Das Worldwatch Institute mit Sitz in Washington D.C. ist eines der weltweit prominentesten Nachhaltigkeitsinstitute. Die deutsche Ausgabe des jährlichen State of the World-Berichts Zur Lage der Welt 2012 erschien in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch. Der diesjährige Untertitel lautet: Nachhaltig zu einem Wohlstand für alle: Rio 2012 und die Architektur einer weltweit grünen Politik
Wie positionieren sich die Beiträge zur Wachstumsfrage? Was lässt sich aus einer Postwachstumsperspektive mitnehmen? Wir habe uns einige der vielversprechendsten Kapitel angeschaut.
Gesamteindruck
Eines der beiden offiziellen Hauptthemen von Rio+20 war die Grüne Ökonomie. Die AutorInnen von „Zur Lage der Welt 2012“ haben zwar keinen kohärenten Plan für „die Architektur einer weltweit grünen Politik“ vorgelegt. Aber eines ist klar – es knirscht im Gebälk: Inwieweit einige Kursanpassungen reichen werden, um „[n]achhaltig zu einem Wohlstand für alle“ zu gelangen, oder wir Wohlstand neu definieren und anders produzieren müssen – die unterschiedlichen Akzente der Kapitel geben einen Einblick in die Konflikthaftigkeit der Debatte.
Fraglich ist, ob ein fertiger Plan am Reißbrett überhaupt möglich und sinnvoll wäre. Der Band lässt sich denn auch eher als eine Übersicht über den Werkzeugkasten für die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsordnung begreifen. Aus einer Postwachstumsperspektive lassen sich drei Pfade identifizieren, für deren Vertiefung und Verbreiterung der Band Werkzeuge enthält:
- Staat und Gemeingüter: Die Reform der Zuweisung von Rechten für die Nutzung der Umwelt.
- Produktion: Neue Zielsetzungen und Demokratisierung.
- Konsum: Weniger.
Beiträge im Einzelnen
In der deutschen Ausgabe fällt die unterschiedliche Akzentuierung der Vorworte der Herausgeber auf:
Im gemeinsamen Text von Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung und Klaus Milke, Vorstandvorsitzender von Germanwatch, schreiben sie von der Notwendigkeit, Wachstum neu zu definieren und ein “auch die Wachstumskritik berücksichtigendes Green Growth” (S. 10) anzustreben. Diese Spannung zwischen Wachstumskritik und “grünem” Wachstum findet sich auch in den Vorworten von Luis A. Ubiñas, Vorsitzender der Ford Foundation, und Robert Engelman, Vorsitzender des Worldwatch Institutes, wieder. Während Ubiñas davon spricht, “Einkommen zu erzeugen, die es den Menschen erlauben (…) die Umwelt zu schützen“ (S. 14), beklagt Engelmann, dass “der Wachstumsglaube immer noch [regiert]” (S. 15).
Der Sonderbeitrag von Ralf Fücks Die ökologische Transformation des Kapitalismus erscheint wie eine relativierende Einrahmung der später folgenden, wachstumskritischen Beiträge der Worldwatch-Autoren. Für ihn ist “´Degrowth´ (…) in der rauen Wirklichkeit ein soziales Drama, das die Perspektiven ganzer Gesellschaften verdunkelt” (S. 19). Er setzt auf eine Effizienzrevolution, erneuerbare Energien und Biotechnologie. Für ihn bedeutet “Sonnenenergie (…) eine unbegrenzte Quelle des Lebens, [die es ermöglicht], der Entropie zu entkommen und die natürlichen Grenzen des Wachstums zu erweitern” (S. 19).
Der Sonderbeitrag Politische Leitplanken und unternehmerische Verantwortung für eine “Green and Fair Economy” von Christoph Bals, Cornelia Heydenreich und Klaus Milke (alle Germanwatch) schlägt nachdenklichere Töne an: Zwar insistieren sie, dass eine „Ökologisierung der Wirtschaft nur vermittelbar [ist], wenn damit Chancen einhergehen“ (S. 24). Sie fragen aber zugleich, wie viel Wirtschaftswachstum wir uns angesichts begrenzter Ressourcen noch leisten können und wie wir die großen sozialen Fragen ohne Wachstum lösen können. Auch die Bedeutung der Suffizienz wird von ihnen unterstrichen (S. 26).
Die ersten beiden Kapitel der Worldwatch-Autoren fallen dagegen sehr viel grundsätzlicher aus als die deutschen Vorworte und die Sonderbeiträge.
In Michael Renners (Worldwatch) Kapitel Green Economy – Eine Antwort auf die Krise gibt sich der Autor wachstumsagnostisch: „Wie weit eine Grüne Wirtschaftsordnung (…) mit Wirtschaftswachstum einhergehen kann, ist offen“ (S. 38). José Eli da Veiga von der Universität São Pauloassistiert: “Wenn die Vorstellung von einem Grünen Wirtschaftssystem ernst genommen werden soll, muss die Welt (…) über den Übergang zu einem ´Wohlstand ohne Wachstum´ diskutieren.” (S. 39).
