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Resonanz: Die »Symphonie« des nachhaltigen Lebens

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Die Beschleunigungsmaschinerie des immer „schneller, höher, weiter und mehr“ hat den Menschen zunehmend aus seiner eigenen Lebendigkeit, aus seinem „in-der-Welt-Sein“ herausgerissen. Entfremdung von sich selbst, von der sozialen und natürlichen Umwelt, lässt Gefühle von „rutschenden Abhängen“ aufkommen, denen die Tiefe, die Richtung, das Lebendige und der Sinn, d. h. die Resonanz im Leben (vgl. Rosa 2005 u. 2016) fehlen.

Der Begriff der Resonanz, aus Physik und Musik als Mitschwingen bekannt, wurde durch Hartmut Rosas viel beachtetes Buch „Resonanz – Eine kritische Soziologie der Weltbeziehung“ in die aktuelle gesellschaftliche Diskussion eingeführt und seine Bedeutung für die Subjekt-Weltbeziehung wurde aufgezeigt. Resonanz erfährt der Mensch u. a. vor allem dann, wenn er seine Umwelt und sein Tun als „stimmig“ erfährt oder Menschen sich auf einer „Wellenlänge“ befinden.

Fritz Reheis greift in seinem Buch den Resonanzbegriff auf und erweitert diesen, anknüpfend an die »Allgemeine Resonanztheorie« Friedrich Cramers. Das Resonanzprinzip berührt, so der Autor, nicht nur die sozialen Mensch-Mensch-Beziehungen, sondern auch die Mensch-Ich-Beziehung sowie die Beziehung des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt; es ist für unser Leben etwas Essentielles. Bleibt Resonanz aus, hat das tiefgreifende Folgen für unser menschliches Miteinander, die sich u. a. in Gewalt, Hetze oder Terror äußern können, in uns selbst durch psychische oder körperliche Störungen und Krankheiten oder als Folgen exzessiven ökonomischen Wirtschaftens und des Klimawandels, die uns in eine zunehmende Ratlosigkeit, Alternativlosigkeit bis hin zur Handlungsunfähigkeit versetzen. Fritz Reheis benutzt den Resonanzbegriff als „ein Instrument zur präzisen Analyse [aktueller] komplexer zeitlicher Sachverhalte und Entwicklungen“ (S. 13).

Das fünf Kapitel umfassende Sachbuch beinhaltet zentrale theoretische Aspekte von Zeit und Zeitlichkeit, den Begriff der Resonanz, Bedingungen, um Resonanz zu erfahren sowie soziokulturelle Gründe eines aktuell wahrnehmbaren „Resonanzverstummens“.  Der Autor bleibt aber nicht nur bei einer ausführlichen Analyse des Zusammenhangs von Zeit und Resonanz, sondern zieht auch praktische Konsequenzen.  Mit einem diskussionswürdigen neuen Verständnis von Nachhaltigkeit, das Ökonomie, Soziales und Ökologisches, sowohl auf theoretischer als auch praktischer Basis als Einheit begreift, schlägt er damit eine Brücke zum aktuellen Nachhaltigkeits- und Klimadiskurs. Er unterstreicht immer wieder die Bedeutung der Zeit, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht, denn „[d]er Begriff … »nachhaltige Entwicklung« zwingt [gerade] dazu, die Zeitlichkeit des menschlichen Lebens und Wirtschaftens in den Fokus zu stellen.“ (S. 25)

Fritz Reheis schlägt Strategien zu einem nachhaltigeren Leben vor, die vor allem aus einem bewussteren Umgang mit Zeit bestehen, denn „Zeit ist Leben“ und sollte nicht an Wachstumszwängen der „Zeit ist Geld“-Ideologie ausgerichtet sein. Er plädiert für drei Strategien: kurzfristig für einen zeitbewussten Lebensstil auf individueller Ebene, mittelfristig für eine zeitbewusste Politik, die gesellschaftliche Bedingungen für ein nachhaltiges Leben schafft und zu einer langfristigen Entwicklung hin zu einer zeitbewussten Wirtschaft führt.  Zeitbewusste Politik – als Zeitpolitik – umfasst als Querschnittsaufgabe alle Politikbereiche, die sich u. a. an den Grundbedürfnissen der Menschen, an einem rechten Maß von Produktions- wie Reproduktionsprozessen oder einem Recht auf eigene Zeit orientieren sollten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte z. B., so Fritz Reheis, nicht nur die Einzelnen vom Zeitdruck und Stress befreien, sondern auch Anreize für einen nachhaltigeren Lebensstil schaffen. Um auf allen Ebenen – gesellschaftlich, individuell und in der Natur – Resonanz zu erfahren, sollte das gute und gelingende Leben im Sinne von Zeitwohlstand im Fokus stehen. Der Autor sieht seine Resonanzstrategie als eine „Ökologie der Zeit“ und eine zugleich als „konservative wie revolutionäre Alternative“ im Hinblick auf die drängendsten Probleme unserer Zeit.

Das Buch bietet den Leser*innen nicht immer eine „leichte Kost“, aber es lohnt sich allemal, sich „auf ein paar geistige Dehnübungen“, wie es der Autor selbst nennt, einzulassen und über den eigenen räumlichen wie zeitlichen Tellerrand hinauszuschauen. Die Zwischenfazits innerhalb jedes Kapitels sowie die Zusammenfassungen am Ende eines jeden Kapitels erleichtern den inhaltlichen Überblick über das Gelesene.

Mit diesem Buch leistet Fritz Reheis einen wichtigen Beitrag zum Verständnis unseres Lebens als „Symphonie“, jenseits „vom Lärm des Geldes“, als etwas, das wir begreifen, selbst komponieren und spielen. Als verantwortungsvolle Akteur*innen sollten wir eine nachhaltige Zukunft gestalten. Allen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen möchten, kann das Buch nur empfohlen werden.

 

Fritz Reheis (2019): Die Resonanzstrategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen. Ein Plädoyer für die Wiederentdeckung der Zeit. München: oekom verlag.

 

Weitere Literatur:

Hartmut Rosa (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp Verlag.

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