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Reflexionen zum Kongress „Jenseits des Wachstums!?“

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„Jenseits des Wachstums!?“, ein Kongress mit Ausrufe- und Fragezeichen, zu dem am Wochenende vom 20. bis 22. Mai 2011 2.500 überwiegend junge Leute in die TU Berlin kamen. Ein Projekt von attac, in Kooperation mit politischen Stiftungen (Heinrich Böll, Friedrich Ebert, Otto Brenner, Rosa Luxemburg), mit den Medienpartnern Blätter für deutsche und internationale Politik, Publik-Forum, taz und mit einer Vielzahl von Unterstützerinnen, Initiativen und Verbänden aus dem Bereich Entwicklung, Umwelt, Soziales. Ein breites Bündnis – wie attac im Willkommensgruß des umfangreichen Tagungsprogramms mit rund 100 Veranstaltungen schreibt – dessen Bandbreite links-rot-grüne, sozial-, umwelt- und entwicklungspolitisch Engagierte und Interessierte umfasst.
Im Folgenden sind Eindrücke von meinem Streifzug jenseits des Wachstums wiedergegeben:

1. Kapitalismus und Wachstum war ein durchgängiges Thema, das durchaus unterschiedlich gesehen wurde

Das zeigen die vertretenen Standpunkte:

  • Wenn Kapitalismus immer Wachstum bedeutet, müssen wir primär den Kapitalismus bekämpfen, muss Wachstumskritik immer Kapitalismuskritik sein.
  • Da die Abschaffung des Kapitalismus kurzfristig kaum erreichbar ist, gilt es den Kapitalismus durch Regulierung in Grenzen zu halten; es gibt unterschiedliche Formen von Kapitalismus.
  • Der Kapitalismus ist nicht allein verantwortlich für das Wachstum, deshalb gilt es auch, die mentalen Infrastrukturen, die auf Wachstum ausgerichtet sind, zu ändern und in der Folge individuelles Verhalten.
  • Der Abschied von imperialen Lebensweisen ist ein anti-kapitalistisches Konzept.
  • Auch solidarische Ökonomien könnten auf Wachstum setzen.

Positiv empfand ich, dass diese Unterschiede zwar angesprochen und diskutiert wurden, aber diese Diskussionen nicht beherrschend waren und dass ohne abschließende Klärung pragmatisch und freundlich weiter diskutiert wurde.

2.  Jenseits des Wachstums oder im grünen Bereich?

Wenn auch Referenten für grünes, selektives, qualitatives Wachstum eintraten, so schien es doch die mehrheitliche Überzeugung zu sein, dass es endloses Wirtschafts-wachstum auf einem endlichen Planeten – bei allen Bemühungen und auch Erfolgen von Entkopplungsstrategien – nicht geben könne. Dies wurde auch von den meisten Teilnehmern und Teilnehmerinnen geteilt. Deshalb galt auch das Interesse vorrangig der Frage, wie eine Postwachstumsgesellschaft, eine Postwachstumsökonomie aussehen könne und wie die Transformation gelingen könne.

3.  Konkretisierungen einer Postwachstumsgesellschaft und Vision

Es zeichneten sich folgende Konkretisierungen ab:

  • Regionalisierung und teilweise Rücknahme von Globalisierung
  • weniger Exportorientierung
  • mehr Selbstversorgung
  • Abkehr vom Konsumzwang und mehr Suffizienz, den Blick auf die Vielfalt von Ökonomien (Marktökonomie und informelle Ökonomie) richten und durch eine persönlich andere Mischung von bezahlter und unbezahlter Arbeit, von materiellen Gütern und Gemeingütern eine größere Unabhängigkeit (Resilienz) gewinnen
  • Widerstand gegen und Rückgängigmachen von Privatisierungen von Unternehmen der Daseinsfürsorge
  • Umverteilung von Einkommen und Vermögen
  • mehr unmittelbare Demokratie in Politik und Unternehmen
  • Ermächtigung zur Gestaltung des eigenen Lebens und Lebensumfelds.

