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Sinkende Nettoenergie, abnehmendes Wachstum

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Die langfristigen durchschnittlichen Wachstumsraten in den Industrieländern gehen zurück. Die Gründe dafür sind fraglos komplex und vielschichtig, aber manche Ursachen sind zumindest im deutschsprachigen Postwachstumsdiskurs deutlich unterbelichtet.

Beispiel: das Energie-Gewinn-Verhältnis, abgekürzt im Englischen als EROEI [1], im Folgenden als EGV. Dieses hat sich in den letzten Jahrzenten für die fossilen Brennstoffe deutlich verschlechtert.

Energie ist für alle, die sich mit der Zukunft des Wachstums befassen, eine zentrale Frage. Zwischen Energie und Wachstum besteht ein äußerst enger Zusammenhang – ohne Energie kein Wachstum. An diesem Punkt setzt das EGV an. Die Kennziffer beschreibt das Verhältnis zwischen gewonnener Energie und der Energie, die direkt und indirekt für die Gewinnung eingesetzt wurde.

Das EGV gibt also den energetischen Hebel eines energetischen Rohstoffs an. Eng verwandt mit dem EGV ist der Begriff der Nettoenergie. Diese ist definiert als EGV-1.
Liegt das EGV bei 1, so beläuft sich die Nettoenergie auf 0.

Die obige vereinfachte EGV-Formel täuscht: Die Berechnung ist schwierig und mit vielen Unsicherheiten belastet. Ja, auch mit einigen konzeptionellen Schwächen. [2] Grundsätzlich handelt es sich aber um eine sehr interessante Größe, die beim Verständnis helfen kann, wie Wachstumsprozesse ablaufen – und auch warum die langfristigen durchschnittlichen Wachstumsraten rückläufig sind.

Man sollte nicht glauben, dass energetische Rohstoffe so lange gefördert werden, wie das EGV höher als 1:1 liegt. Das wäre wirtschaftlicher Unsinn. Unternehmen sind im Finanzmarktkapitalismus zur Gewinnmaximierung gezwungen. Sie müssen den Return on investment (ROI), also das Verhältnis zwischen Gewinn und Investition, im Auge haben.

Die makroökonomische Sicht ist noch interessanter. Man stelle sich eine Gesellschaft mit 100 Mitgliedern vor: Läge das EGV des arbeitenden Teils der Bevölkerung bei 100:1, dann ist eine Person mit der Energieproduktion beschäftigt, 99 können sich anderen Aufgaben widmen. Ein Verhältnis von 50:1 würde bedeuten, dass sich zwei Menschen um die Energiebeschaffung kümmern – die restlichen 98 können anderen Arbeiten nachgehen. 25:1 bedeutet schließlich: Vier Leute sind mit der Energiewirtschaft befasst, 96 können sich spezialisieren.

Eine Relation von 12,5:1 kann komplexe Gesellschaften wie die unsere schon in Probleme bringen (dann arbeiten acht Menschen für die Energiebeschaffung), während ein Verhältnis von 6,25:1 diese Probleme ganz sicher verursacht (16 Menschen werden für die Energie abgezweigt). Ein EGV von 1:1 hieße, dass jede Person in der Energieproduktion arbeiten würde – folglich wären für andere gesellschaftliche Aufgaben keine Menschen verfügbar. [3]

Die westlichen Industriegesellschaften wurden auf ein hohes Energie-Gewinn-Verhältnis gegründet. Die meisten Menschen waren bis zur Industrialisierung »Vollzeitenergiearbeiter/in«. Brennholz, lange Zeit die Wärme- und Energiequelle Nummer eins, besitzt ein EGV von etwa 30:1. Die Kohle wurde zum entscheidenden Antrieb der Industrialisierung. Ihr EGV lag noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei sagenhaften 177:1 (Wert für die USA). Die von fossilen Energieträgern befeuerte Industrialisierung sprengte die Wachstumsgrenzen der Agrargesellschaft. Die Rohstoffbasis wurde von der Fläche entkoppelt. Bildlich könnte man sich vorstellen, dass Millionen von Hektar Wald und Wiesen durch die Kohlenutzung wie von Geisterhand geschaffen und zusätzlich bereitgestellt wurden. Das Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs (auch bekannt als Ertragsgesetz), das das Wachstum von Gesellschaften jahrtausendelang gebremst hatte, wurde suspendiert – jedenfalls für eine Frist von wenigen Jahrhunderten.

Die Industrialisierung brachte die allmähliche Mechanisierung der Landwirtschaft. In der Konsequenz wurden weniger Arbeitskräfte auf den Feldern benötigt. Millionen von Bäuer/innen wurden von ihren Feldern »befreit«. Viele von ihnen wandelten sich zu Fabrikarbeiter/innen und Städtern. Mit weiteren Industrialisierungsschüben fand eine weitere Spezialisierung statt. Die Enkel/innen der Bäuer/innen und Fabrikarbeiter/innen konnten zu Banker/innen, Journalist/innen, Kunstsammler/innen, Herzspezialist/innen oder Computertechniker/innen werden. Es war jene Surplus-Energie, die maßgeblich diese ungeheuerliche Entwicklung ermöglichte. Spezialisierung und Arbeitsteilung waren ihrerseits wichtige Antriebskräfte für das wirtschaftliche Wachstum.

