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Soziologie for Future?

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Die Abschlusskonferenz des Postwachstumskollegs Jena und die Regionalkonferenz der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Ende September hallt immer noch nach – in Diskussionen mit Kolleg*innen, in Blog-Beiträgen und im eigenen Kopf. In diesem Beitrag soll es nicht um die zahlreichen, kritischen und theoretischen Diskussionen und Veranstaltungen gehen, die einen teilweise mit Bestürzung über das eigene Nicht-Wissen, mit Bewunderung für das vorgebrachte Argument, mit neuen Erkenntnissen, neuen Bekanntschaften oder auch einfach nur erschöpft angesichts der Menge an Input, der komplizierten Sätze und der Vielzahl an Themen nach Hause gehen ließen. Anschließend an andere bereits hier auf dem Blog Postwachstum veröffentlichten Artikel zur Konferenz möchte ich hingegen fragen, ob die Konferenz den (eigenen) Ansprüchen einer Public Sociology[1] und der Postwachstumsforschung auch in der Praxis gerecht geworden ist.

Minimum der Selbstreflexion

Wir sollten es uns nicht nehmen lassen, möglichst kritisch und mit Anspruch die Jenaer Konferenz unter die Lupe zu nehmen. Der Mangel an Zeit für Essen, Schlafen, ausführlichere Gespräche, Ausruhen oder den Besuch des Festivals zur Konferenz, die damit einhergehende Beschleunigung oder auch dominantes Redeverhalten lassen sich sicherlich kritisieren. Bei einer wissenschaftlichen Konferenz – die zunächst wissenschaftlich keine Zeitverschwendung und sinnvoll aufgebaut sein sollte – ergibt solch eine Kritik an der praktischen Umsetzung insbesondere dann Sinn, wenn sie in theoretische Zusammenhänge gestellt wird, wie dies unter anderem mit Bezugnahme auf Debatten zu Care- und Reproduktionsarbeit sowie „wissenschaftlicher Praxis und ihrer Verwobenheit mit der imperialen Lebens- und Produktionsweise“ geschehen ist. Die eigene Praxis einzuordnen und zu hinterfragen, ließe sich vielleicht als so eine Art Minimum der Selbstreflexion bezeichnen.

Bei diesem Minimum möchte ich es jedoch nicht belassen: Vielmehr möchte ich die selbstkritische Perspektive um die Frage danach ergänzen, ob und wie das Postwachstumskolleg und seine Nachfolger*innen mit ihrer an Public Sociology orientierten Arbeits-, Denk- und Vorgehensweise zu einer „Soziologie for Future“ beitragen könnten (oder sollten) beziehungsweise die Frage danach, warum davon auf der Konferenz so gar keine Rede war.[2]

Soziologie for Future – Future für Soziologie?

Ich möchte nicht dazu aufrufen, „Soziologie for Future“ zu gründen, aber fragen, warum die Konferenz im September in Jena so selbstreferentiell und wenig mutig geblieben ist und was ein kritischer Anspruch einer Public Sociology, die nicht nur in der konzeptionellen, theoretischen und akademischen Debattenkultur verbleibt, zukünftig sein könnte. Solche und ähnliche Fragen stellen sich im Zuge von „Fridays for Future“ und „Scientists for Future“ natürlich umso mehr – nicht nur an die Soziologie gerichtet, aber eben auch an diese.

Hinter alles ein „… for Future“ zu hängen ist gerade en vogue (siehe Entrepreneurs for Future, Economists for Future, Scientists for Future uvm.), allerdings finde ich es nicht aus diesem Grund lohnenswert darüber nachzudenken, was eine „Soziologie for Future“ oder auch „Soziolog*innen for Future“ eigentlich heißen könnte; welcher Anspruch an die eigene Wissenschaft, die eigenen Fragestellungen und die Kommunikation der eigenen Erkenntnisse in eine breitere Öffentlichkeit sowie welcher Art gesellschaftliches Engagement damit einhergehen würden. Im Gegenteil, die „… for Future“-Bewegungen stellen für mich im Zuge des Nachhalls der Jenaer Postwachstumskonferenz einen Anlass dar, den politischen, den gesellschaftlichen, den öffentlichkeitswirksamen, nach außen gewandten Gehalt der fünf Tage zu befragen. Selbstkritisch zu fragen, was uns alle, die wir dort waren oder in die Planungen eingebunden waren, daran gehindert hat, etwas mutiger oder hoffnungsvoller zu sein und die Öffnung zur Gesellschaft und Praxis, die sowohl über das Festival wie über die Konferenzformate explizit hergestellt wurde, zu einem politischeren (oder gar aktivistischeren) Ende zu führen.

Baby steps

Ein Anfang könnte sein, der Planung der Konferenz zuzugestehen, dass durch die geschehene Öffnung für gesellschaftliche Akteure und die Stadtgesellschaft, der ganz praktische Anspruch und die Kritik an z. B. Redekultur, Essensversorgung, gegenseitiges Kennenlernen und Zeit, nicht einfach lapidar abzutun sind mit dem Hinweis, „so sei das halt auf akademischen Konferenzen“. Der Zusammenschluss mit der neuen „Students for Future“-Bewegung, die sich im Zuge der Konferenz zu einem Klimaratschlag getroffen und ihren für Ende November angesetzten Streik geplant haben, stellt in dieser Hinsicht sicherlich eine Ausnahme und einen Lichtblick dar. Gleichzeitig erschienen mir die von ihnen herumgegebenen Listen zur Unterstützung des Vorhabens eher wenig Anklang zu finden. Eine Positionierung der Soziologie/Jenaer Soziologie/des Postwachstumskollegs ähnlich wie es in Jenas Nachbarstadt Weimar im Mai dieses Jahres von den Stadtplaner*innen vorgemacht wurde, wäre eine weitere Möglichkeit gewesen: Die Konferenz „Postwachstumsstadt. Perspektiven des sozial-ökologischen Wandels der Stadtgesellschaft“ an der Bauhaus-Universität Weimar führt die dortigen Debatten explizit weiter, eine Plattform wurde gegründet und verbreitet nun die Ideen verständlich aufbereitet und öffentlichkeitswirksam. Genug Gelegenheiten für Postwachstumsforscher*innen wie Soziolog*innen, dem eigenen Anspruch an eine kritische und transformative Wissenschaft in unterschiedlicher Rahmensetzung und mit unterschiedlichen Zielsetzungen und -gruppen erneut auf den Grund zu gehen, bieten sich bereits im nächsten Jahr mit den Degrowth-Konferenzen 2020 in Manchester und Wien oder dem DGS-Kongress in Berlin.

[1] Siehe unter anderem hier sowie aus dem Postwachstumskolleg heraus, hier und hier.

[2] Aus Gesprächen mit anderen Teilnehmenden der Konferenz weiß ich, dass es bei einigen Veranstaltungen Thema war, ob die Soziologie nicht eine viel größere Rolle bei „Fridays for Future“ spielen sollte. Berichtet wurde mir von der Sorge, dass die Soziologie aktuell einen Bedeutungsverlust erfährt, da in den Diskussionen mit „Fridays for Future“ die naturwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung und ihre Vertreter*innen im Zentrum ständen. Ich selbst habe aber keiner dieser Veranstaltungen beigewohnt und greife aus dieser Perspektive die Frage auf.

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