Die neue Bundesregierung hat ihr Amt angetreten. Die Erwartungen an sie könnten kaum größer sein. Denn die Vielzahl an Krisen, denen die Welt derzeit gegenübersteht, erlaubt keine Verzögerung der sozial-ökologischen Transformation. Es gilt, die Klimakrise, gesellschaftliche Polarisierung und die Gefährdung der Demokratie gemeinsam mit den wirtschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen. Doch bereits die ersten Weichenstellungen der schwarz-roten Koalition machen wenig Hoffnung: Die institutionelle Schwächung ressortübergreifender Klimapolitik, der populistische Streit um das Lieferkettengesetz und das Gebäudeenergiegesetz sowie die Angriffe auf die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen sind nur einige der Beispiele, die eher Rückschritt als Aufbruch signalisieren.
Wahlprogramme, Koalitionsvertrag, Regierungsstart: Zur Ausgangslage
Vieles davon überrascht kaum. Schon unsere econ4future-Analyse zu den Bundestagswahlprogrammen hatte erhebliche Defizite bei CDU und SPD aufgezeigt: In zentralen Handlungsfeldern wie „Staatliche Finanzen“, „Markt- und Industriepolitik“ und „Ökologische Grundlagen“ fehlten zukunftsweisende Impulse oder wurden notwendige strukturelle Reformen gar nicht erst thematisiert. Viele dieser Schwächen finden sich nun auch im Koalitionsvertrag und in den ersten Ankündigungen der neuen Bundesregierung wieder. Das verstärkt den Eindruck einer Regierung, die sich lieber am Status quo orientiert, statt den Mut aufzubringen, die dringend notwendigen und tiefgreifenden Veränderungen anzugehen. Dabei wurde der Regierungswechsel mit großen Versprechen einer neuen Politik und gar einer “Wirtschaftswende” inszeniert – verbunden mit dem Anspruch, endlich für mehr Verlässlichkeit, Planbarkeit und Zukunftsorientierung zu sorgen.
Ist die Aufbruchsstimmung, die durch die Fridays-for-Future-Proteste eine neue politische Ernsthaftigkeit und gesellschaftliche Bewegungskraft entfachte, schon wieder verblasst? Und vor allem: Was bedeutet das für die Gestaltung des notwendigen Wandels hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschaft?
Klimaschutz: Add-on statt wirtschaftliches Leitprinzip
Im Bereich der ökologischen Grundlagen wurden die Wahlprogramme von SPD und CDU bereits in unserem Wahlprogramm-Ranking als mutlos bewertet. Auch der Koalitionsvertrag verbreitet in puncto Klimaschutz keine Aufbruchsstimmung. Zwar bekennt sich die neue Bundesregierung offiziell zum Ziel der Klimaneutralität bis 2045, setzt dabei jedoch vor allem auf CO?-Bepreisung (ohne die sozialen Kosten mit einem Klimageld abzufedern), den Ausbau erneuerbarer Energien sowie höchst umstrittenen Technologien der CO2-Speicherung (wie Carbon Capture, Utilization and Storage). Das Vertrauen in marktbasierte Instrumente bleibt ungebrochen, ebenso wie das Credo “Wachstum um (fast) jeden Preis”.
Gleichzeitig wird Klimaschutz stark an die Frage wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit geknüpft, während die Verantwortung für Klimaschutz aus dem Wirtschaftsministerium ins Umweltministerium verlagert wurde. Ob das Umweltministerium aber tatsächlich den nötigen Einfluss entfalten kann, um eine wirksame, ressortübergreifende Klimapolitik zu gestalten, erscheint derzeit fraglich. Es entsteht der Eindruck, dass die Bundesregierung Klimaschutz als ein isoliertes Unterthema aus dem Bereich des Umweltschutzes betrachtet und dabei fatalerweise verkennt, dass es sich um eine Dimension handelt, die in jedem politischen Ressort mitgedacht werden sollte. Angesichts der Ankündigungen von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU), verstärkt auf fossile Gaskraftwerke zu setzen, wachsen schon jetzt die Zweifel, ob Klimaschutz künftig als Leitprinzip moderner Wirtschaftspolitik verstanden wird – oder ob er weiterhin nur als technisches Add-on einer wachstumsorientierten Strategie mitgeführt wird.
Auch die Pläne von Bauministerin Verena Hubertz (SPD) setzen auf Expansion. Mit dem sogenannten „Bauturbo“ soll der Wohnungsneubau im Eiltempo beschleunigt werden, angeblich um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und Klimaschutz zu fördern. Allerdings fehlt im Gesetzesentwurf eine klare Festschreibung ökologischer und sozialer Zielvorgaben. Zusammen mit einem breiten Bündnis aus Umweltorganisationen, dem Deutschen Mieterbund sowie Architekt:innen- und Planungsverbänden warnen auch wir davor, dass hier regressiver Aktionismus betrieben wird. So werden einseitig die Interessen der Bau- und Immobilienlobby bedient, indem Regularien zugunsten von Profitinteressen abgebaut werden, anstatt tragfähige Konzepte für nachhaltigen und bezahlbaren Wohnraum zu entwickeln (siehe u.?a. die Stellungnahme von Architects for Future).