Gesellschaften wurden im Zeitverlauf immer komplexer. Komplexität ist eine Problemlösungsstrategie. Aber sie verursacht Kosten. Kosten, die man beispielsweise in Geld- oder Energieeinheiten messen kann. Billige Energie bzw. ein hohes EGV waren für den Aufbau immer komplexerer Strukturen erforderlich. [4] Da trifft es sich schlecht, dass das EGV bei fossilen Quellen im Zeitverlauf immer weiter abnimmt. Das ist bei der Kohle so – und auch beim Erdgas.

Ebenso beim wichtigsten fossilen Energieträger, dem Erdöl. An dessen Beispiel kann man demonstrieren, wie sich das EGV verändert hat. Im Jahr 1930 lag das Verhältnis von gewonnener zu aufgewendeter Energie etwa 100:1, 2005 war es auf 19:1 gesunken. [5] David Murphy von der Northern Illinois University beziffert das derzeitige globale EGV beim konventionellen Erdöl auf etwa 15:1. Murphy erwartet, dass das Öl-EGV weiter sinken wird.

Wie kann das sein? Eine Antwortet lautet: Best-First-Prinzip. Das am leichtesten zu fördernde Öl wurde schon aus der Erde geholt. Die verbleibenden Ölreserven liegen nicht nur tiefer, sondern tendenziell in Bodenregionen, die weniger gut zugänglich sind. Es ist wichtig zu verstehen, dass die erschwerten Förderbedingungen nicht nur direkt mehr Energie verschlingen (konkret mehr Diesel oder mehr Elektrizität), sondern dass auch der indirekte Energieaufwand sehr hoch sein kann (in Form von bereitzustellender Infrastruktur, die gebaut und geplant werden muss). Anders formuliert: Es muss immer mehr (Energie, Arbeit, Zeit und damit auch Geld) investiert werden, um die gleiche Menge X zu fördern.

Die fossile Energieindustrie stemmt sich dem Trend entgegen. Große Ölkonzerne wie Chevron, Exxon Mobil und Royal Dutch Shell haben in den letzten Jahren Rekordsummen investiert. Unter anderem in Biokraftstoffe, Ölsande und Fracking – deren EGV liegt freilich weit unter 10:1. Doch trotz dieser großen Investitionen wächst die Ölförderung der drei genannten Konzerne kaum noch – teilweise ist sie sogar rückläufig. Das wirkt sich auf das Wachstum der gesamten Branche aus.

Der Geologe Richard Miller, lange in Diensten von BP, flüchtet sich derweil in Sarkasmus. Mit Blick auf das Fracking meint er: »Wir sind wie die Laborratten in einer Kiste aus Pappkarton, die alle Cornflakes aufgegessen haben. Jetzt haben wir erkannt, dass wir auch den Pappkarton essen können.« [6]

 

 

[1] EROEI steht für »Energy return on energy invested«.

[2]    Eine grundsätzliche Schwäche des Konzepts ist die Vernachlässigung der qualitativen Unterschiede der Energieträger. Im Prinzip werden Äpfel und Birnen addiert, und am Ende kommt ein einziger Wert heraus. Doch nicht jedes Joule ist identisch. Mit Benzin werden Autos bewegt, mit Kohle wird Strom erzeugt. Oder – in einem alten Kohleofen – Wärme.

[3]    Vgl. Heinberg, Richard: Snake Oil. How Fracking’s false promise of plenty imperils our future, Santa Rosa 2013, S. 29.

[4]   Zum Weiterlesen empfiehlt sich: Tainter, Joseph A.: The Collapse of Complex Societies, Cambridge 1990.

[5]    Vgl. zu den Zahlen ausführlich Nicoll, Norbert: Adieu, Wachstum! Das Ende einer Erfolgsgeschichte, Marburg 2016, S. 310-311.

[6]    Zitiert nach: Ahmed, Nafeez Mosaddeq: Former BP geologist: peak oil is here and it will ‚break economies‘. Artikel online unter: http://www.theguardian.com/environment/earth-insight/2013/dec/23/british-petroleum-geologist-peak-oil-break-economy-recession [Stand: 26.5.2017].

1 Kommentare

  1. Felix Sühlmann-Faul sagt am 10. November 2017

    Sehr gute, kompakte Darstellung eines komplexen aber äußerst wichtigen Problems. Leider übersteigt die Komplexität des Themas die Möglichkeit einer öffentlichen Diskussion wie bei ähnlich gelagerten Themen, wie die CO2-Bilanz des Individualverkehrs. Diese liegt ja „nur bei 8%“ des antropogenen CO2-Austoßes. Klar, wenn man sämtliche Infrastruktur, Ölförderung etc. heraus rechnet. Für plakative, schnelle Lösungen ist hier leider kein Platz und daher fehlt auch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit genauso wie die Verarbeitungskapazität der Politik.

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