Für Renner droht der Rebound-Effekt – größere Effizienz führt zu niedrigeren Endpreisen und kann damit erhöhte Nachfrage stimulieren – der Effizienzrevolution den Wind aus den Segeln zu nehmen. Für ihn kann sich eine grüne Wirtschaftsordnung nicht in erhöhter Effizienz erschöpfen, sondern muss sich auch mit Blick auf ihre Organisation unterscheiden. Er fordert mehr Regulierung, Förderung für ”haltbare, reparier- und austauschfähige Produkte”, reduzierte Arbeitszeiten sowie eine Preisgestaltung, die einen günstigen Grundkonsum ermöglicht, aber hohe Preise für Luxuskonsum ansetzt. Auf Unternehmensebene spricht er sich für mehr Demokratie aus und führt die Genossenschaft Mondragón im spanischen Baskenland als positives Beispiel an.
Der Titel von Erik Assadourians (Worldwatch) Kapitel hat in der Übersetzung eine interessante Wendung genommen: Das englische Original enthält das von Ralf Fücks als “soziales Drama” bezeichnete “Degrowth”. Nun ist das Kapitel statt mit The Path to Degrowth in Overdeveloped Countries als Wachstum im Überfluss betitelt. Assadourian äußert sich dem entsprechend wachstumskritisch. Er benutzt den Begriff der “überentwickelten Länder” (S. 57) und argumentiert, dass “Wachstumsrücknahme wirtschaftlich unerlässlich ist und so schnell wie möglich erfolgen muss” (S. 55). Trotz der Dringlichkeit mahnt er an, dass strategisch an die Wachstumsrücknahme heranzugehen sei (S. 59). Er spricht sich für einen Mix von Maßnahmen aus, unter anderem für Arbeits- und Einkommensumverteilung, Umweltsteuern, die verstärkte Besteuerung der Werbebranche sowie Ausgleichszahlungen für diejenigen, die von einer Wachstumsrücknahme besonders betroffen wären.
Allen L. White (Tellus Institute) und Monica Baraldi (Universität von Bologna/Tellus Institute) betonen in ihrem Kapitel Visionen, Prinzipien, Veränderungen. Wie sich Unternehmen neu erfinden können die Notwendigkeit des Wandels von Unternehmenszweck und Gestaltung (S. 139). Sie führen viele Beispiele der Integration von Nachhaltigkeitskriterien in Unternehmenskodizes an und konstatieren eine allmähliche Entwicklung von “weichen” Normen hin zu “harten” Gesetzen. Einzelne Maßnahmen seien jedoch kein Ersatz für systemischen Wandel. Sie sehen die Hebel der Veränderung vor allem im Unternehmenszweck, der Eigentümerstruktur sowie der Unternehmensführung. Als Gegenbeispiel zur gewünschten Veränderung bzw. als Ausgangspunkt für das Wirken dieser Hebel dient die rein auf die Vergrößerung des Shareholder Value ausgerichtete Aktiengesellschaft. Auch in diesem Kapitel wird wieder Hoffnung in demokratischere Strukturen in Betrieben laut. Im Bereich der Unternehmensstruktur werden Treuhand-Belegschaftsgesellschaften, Genossenschaften und Sozialunternehmen als positive Beispiele angeführt.
Das Kapitel von Helio Mattar Der Kater nach dem Kaufrausch trägt zum Wachstumsdiskurs aus der Konsumperspektive bei: Die Menschheit nutzt erneuerbare Ressourcen um 50% mehr, als sie sich regenerieren können. Zu einem großen Teil liegt dies an der großen Nachfrage der Konsumgesellschaften – und diese steigt. Gegenwärtig sind nur rund 20% der Menschheit Mitglied der globalen Konsumentenklasse, doch wächst diese Klasse beständig. Wie die Ökosysteme den größer werdenden Ansturm der Konsumenten überstehen sollen, ist unklar.
Mattar nennt darum Beispiele, die den Konsum reduzieren können und eine Ahnung vermitteln, was Bestandteil einer Postwachstumsgesellschaft sein könnte:
(1.) Das Prinzip „Nutzen statt besitzen„: In Columbus (Ohio) hat der städtische Werkzeugverleih bereits über 4.000 Mitglieder.
(2.) Städte ohne Werbung: Die Stadt Sao Paulo hat Außenreklame verboten und 70% der Einwohner finden, dass das Verbot die Lebensqualität erhöht hat.
(3.) Eine CO2-Steuer, die in Australien diesen Sommer in Kraft getreten ist und
(4.) die Thematisierung von „bewusstem Konsum“ an Schulen.
Gegen Ende des Bandes plädieren Ida Kibuszewski und Robert Costanza (beide Portland State University) im Kapitel Der Wert der Arbeit. Wie die Natur für unseren Wohlstand sorgt für die Notwendigkeit innerhalb der uns von den ökologischen Lebensunterstützungssystemen gesetzten Schranken zu leben (S. 242). Sie sprechen sich für eine Bewertung und damit politische Kalkulierbarkeit von Ökosystemdienstleistungen aus und betonen die Notwendigkeit neuer Institutionen und Politiken für Gemeingüter. Hier schlagen sie Treuhandmodelle und Zahlungen für Umweltleistungen vor.
[…] gerne schaut der Konsument oder Endabnehmer nur auf den Energieverbrauch, der durch Solartechnik, Energiesparlampen und co. erst mal prächtig niedrig ausfällt. Viel […]