhand der Dimensionen konvivialer Technik fällt entsprechend schlecht aus. KI fordert Konkurrenz unter dequalifizierten Arbeiter*innen, schafft oder reproduziert soziale Hierarchien durch ihre Nutzung und wird in zentralisierten Verfahren von wenigen Techkonzernen hergestellt. Sie scheint anpassungsfähig zu sein und dennoch entmachtet sie ihre Nutzer*innen, die sich als Datenproduzent*innen an ihre Algorithmen anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie verursacht massive ökologische Zerstörungen durch ihren Energieverbrauch und ihr Bedarf an Rohstoffen und Wasser. Die real existierende KI ist eine technische und gesellschaftliche Infrastruktur, die keine angemessene Lösung für die Probleme der Menschen bietet, sondern nur eine Flucht nach vorne im Technikwahn bedeutet.
Ist eine andere KI möglich?
Um zu untersuchen, ob eine andere, konviviale KI denkbar ist, braucht es zunächst eine Begriffsklärung. Im Gegensatz zum schwammigen Begriff der „künstlichen Intelligenz“, der auf das Ziel der Schaffung denkender Maschinen ausgerichtet ist, hilft der Begriff des „maschinellen Lernens“ (ML) bei der Analyse dieser Form von Technik. Die aktuell relevanten Entwicklungen der KI beruhen auf ML und damit auf statistischen Algorithmen, die riesige Datensätze in einer Trainingsphase verarbeiten müssen, bevor sie angewendet werden können. Zwei Faktoren sind in der Gestaltung solcher digitalen Werkzeuge besonders relevant: Das Training der KI als letzter Schritt ihrer Herstellung und die Infrastruktur als Grundlage ihrer Nutzung.
Das Ausmaß der erforderlichen Datensätze und Infrastruktur, um ein KI-Modell mit Hunderten von Milliarden von Parametern für Hunderte von Millionen von täglichen Nutzer*innen anwendbar zu machen, weist auf die strukturellen Probleme des ML-Ansatzes hin. Die Entwicklung dieser Technik braucht massive Investitionen, unzählige Geräte und damit Unmengen von Rohstoffen sowie die Verarbeitung riesiger Datenmengen, die von hoch digitalisierten Gesellschaften auf wenigen Plattformen produziert werden. Ihre Nutzung erfordert danach die Instandhaltung eines globalen Netzwerks von vernetzten Servern und Geräten, um weiter Daten zu produzieren. Angesichts einer solchen schwindelerregenden Ressourcenintensität muss festgestellt werden: KI ist die als Software materialisierte Aneignung von finanziellem, materiellem und kulturellem Kapital durch Techkonzerne, die von einer immer wachsenden Datenproduktion abhängig sind.
Jenseits der sozial-ökologischen Kosten dieser Form von digitaler Technik ist die Frage der Selbstbestimmung als Kern der Konvivialität das zentrale Motiv der Argumentation gegen ML-basierte KI. Hier hilft ein weiteres Konzept, das von Illich eingeführt wurde: Techkonzerne und ihre Plattformen bauen mit KI ein „radikales Monopol“ (Illich 1975) auf. Denn sie kontrollieren nicht nur ganze Märkte, sondern schließen dabei Menschen, die ihre KI nicht nutzen wollen, aus der Gesellschaft aus. Diesem Zwang können sich Menschen nicht durch den Aufbau eigener KI-Infrastrukturen entziehen, weil diese viel zu kapitalintensiv sind. Eine solche Technik, die ihre eigene Herrschaft immer weiter verstärkt, kann nicht konvivial sein.
Wie wäre eine andere KI denkbar? Die Bewunderung dieser Technik beruht weitgehend darauf, dass sie scheint, sich genau wie Menschen an sehr unterschiedliche Aufgaben anpassen zu können. Anpassung könnte aber anders verstanden werden: Weniger als die Fähigkeit, Menschen in ihren Tätigkeiten zu ersetzen, und mehr als die Anpassung eines Werkzeugs an die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen. Denn ein Hammer, der sich an die Hand eines Menschen anpasst, ist etwas völlig anderes als eine Software, die einen Menschen zu einem Werkzeug seines Chefs umwandelt. Die Flexibilität digitaler Technik muss einer konvivialen Gesellschaft dienen anstatt nur Techkonzernen.
Begrenzung und Erweiterung der Technikvorstellung
In der herrschenden High-Tech Erzählung wird behauptet, dass digitale Technik und besonders KI die Zukunftsvorstellungen der Menschheit erweitern. Dennoch wird es in der Realität immer schwieriger, sich eine andere Zukunft vorzustellen, als die, die in techorientierten Utopien bzw. Dystopien dargestellt wird (sei es in Star Trek oder in den Träumen der Weltraumkolonisation von Elon Musk). Eine Selbstbegrenzung der Technik würde wiederum Gesellschaften ermöglichen, konvivialer zu werden und die Menschen ins Zentrum zu rücken. Eine solche Technikvorstellung, die in Low-Tech Ansätzen zu finden ist, wird aber aktuell selbst unter ökologisch bewegten Menschen durch herrschende Narrative verdrängt (Guenot/Höfner 2022).
In der Debatte um KI liegt also das Problem in den an sie formulierte Erwartungen, sich durch maschinelles Lernen über den Menschen zu heben und somit ihre Nutzung für die große Mehrheit fremdbestimmt zu halten. Diese Überhöhung ist aber Sinn und Zweck von KI. Dementsprechend sollte schon klar sein: Nein, es wird keine konviviale KI geben. Wovon es aber in der Zukunft mehr geben kann, ist konviviale Technik.
Referenzen
Crawford, Kate. 2024. Atlas der KI ? Die materielle Wahrheit hinter den neuen Datenimperien. C.H. Beck.
Guenot, Nicolas und Höfner, Anja. 2022. Kartierung der Visionen digital-ökologischer Transformation ? Eine empirische Analyse aktueller Visionen zivilgesellschaftlicher, staatlicher, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Akteure. Im Auftrag für CO:DINA.
Guenot, Nicolas und Vetter, Andrea. 2022. Digital Technologies. In Degrowth & Strategy. Mayfly Books.
Illich, Ivan. 1975. Selbstbegrenzung ? Eine politische Kritik der Technik. C.H. Beck.
Meyers, Marion. 2023. A Degrowth Perspective on Artificial Intelligence ? Analysing the Appropriateness of Machine Learning to a Degrowth Context. ETH Zürich.
Morozov, Evgeny. 2013. To Save Everything, Click Here ? The Folly of Technological Solutionism. PublicAffairs.
Vetter, Andrea. 2023. Konviviale Technik ? Empirische Technikethik für eine Postwachstumsgesellschaft. Transcript.