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Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft

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Die Abschlusstagung des DFG-Kollegs zu „Postwachstumsgesellschaften“ versammelte unter dem Titel „Great Transformation: Die Zukunft moderner Gesellschaften“ mehr als 1.500 Forscherinnen und Forscher vom 23.-27.09.2019 an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Das Spektrum der Beiträge auf der Konferenz reichte hierbei von kapitalismuskritischen Ansätzen bis hin zu Debatten, die aus der Nachhaltigkeit kommen, um Fragen nach der „Zukunft unserer Gesellschaft“ zu adressieren.

Die Session „Tätigsein und Postwachstumsgesellschaft“, die von Irmi Seidl (Eidg. Forschungsanstalt WSL, Zürich), Angelika Zahrnt (BUND, Neckargemünd) und Gerrit von Jorck (TU Berlin) organisiert wurde, widmete sich der Frage nach der „Zukunft“ aus der Perspektive der Arbeit bzw. des Tätigseins. Grundlage für die Session war der erst frisch erschienene Sammelband (Seidl, Zahrnt (2019)) aus dem drei Kapitel von den Autorinnen und Autoren in der Session vorgestellt wurden, um verschiedene Facetten des Tätigseins in einer Postwachstumsgesellschaft zu beleuchten.

Stefanie Gerold, TU Berlin, gab zum Einstieg einen Einblick in verschiedene Konzepte und Praxismodelle, die für eine Postwachstumsgesellschaft wichtige Anregungen geben können. Hierzu gehören Debatten um die Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit und damit verbunden der Erweiterung des Arbeitsbegriffs, aber auch erst einmal ungewöhnliche Ideen wie der Ansatz der Exnovation – als Gegenbegriff zur Innovation – womit die Idee verknüpft ist, dass manche Tätigkeiten vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeitszielen abgeschafft werden könnten. Damit verbunden sind auch Fragen nach der Sinnhaftigkeit verschiedener Formen von Arbeit – wobei die „Sinnhaftigkeit“ nicht notwendigerweise dem Prestige und der Bezahlung der Tätigkeiten entspricht. Grundlage für die Transformation von Arbeit in Richtung einer Tätigkeitsgesellschaft sind laut Gerold neue Formen der Organisation von Existenzsicherung und Teilhabe sowie innovative Arbeitszeitmodelle.

Linda Nierling, KIT Karlsruhe, schloss an diese Debatten mit Blick auf den Einfluss der Digitalisierung auf erweiterte Arbeit an. Es zeigt sich, dass Debatten um „digitale Arbeit“ bislang nicht mit Konzepten erweiterter Arbeit verknüpft sind. Allerdings lassen sich, so Nierling, in drei verschiedenen Bereichen, nämlich dem Arbeitsvolumen, den Arbeitszeiten und bei neuen digitalen Arbeitsformen, Verbindungen zwischen beiden Debatten aufzeigen. Zentral sei, dass die umfassenden Prozesse einer quantitativen und qualitativen Transformation des Arbeitsmarktes, die derzeit durch die Digitalisierung stattfinden, nicht in traditionellen Pfaden verbleiben sollten, sondern vielmehr im Sinne erweiterter Arbeit gestaltet werden sollten. Gerade bei Verschiebungen des Arbeitsvolumens, der Flexibilisierung von Arbeitszeiten durch digitale Technologien oder durch die Nutzung von digitalen Plattformen im Sinne der Sharing Economy sollten entstehende Freiräume und Möglichkeiten für Tätigsein ausgebaut und genutzt werden.

Gerrit von Jorck, TU Berlin, richtete den Blick abschließend auf einen zentralen Akteur auch einer Postwachstumsgesellschaft: die Unternehmen. Es wurde aufgezeigt, welche Möglichkeiten Unternehmen haben, die sozial-ökologische Transformation der Gesellschaft zu gestalten. Diese liegen, laut von Jorck, zum einen darin, dass Unternehmen nachhaltige Lebens- und Konsumweisen unterstützen können, z. B. eine Dusche für Fahrradpendler/innen oder dadurch, dass durch gegenseitige Anregungen von Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsort zum Lernort für nachhaltige Konsumpraktiken werden kann. Zum anderen können durch vielfältige zeitpolitische Instrumente Möglichkeitsräume geschaffen werden. Zu diesen gehören sowohl Modelle einer „inneren Arbeitszeitverkürzung“, z. B. Bildungsurlaub, als auch einer „äußeren Arbeitszeitverkürzung“, die z. B. das Reparieren oder Selbermachen ermöglichen. Beide Ansätze würden zu einem Übergang in eine Postwachstumsgesellschaft beitragen, für die eine Verringerung des Konsums und die Zeit bezahlter Arbeit wesentlich sind.

Im Anschluss an die Vorträge waren alle Zuhörerinnen und Zuhörer aufgefordert, ihre Perspektiven auf das Tätigsein in einer Fishbowl-Diskussion einzubringen. Die sich anschließende angeregte Diskussion spannte einen breiten Bogen, der von alternativen Ökonomien bis hin zur Bedeutung von Geld in unserer Gesellschaft reichte. Dabei war der Tenor der Diskussion immer von den vielfältigen Optionen und Möglichkeiten geprägt, so dass alle Beteiligten nach gut zwei Stunden lebhafter Auseinandersetzung mit Inspirationen und Ideen für eine „bessere“ Gestaltung unserer Zukunft gerüstet waren. Dabei wurde aber ebenso deutlich, dass es für das „Tätigsein“ nicht den „einen Weg“ oder die „eine Lösung“ gibt. Vielmehr braucht es vielschichtige und vielfältige Veränderungsprozesse auf gesellschaftlicher, organisationaler und individueller Ebene, um der Vision von „Tätigsein in einer Postwachstumsgesellschaft“ ein Stück näher zu kommen.

Mehr Informationen zum Sammelband „Tätigsein in der Postwachstumsgesellschaft“ sind hier zu finden.

Am Montag, den 28.10., besteht die Möglichkeit das Thema auf einer Buchvorstellung mit den Herausgeberinnen und einige Autor/innen in Berlin (19.00 – 21.00 Uhr, Heinrich-Böll-Stiftung, Schumannstr. 8, 10117 Berlin) zu diskutieren. Die Anmeldung ist hier möglich.

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