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Smartes Tik Tak Toe & Transformationsstrategien

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Der dritte Tag der Abschlusskonferenz des Jenaer Postwachstumskollegs ist vorbei. Genau wie der vorherige Tag war es ein Blumenstrauß an Programmpunkten, jeder Zeitslot übervoll an Auswahlmöglichkeiten. Das Gefühl von Zeitknappheit und Optimierungsdruck, das da aufkommt, mag auf einer wachstumskritischen Konferenz überraschen. Doch, wie Lessenich es am Tag zuvor (in ähnlichem Kontext) ausdrückte: „Wir sind halt auch Kinder unserer Zeit“.

Für mich beginnt der Tag passenderweise mit der Session „Sozial-ökologische Arbeitspolitik – Perspektiven auf Arbeit aus der Nachhaltigkeits- und Arbeitsforschung“ aus dem Forum „Felder der Transformation“. Auch hier geht es u. a. um Zeit. Arbeitszeitpolitk (Gerrit von Jorck, Stefanie Gerold), die Gestaltung von Erwerbsarbeit durch den Wohlfahrtsstaat (Katharina Bohnenberger), Re-Produktivität am Beispiel von Seniorenheimen (Tanja Bromberger) und die Rolle von Gewerkschaften für eine „große Transformation“ (Helen Sharp) stehen auf dem Programm. Es folgen Kommentare von Beate Littig, Martin Fritz und Thomas Barth. Immer wieder klingt die Frage nach dem „Wie“ der Transformation durch, nach der angemessenen Handlungsebene und adäquaten Wirkungshypothesen für eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung.

Diese Frage kommt auch bei der Vorstellung des Buchs „Degrowth/Postwachstum“ von Matthias Schmelzer und Andrea Vetter auf. Sie findet in einem der Rosensäle statt, die mit hohen Decken, Stuck und warmem Licht eine angenehme Abwechslung zur Atmosphäre der Seminarräume bieten. Im Zuge der Diskussion stellt Schmelzer unter anderem fest, dass die Kritik am bestehenden System bereits gut entwickelt sei (in ihrer Analyse unterscheiden sie sieben Formen der Wachstumskritik) und Utopien und entsprechende Policies zunehmend ausbuchstabiert würden. Den größten Forschungsbedarf sieht der Autor bei konkreten Strategien der Transformation.

Weiter zur nächsten Station. Ich entscheide mich für eine weitere Buchvorstellung, diesmal im etwas abseits gelegenen Gebäude des Postwachstumskollegs. Etwa zu zehnt sitzen wir eine Stunde in kleinem Kreis und diskutieren mit Fritz Reheis die Thesen seines neuen Buches „Die Resonanzstrategie“. Darin versucht er, seine zeittheoretischen Überlegungen mit der Rosa’schen Resonanz-Theorie zu verbinden und einer Resonanzstrategie auf die Spur zu kommen, die Umwelt, Mitwelt und Innenwelt zusammendenkt.

Neben dem Hauptprogramm lockt das zugehörige Festival „Spuren und Träume einer besseren Welt“. Die Yogasession muss ich leider ausfallen lassen, den „Übungsraum für Kritik“ konnte ich aber gestern schon besuchen. Max Sonntag erzählt mir am Nachmittag vom Liegestuhl-Lauschen: ein kleiner Spaziergang aus dem Zentrum heraus führt zur angenehm ruhigen Villa Rosenthal. Nachdem man es sich im Liegestuhl bequem gemacht hat, nimmt Antje Horn ihre Zuhörer/innen mit auf phantasievolle Reisen und wird dabei musikalisch von Tim Helbigs experimentellen Klängen begleitet. An diesem Tag erzählen die Geschichten von Ausgrenzung und Mut. Erzählungen bzw. Narrative des Wandels, auch das ein wiederkehrendes Motiv dieser Konferenz. Ich nehme mir vor, morgen an einem der Storytelling-Workshops teilzunehmen.

Interaktiv wird es aber auch in den Panels: so spielen wir bei „Nachhaltigkeit und die konstruktive Entzauberung der digitalisierten Welt“ mit Stefan Ullrich eine Runde Tik Tak Toe gegen eine smarte Maschine aus Streichholzschachteln. Die Schachteln sind gefüllt mit bunten Perlen, dazu ein Spielfeld, fertig. Auf der Bits & Bäume wurde sie bereits trainiert, wir gewinnen trotzdem noch. Transformationsstrategien werden auch hier diskutiert, allerdings mit Blick auf die Potentiale und Dichtungen der Digitalisierung, insbesondere der KI.

Mein Tag endet mit einer wunderbaren Podiumsdiskussion zwischen Adelheid Biesecker, Ingolfur Blühdorn und Barbara Muraca. Schon der Titel „Postwachstumsgesellschaften – Design, Desaster, Deliberation“ zeigt: es geht wieder um die Frage nach dem „Wie“ der Transformation. Blühdorn eckt mit seiner Kritik an Nachhaltigkeitsforschung und Postwachstumsdiskurs an: Hoffnungsmache als Bewältigungsform der Krisen sei das, Teil einer großen Akteurskoalition, die gemeinschaftlich (und oft gegeneinander) einen stillen Gesellschaftsvertrag der Nicht-Nachhaltigkeit aufrechterhielte. Die unrealistischen Hoffnungen, hervorgebracht durch wachstumskritische Utopien, erzeugten unrealistische Hoffnungen und würden echten Wandel verunmöglichen. Die kritische Theorie stecke seit 40 Jahren in dieser Situation fest.

Der große Vorlesungssaal ist auffallend voll mit jungen Menschen. Entsprechend groß ist die Unruhe im Saal, als Blühdorn dann auch noch en passant der Fridays For Future-Bewegung Reaktionismus und – auf Nachfrage – das Interesse an produktiver Verwertung des eigenen (materiellen, sozialen, kulturellen, …) Kapitals als Leitmotiv attestiert. Ein „Student for Future“ aus dem Publikum fragt, ob die letzten 40 Jahre vielleicht deswegen keine großen Fortschreibungen der kritischen Theorie zuließen, weil deren Akteure auf Konferenzen waren statt auf der Straße. Johlen im Publikum, Zustimmung vom Podium. Blühdorn hat rein aus soziologischer Perspektive gesprochen, als politischer Mensch ist er froh und dankbar um alle „For-Futures“.

Daraus ergeben sich natürlich Fragen nach dem Selbstverständnis einer kritischen Sozialwissenschaft und dem Beitrag, den sie zu einem transformatorischen Projekt leisten kann und möchte. Ich nehme sie dankbar mit in die restlichen Tage dieser außerordentlichen Konferenz. Und zu meinem letzten Termin für heute: die Economists for Future treffen sich noch zum Bier trinken.

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