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Rezension – Nur noch kurz die Welt retten

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Lesch, Harald; Geißler, Karlheinz A.; Geißler, Jonas (2021): Alles eine Frage der Zeit. Warum die „Zeit ist Geld“-Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt. München: oekom verlag. 

 

„Die Zeit läuft mir davon. Zu warten wäre eine Schande für die ganze Weltbevölkerung. Ich muss jetzt los, sonst gibt’s die große Katastrophe.“ – Tim Bendzko 

Obwohl Tim Bendzko wohl nicht den Klimawandel im Sinn hatte als er im Jahr 2011 seinen Hit „Nur noch kurz die Welt retten“ veröffentlichte, transportieren die Zeilen ein Gefühl der Zeitnot, das wohl jede Person sehr gut kennt, die sich auch nur ein bisschen mit den ökologischen Krisen unserer Zeit befasst. Die CO2-Uhr tickt und das globale Emissionsbudget schmilzt dahin. Wie nun umgehen mit der Zeit, die bleibt?   

Dieser Thematik und der Frage, welche Rolle Zeit sowohl bei der Verursachung als auch bei der Abwendung der drängenden globalen Krisen spielt, widmen sich die drei Autoren Harald Lesch, Karlheinz A. Geißler und Jonas Geißler auf 266 Seiten in ihrem Buch „Alles eine Frage der Zeit. Warum die „Zeit ist Geld“- Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt 

Sie wird als elementarer Lösungsbaustein und als Bedingung für die menschengemachten sozialen und ökologischen Krisen dargestellt – die Zeit. Einleitend skizziert Lesch die Krisen der Gegenwart, von Klima über Energie bis zum Realismus in Bezug auf die Wahrnehmung der Krisen und stellt deren Gemeinsamkeit heraus: Die Unterordnung der Natur unter den menschlichen Beschleunigungswahn.  

Ursächlich für diesen Beschleunigungswahn sei die durch den modernen Menschen getroffene Definition von Zeit als Uhrzeit. Karlheinz A. Geißler, emeritierter Professor für Wirtschaftspädagogik und Zeitforscher, zeigt in den von ihm verfassten Kapiteln des Buches auf, inwiefern die Etablierung der mechanischen Uhr und die Kompensation von messbarer Arbeitszeit in Geld dazu führte, dass die Qualität von Zeit durch deren Quantität verdrängt wurde und somit die Existenz einer Vielfalt von Zeitformen verhindert. Der fortschreitende Kapitalismus und das damit einhergehende Streben nach Wachstum, Konsum und Produktivität ignoriert und überschreitet die vielfältigen System- und Regenerationszeiten der Natur, was in der Konsequenz zur Erschöpfung der Ökosysteme und Ressourcen führt. Die Herausforderung besteht darin, diesen Prozess aufzuhalten und wieder verschiedene Zeitformen, wie die Langsamkeit oder das Trödeln, in unseren Alltag und unser Handeln zu integrieren und zuzulassen. Dies bedarf laut Geißler einer Veränderung des persönlichen Lebensstils und einer Transformation des Wirtschaftens hin zu einem zeitbewussten Vorgehen, das die natürlichen Eigenzeiten von Menschen und Natur im Auge behält. 

Die konkreten Lösungsvorschläge für das im ersten Teil des Buches gezeichnete kapitalistische Zeit-Geld-Dilemma liefert Karlheinz A. Geißlers Sohn, Jonas Geißler auf den letzten 150 Seiten des Buches. Diese kommen zuerst ein wenig wie ein weiterer Ratgeber zur Selbstoptimierung daher. Statt um eine Steigerung der persönlichen Effizienz geht es aber um das Kennenlernen und „Anwenden“ verschiedener Zeitformen einerseits auf individueller Ebene, aber auch im Bereich von Organisationen und in der Politik. Geißler führt durch das „kleine Panoptikum der Zeitvielfalt“, das unter anderem aus „Dem Warten“, „Der Pause“ aber auch „Der Schnelligkeit“ besteht. Es geht darum den eigenen Beschleunigungskreislauf zu durchbrechen und freie Zeiten nicht direkt wieder möglichst effizient nutzen zu wollen, sondern einen Zustand der inneren Resonanz anzustreben, auch weil schnelle Zeiten fast immer energieintensive Zeiten sind. Das im Buch dargestellte Konzept der inneren Resonanz ist an Hartmut Rosas Ausführungen zum Thema angelehnt.  

