Standpunkte

Sinn(loses) Wachstum

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Es ist Ende November und ich habe gegen Ende meines sonntäglichen Dauerlaufs erstmals seit langer Zeit gefroren. Der in Zeiten der globalen Erwärmung sich länger hinziehende Spätsommer ist nun definitiv vorüber. Allerheiligen, Totensonntag, Volkstrauertag lenken den Blick auf die Begrenztheit und das dazugehörige Ende unseres irdischen Lebens.

Mir ist nach Rückschau auf das Jahr zumute. Was mir da vor dem Hintergrund dieses Blogs als Erstes einfällt, sind viele Augenblicke – ich habe den Eindruck: deutlich mehr als in vorausgegangenen Jahren -, in denen mir Gedanken wie diese durch den Kopf gingen: „Dieses wachstumssüchtige Wirtschaften führt sich zunehmend ad absurdum! Dieser Konsumismus hat jedes sinnvolle Maß bei Weitem überschritten! Dieses rastlose Optimieren, Rationalisieren, Beschleunigen ergibt längst schon keinen Sinn mehr! Können wir denn der „Raserei“ nicht Einhalt gebieten, ehe wir gegen die planetaren Grenzen krachen?“

Anlass für diese Gedanken war jedoch meist nicht die Lektüre einschlägiger Fachbücher – wie vor dreißig Jahren, als ich mich mit sozial-ökologischen Fragen zu beschäftigen begann – sondern es waren schlichte Meldungen im Fernsehen, Artikel in Tageszeitungen, Gespräche im Kolleg/innen- oder Bekanntenkreis. Die Erinnerung an diese Augenblicke lässt auch die zugehörigen Gefühle wieder auftauchen: Ratlosigkeit, Zorn, Traurigkeit und Resignation.

In solchermaßen trüber Stimmung nach hoffnungsvollen Gedanken suchend werde ich auf die Blog-Mitteilung von Astrid Gläsel mit dem Titel „Postwachstum im Aufwind?“ aufmerksam – auch wenn da ein die Hoffnung dämpfendes Fragezeichen am Ende steht. Als Katholik finde ich wohl zur „heiligen Kuh“ zunächst keinen Zugang – aber dann fällt mir unwillkürlich das „goldene Kalb“ aus dem 2. Buch Mose ein (Kap. 32, Verse 1-24). Und geistig gut anschließen kann ich mich auch an den Kommentar von Max Pieper unter dem Titel „Vom Wachstum des Nutzlosen“: Das „sinnentfremdete Wachstum an Ressourcenverbrauch“ vollzieht sich ja trotz viel beschworenen und aus Ingenieurssicht tatsächlich auch erreichten, enormen Effizienzsteigerungen bei Prozessen der Produktion, Verteilung und Verwertung von Material- und Energieströmen.

Befinden wir uns also im fortwährenden Starren auf und Strampeln für noch höhere Effizienz nicht auf dem Holzweg? – Ja, so ist es! Und das ist nur logisch, denn: ein realer Effizienzwert ist immer kleiner als „1“!

Spricht nicht aus vielen Slogans für „nachhaltigen Konsum“ derselbe systemimmanente Geist des „schneller, höher, weiter“? – Auch hier ein ja, denn so pflegt eine Gesellschaft, die sich gerne als vernunftgeleitet sieht, weiter den ach so beruhigenden Mythos der absoluten Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch!

 

Ist das nicht sinnlos?

Was ist nur mit dem Sinn los?

 

Wenn wir zufrieden im Strom
mit treiben
zwar die Richtung nicht kennen
aber in der Menge bleiben
und rennen
reicht uns das aus als Sinn.

Doch was, wenn ein Mitmensch
zu sagen wagt:
Das, wofür ihr Euch alle so plagt
das ständige Wachstumsstreben
scheint mir
keinen Sinn zu ergeben!

Habt ihr mal probiert
anders zu denken
die Sicherheit aufzugeben
selbst zu lenken
und überkommene Mythen
aufzuheben?

Wir jedoch drängen
lieber weiter voran
Nicht, dass noch einer sagt:
Ich will und kann
nicht mehr! und fragt:
Wo ist er hin, der Sinn?

Wenn wir mit Konsum
uns nicht ständig betörten
bestünde die Chance
dass wir dies hörten:
Zu leben heißt
wachsen
bleiben
schwinden
den eigenen Weg
und die Anderen
finden.

 

Lohhof, im November 2019

Dr.-Ing. Mathias Effenberger studierte Umweltschutztechnik und Wasserwirtschaft in Stuttgart und Waterloo, Ontario. Er forscht zu den Umweltwirkungen der Landwirtschaft und der Bioenergienutzung. Fragen wie: Weshalb handeln wir wider besseren Wissens so oft nicht im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und wie ließe sich dies ändern? treiben ihn eigentlich schon seit seiner Jugend um.

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