Markt- und Industriepolitik im Rückwärtsgang
Auch im Bereich der Markt- und Industriepolitik blieben die Wahlprogramme der Regierungsparteien hinter den Erwartungen zurück. Die SPD zeigte sich in ihrem Programm mutlos, während die Union kaum konkrete Vorstellungen einer aktiven Industriepolitik vorlegte. Diese Linie setzt sich nun im Koalitionsvertrag und den ersten Regierungswochen fort.
Besonders deutlich wird dies am Lieferkettengesetz: Statt auf Rufe aus der Industrie nach klaren Leitlinien und Planungssicherheit zu reagieren, wird mit Diskussionen um eine Abschaffung des Gesetzes zusätzliche regulatorische Unsicherheit geschaffen – ein beunruhigendes Signal an Unternehmen und für globale Menschenrechtsstandards gleichermaßen. Dass gerade die SPD, die das Lieferkettengesetz einst mit Arbeitsminister Hubertus Heil eingeführt hat, kein klares Bekenntnis zu menschenwürdigen Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten abgibt, ist zusätzlich enttäuschend. Auch auf europäischer Ebene droht Deutschland so seine Stellung als verlässlicher Partner zu verlieren, was durch die Diskussionen um Abschwächung oder Abschaffung der EU-Version des Lieferkettengesetzes (CSDDD) noch verstärkt wird. Zurück bleibt der Eindruck einer Koalition, die die Prioritäten vieler Unternehmen nicht berücksichtigt und wichtige Weichenstellungen verpasst.
Haushaltsdebatte: Sparen gegen die Zukunft?
Grundsätzlich ist es positiv zu bewerten, dass Friedrich Merz entgegen früherer Wahlversprechen anerkannt hat, dass Sondervermögen notwendig sind, um die marode Infrastruktur zu modernisieren und die Transformation in Richtung Klimaneutralität voranzutreiben. 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds klingen zunächst nach einem starken Bekenntnis zum Klimaschutz.
Doch schon jetzt wird deutlich: Die Debatte über die Verwendung dieser Mittel wird zunehmend von parteipolitischen Profilierungsversuchen überlagert. Es besteht die reale Gefahr, dass dringend notwendige Investitionen in Klima- und Bildungsausgaben zugunsten kurzfristiger Wahlkampfgeschenke geopfert werden. Außerdem ist es wenig hilfreich, wenn im Gegenzug Mittel für soziale Sicherheit, globale Gerechtigkeit und internationale Verantwortung zunehmend unter Spardruck geraten und damit zur Disposition stehen. Aktuell lässt sich dies am Streit um die Mütterrente beobachten. Die geplante Verdreifachung der Verteidigungsausgaben sowie milliardenschwere Unternehmenssteuersenkungen verweisen zugleich auf die fiskalischen Spielräume, die politisch geschaffen werden können – wenn der politische Wille vorhanden ist. Diese Prioritätensetzungen offenbaren zugleich ein klares Spannungsverhältnis: Was beim Militär oder bei Entlastungen für Unternehmen möglich gemacht wird, droht beim Schutz ökologischer und sozialer Grundlagen verweigert zu werden. Die vielbeschworene Haushaltsdisziplin entpuppt sich damit weniger als ökonomische Notwendigkeit, sondern als Ausdruck politischer Gewichtung – und ist selbst erklärungsbedürftig.
Um zukunftsfähige Staatsfinanzen zu sichern, braucht es daher eine ehrliche Debatte über Reformbedarf und eine Anpassung der haushaltspolitischen Regeln an die realen Herausforderungen unserer Zeit. Sondervermögen können dabei ein wichtiges Instrument sein – aber sie ersetzen nicht die notwendige strukturelle Neuausrichtung der Finanzpolitik. Dazu gehören auch der Abbau umweltschädlicher Subventionen sowie sozial-ökologische Steuerreformen, etwa im Bereich der Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung. Solche Reformen wurden bereits teilweise im Wahlprogramm der SPD angekündigt. Die Koalition steht dabei vor der Aufgabe, eine Finanzpolitik zu entwickeln, die sozial-ökologische Investitionen ermöglicht – ohne sich hinter einem vermeintlich objektiven Begriff der „Haushaltssolidität“ zu verschanzen. Denn was als „solide“ gilt, ist politisch gesetzte Norm und kein ökonomisches Naturgesetz. Gerade mit Blick auf die Klimakrise lässt sich zeigen: Nicht Klimaschutz ist zu teuer – sondern jede weitere Untätigkeit sowie alles, was unsere Klimaschulden weiter erhöht.