Geißlers Ausführungen auf individueller Ebene erscheinen zuweilen ein wenig privilegiert, da die Schaffung von „Zeitwohlstand“ durch weniger Produktivität doch zumindest einen gewissen Grad an finanzieller Sorglosigkeit voraussetzt. Diese ist in unserem kapitalistischen System allerdings ungleich verteilt.  

Dieser Eindruck wird jedoch durch seine Ansätze für eine nachhaltige Zeitkultur auf Organisationsebene und in der Politik (auch wenn diese Abschnitte leider kürzer ausfallen) revidiert. Durch die Implementation von teilweise bereits bestehenden Instrumenten und Ideen, wie der 4-Tage-Woche, dem bedingungslosen Grundeinkommen oder der Einpreisung von tatsächlichen ökologischen und sozialen Kosten in Produktpreise, kann laut Geißler auch auf diesen Ebenen die Abkehr von der „Zeit-ist-Geld“ Logik forciert werden.  

Das Buch ist als konkrete politische und gesellschaftliche Forderung zur Verwerfung der neoliberalen Marktlogik zu Gunsten einer Mäßigung des Wachstums und Konsums im Sinne der Suffizienz zu lesen, da sowohl an den persönlichen Lebensstil als auch an die politischen Verantwortungsträger appelliert wird. Ziel ist es das Zeit-ist-Geld Dogma gegen eine nachhaltige Zeit-ist-Leben Perspektive einzutauschen. 

Besonders die Fokusverschiebung von Geld als primäre Stellschraube zur Lösung globaler Herausforderungen hin zum Element der Zeit als Dimension mit transformativem Potenzial ist vielversprechend. Das Nachdenken über den gesellschaftlichen Umgang mit der Zeit ist in jedem Fall angebracht und die Aufgabe, die „Welt kurz zu retten“ schließt wohl neben der gebotenen Eile auch andere Zeitformen mit ein.  

 

Lesch, Harald; Geißler, Karlheinz A.; Geißler, Jonas (2021): Alles eine Frage der Zeit. Warum die „Zeit ist Geld“-Logik Mensch und Natur teuer zu stehen kommt. München: oekom verlag. 

1 Kommentare

  1. Rainer Kirmse , Altenburg sagt am 29. Januar 2023

    Nicht ewiges Wachstum und Geld,
    Enthaltsamkeit rettet die Welt.

    WENIGER IST MEHR – Gedicht

    Müllberge bedrohen die Stadt,
    der gelbe Sack ein Feigenblatt.
    Von Müllvermeidung keine Spur,
    Unrat verschandelt Wald und Flur.
    Der Mensch des Anthropozän
    lässt sich’s auf Erden gut geh’n.
    Plastikflut und Wegwerftrend,
    man konsumiert permanent.
    Nur unser ständiges Kaufen
    hält das System am Laufen.
    Unser westlicher Lebensstil
    taugt nicht als Menschheitsziel.

    Man produziert und produziert,
    plündert Ressourcen ungeniert.
    Gewinnmaximierung ist Pflicht,
    die intakte Natur zählt nicht.
    Börsenkurse steh’n im Fokus in
    Umweltschutz in den Lokus.

    Die Jagd nach ewigem Wachstum
    bringt letztlich den Planeten um.
    Das oberste Gebot der Zeit
    muss heißen Nachhaltigkeit.
    Statt nur nach Profit zu streben,
    im Einklang mit der Natur leben.

    Zu viele Buchen und Eichen
    mussten schon der Kohle weichen.
    Retten wir den herrlichen Wald,
    bewahren die Artenvielfalt.
    Kämpfen wir für Mutter Erde,
    dass sie nicht zur Wüste werde.

    Der Mensch, dieses kluge Wesen
    kann im Gesicht der Erde lesen.
    Er sieht die drohende Gefahr,
    spürt die Erwärmung Jahr für Jahr.
    Homo sapiens muss aufwachen,
    seine Hausaufgaben machen.

    Gegen den ewigen Wachstumswahn
    muss nachhaltiges Wirtschaften her;
    gegen den Autowahn Bus und Bahn,
    auch im Verkehr ist weniger mehr.
    Urlaubsreisen etwas einschränken,
    beim Essen ans Maßhalten denken;
    statt Hühnerbrust zu fleischloser Lust.
    Beim Heizen mit den Graden geizen.
    Teilen, Second Hand der neue Trend,
    Smartphone Dauerkauf keine Option.
    Bei allem etwas Enthaltsamkeit,
    nehmen wir uns die Freiheit.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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