In seinem Einführungsvortrag stellte Alberto Acosta, Wirtschaftswissenschaftler und früherer Minister für Energie und Bergbau in Ecuador, die Idee des „Buen Vivir“ vor, eines Lebens in Harmonie mit der Natur, in der Menschen sich als Teil der Natur verstehen und empfinden, in der Natur keinen Preis hat und der Anthropozentrismus überwunden ist. Der Rekurs auf Buen Vivir in vielen Beiträgen scheint mir auch ein Defizit an eigenen und konkreten Visionen zu markieren.

4.  Vom Diskutieren und Handeln

Der Kongress war mehr als eine Reflexionsplattform. Der Wunsch der Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Veränderung, nach Handlungsmöglichkeiten, individuell oder in neuen Initiativen, neuen Kommunikations- und Organisationsformen war deutlich und hoffentlich folgenreich. Die weiterreichende Frage war: Wie organisieren wir intelligent allgemeine Selbstbegrenzung in demokratischer Form?

5.  Wer ist „Wir“?

Die oft gestellte Frage war, wer gemeint sei, wenn auf dem Kongress von „wir“ gesprochen wurde? Die Change Agents und die Eliten, die mehr Handlungsspielräume haben, die Initiativen, Gruppen, Verbände, Parteien – oder „wir alle“? Auf dem Abschlusspodium gab es Übereinstimmung, dass mit dem Kongress – trotz phasenweisem Wir-Gefühl – keine neue Bewegung entstanden ist, sondern die Aufforderung im Raum steht, die Wachstumsdebatte vielfältig weiterzuführen, mit Wachstumskritik und Entwürfen für eine Postwachstumsgesellschaft und Maßnahmen für eine Transformation.

Fazit:

Der Kongress „Jenseits des Wachstums!?“ bestärkte das Ausrufezeichen, dass die Debatte gesellschaftliche Relevanz hat. Sie wird angesichts der brisanten ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Krisen auf der Tagesordnung bleiben und nicht wieder  – wie vergangene Wachstumsdebatten – verschwinden und politisch folgenlos sein. Wie wirksam die Debatte sein wird, hängt auch davon ab, wie bald das Fragezeichen des Kongresstitels, wie bald  die vielen offenen Fragen  überzeugende Antworten finden. Nach diesem Kongress sind einige Menschen mehr auf der Suche.

Ich denke, die Aufforderung geht an uns, unsere eigene Vision für ein gutes Leben sowie einsichtige Antworten auf die offenen Fragen zu erarbeiten und zu diskutieren. Ansatzpunkte gibt es – wie die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ und konkrete Projekte, die Visionen guten Lebens ein stückweit sichtbar und erlebbar werden lassen.

 

Prof. Dr. Angelika Zahrnt ist Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und war von 1998 bis 2007 Vorsitzende. Von 2001 bis 2013 war sie Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung der deutschen Bundesregierung und im Strategiebeirat Sozial-ökologische Forschung des deutschen Bundesforschungsministeriums. Seit 2010 ist sie Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW). Sie hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht, u.a. zu den Themenbereichen Nachhaltigkeit, Produktlinienanalyse, Ökologische Steuerreform, Ökologie und Ökonomie, Frauen und Ökologie. Sie war u.a. Initiatorin der Studien „Zukunftsfähiges Deutschland“ (Basel 1997 und Frankfurt a.M. 2008). Zusammen mit Irmi Seidl ist sie außerdem Herausgeberin des Buches „Postwachstumsgesellschaft - Konzepte für die Zukunft“ und Mit-Initiatorin des Blogs Postwachstum.de. Mit Uwe Schneidewind hat sie das Buch „Damit gutes Leben einfacher wird – Perspektiven einer Suffizienzpolitik“ geschrieben. 2006 und 2013 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verliehen und 2009 der Deutsche Umweltpreis.

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