Autoritärer Marktglaube und Verzicht: Wer heute für die Krise(n) zahlen soll
Bislang bleibt die neue Bundesregierung den Beweis schuldig, dass sie den angekündigten Wandel im Sinne einer sozial-ökologischen Transformation ernsthaft gestalten will. Die Rede von einer „Wirtschaftswende“ – ein bislang inhaltlich kaum gefüllter Begriff – dient vielmehr als rhetorische Hülle für eine wachstumsfixierte, marktgläubige Politik. Zugleich öffnet sie jenen Kräften Tür und Tor, die unter dem Banner eines „Deutschland zuerst“ eine autoritär-populistische Wirtschaftspolitik propagieren.
Da die Bundesregierung eine ernsthafte Debatte über eine gerechte Besteuerung von Überfluss und Vermögen meidet, bleibt auch der übermäßige Ressourcenverbrauch unangetastet – der sprichwörtliche Gürtel soll hier offenbar nicht enger geschnallt werden. Anders verhält es sich bei Menschen, die ohnehin schon zu wenig zum Leben haben. So sollen Bürgergeldbeziehende beispielsweise mit existenzbedrohenden Sanktionen weiter unter Druck gesetzt werden. Zugleich mehren sich politische Vorstöße, die auf längere Lebensarbeitszeiten, geringere Renten oder auf unbezahlte Mehrarbeit zielen – etwa durch die Streichung von Feiertagen. Der politisch geforderte Verzicht richtet sich somit nicht gegen übermäßigen Konsum und Ressourcenverbrauch, sondern trifft breite Teile der Bevölkerung – insbesondere jene, die bereits unter wachsendem ökonomischen und sozialen Druck stehen. Hier zeigt sich die Konsequenz eines überkommenen ökonomischen Denkens, das ökologische und soziale Grundlagen systematisch ausblendet.
Zukunftsfähige Wirtschaft: Resilienz als Ausweg aus der politischen Blockade?
Auch wenn sie erst seit einigen Wochen im Amt ist, lassen sowohl die Analyse der Wahlprogramme, des Koalitionsvertrags als auch die bisherigen Ankündigungen befürchten: Eine sozial-ökologische Transformation wird nicht wirklich in Gang gesetzt – auch wenn immerhin die Notwendigkeit von Zukunftsinvestitionen anerkannt wird und keine kategorische Ablehnung von Klimaschutz erkennbar ist. Dennoch deutet vieles darauf hin, dass zentrale Prozesse nachhaltiger Transformation eher gebremst werden – sei es durch eine defensive Klimapolitik, eine verunsichernde politische Kommunikation oder durch haushaltspolitische Spardebatten.
So oder so: Der Klimaschutz ist derzeit in der Defensive. Wer jedoch demokratische Handlungsfähigkeit bewahren will, kommt nicht darum herum, in zunehmend festgefahrenen Fronten neue Wege zu erkunden – und zu überlegen, wie wir mit unseren ökologischen und sozialen Grundlagen haushalten müssen, damit auch nachfolgende Generationen in Würde leben können. Gerade in Zeiten, in denen demokratischer Fortschritt häufig blockiert oder diskreditiert wird, ist es umso wichtiger, gemeinsame Nenner zu stärken. Denn um Vertrauen in demokratische Institutionen sowie die gesellschaftliche Legitimation für einen tiefgreifenden Klimaschutz wieder zu stärken, sind konstruktive Debatten wichtig.
Womöglich könnte hier das Konzept der Resilienz eine neue Klammer bieten, um die starke Orientierung am Status quo produktiv zu wenden: Resilienz meint dann nicht nur den Schutz vor akuten Krisen, sondern das aktive Bemühen, eine weitere Verschlechterung des Status quo zu verhindern. In Ermangelung einer großen Fortschrittsvision könnte dies eine der realistischeren, aber nicht minder bedeutenden Optionen sein: bestehende demokratische Errungenschaften und Lebensstandards zu sichern – und dies nicht durch Vermeidung von Veränderung, sondern durch ihre aktive Gestaltung. Die Leitfrage, die dabei als gemeinsamer Nenner dienen kann, lautet: Wie können sozialer Ausgleich, wirtschaftliche Stabilität und ökologische Tragfähigkeit zusammengedacht werden?
Statt also rigide haushaltspolitische Glaubenssätze zu verteidigen, sollte die politische Energie darauf gerichtet werden, was mit öffentlichen Mitteln geschützt und erhalten werden soll – soziale Sicherheit, demokratische Teilhabe und unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Das wäre zumindest eine Wirtschaftswende, die Zukunftsfähigkeit mit wirklich solidem Wirtschaften verbindet. Ohne einen solchen Perspektivwechsel bleibt jede Ankündigung einer Wirtschaftswende jedenfalls bloße Rhetorik – oder entpuppt sich im schlimmsten Fall als reaktionärer Aktionismus.