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Raus aus der Wachstumsgesellschaft?

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Die interdisziplinäre Sachverständigengruppe „Weltwirtschaft und Sozialethik“ der Deutschen Bischofskonferenz nahm sich das zunehmende Unbehagen an der Wachstumsfixierung von Politik und Wirtschaft zum Anlass, eine knapp 90 Seiten lange Studie zu veröffentlichen. Aus sozialethischer Perspektive analysiert die Studie „Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien“ die negativen wie positiven Beiträge von Wirtschaftswachstum für die Zielperspektive einer nachhaltigen Entwicklung.

Die Studie betont, dass die Folgewirkungen von Wirtschaftswachstum in seiner gegenwärtigen Form schon heute zentrale planetare Belastungsgrenzen bedrohen und damit die natürliche Lebensgrundlage der Menschen gefährden. Die Autor*innen plädieren dementsprechend für eine sozial-ökologische Transformation der weltweiten Produktions- und Konsummuster. Diese umfasst insbesondere eine signifikante Reduktion des Ressourcen- und Emissionsumsatzes der wirtschaftlichen Produktion wie Konsumption, einen Suffizienz-orientierten Bewusstseins- und Wertewandel sowie eine sozialverträgliche Abfederung der entstehenden monetären Mehrbelastungen.

Um konkrete Handlungsempfehlungen im Rahmen dieses Wandels zu benennen, setzt sich die Studie mit den kritischen Anliegen der Postwachstumsbewegung auseinander. Dabei nehmen die Autor*innen eine A-Growth Position ein:  Wirtschaftswachstum bzw. -schrumpfung ist weder per se schlecht noch per se gut, sondern ist hinsichtlich des jeweiligen Beitrags zur Erfüllung lebensdienlicher Zwecke zu beurteilen. Im Gegensatz zu vielen Postwachstumsvertreter*innen betont die Studie, dass eine zeitnahe absolute Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sowie Schadstoff-Emissionen möglich und entschieden anzustreben ist. Eine absolute Entkopplung sei in der Vergangenheit an fehlendem politischen Willen und mangelhaften wirtschaftspolitischen Instrumenten gescheitert. Entwicklungen wie die Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens, welches die Unterzeichnerstaaten zu sukzessiv steigenden Anstrengungen zur Emissionsvermeidung verpflichtet, begründen, so die Studie, berechtigte Hoffnungen die notwendige absolute Entkopplung zeitnah zu erreichen. Auch Beispiele für erfolgreiche bereichsspezifische absolute Entkopplungen, wie z. B. der absolute Rückgang an ozonschädigenden Emissionen, zeigen, dass eine absolute Entkopplung, sollte sie politisch gewollt sein, prinzipiell möglich ist.  Die Szenarien des Weltklimarates IPCC veranschaulichen zudem technische und ordnungspolitische Wege hin zu einer erfolgreichen absoluten Entkopplung. Die Studie betont also die Möglichkeit einer absoluten Entkopplung, die allerdings durch effektive Instrumente vorangetrieben werden muss. Mit Verweis auf die IPCC-Szenarien wird zudem betont, dass eine kohlenstoffneutrale Wirtschaft mit nur moderat geringeren Wachstumsraten erreichbar ist.

Als zentral erachten die Autor*innen die Dekarbonisierung der wirtschaftlichen Produktion. Im Zentrum muss dabei sowohl die Förderung von Energie-, Ressourcen- und CO2-Effizienz als auch die Verabschiedung von der fossilen Energiewirtschaft stehen. Es wird zunächst gefordert, staatliche Subventionen für fossile Energien zeitnah abzuschaffen. Zudem sollten Ressourcenverbrauch und Umweltbelastungen nach dem Verursacherprinzip in die Marktpreise einfließen und zugleich der zukünftige Emissionsausstoß absolut gedeckelt werden. Die Studie empfiehlt hierzu die Implementierung eines CO2-Emissionshandelssystems oder eine CO2-Steuer. Um den zukünftigen Emissionsausstoß effektiv zu deckeln, ist es etwa im Rahmen eines Emissionshandelssystems entscheidend, die Menge an handelbaren Emissionsrechten in einer Weise absolut zu begrenzen, die die Erreichung der Klimaziele ermöglicht. Entscheidend ist zudem eine gerechte Erstverteilung der Emissionsrechte, da so der weltweit ungleichen Einkommensverteilung entgegengewirkt werden und zudem die Akzeptanz für den Emissionshandel gesichert werden könnte. Durch diese Steuerungsmechanismen würden zudem wirtschaftliche Anreize zur Investition in umweltschonende Technologien gesetzt und die notwendige „Mobilitätswende“ angestoßen, in deren Rahmen verkehrsbedingte Emissionen abnehmen und der Güter- wie Personenverkehr auf energieeffizientere Transportformen verlagert würde. Diese Wende im Mobilitätssektor sollte, so die Studie, u. a. durch einen entschiedenen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Abschaffung der Pendlerpauschale oder einen konkreten Ausstiegstermin für den fossilen Verbrennungsmotor unterstützt werden. Da es im Zuge des vorgeschlagenen Transformationsprozesses zu Mehrbelastungen für Haushalte mit niedrigem Einkommen und Vermögen kommen kann, müssten diese laut Studie sozialverträglich abgefedert werden. Beispielsweise wird vorgeschlagen, dass mit den Mehreinnahmen aus einer CO2-Steuer die Sozialbeiträge oder die Einkommensteuer für geringere Einkommen gesenkt werden oder alle Bürger*innen aus diesen Mehreinnahmen einen Pauschalbetrag erhalten könnten.

Allerdings betonen die Autor*innen, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen keine Garantie dafür bieten, die planetarischen Belastungsgrenzen tatsächlich einzuhalten. Daher werden im Einklang mit vielen Postwachstumsakteur*innen die positiven Folgen eines Suffizienz-orientierten Bewusstseins- und Wertewandels hervorgehoben. Suffizientere Lebensstile und Konsummuster bergen ein großes Potential, Ressourcenverbrauch und Schadstoffemissionen deutlich zu reduzieren. Um suffiziente Lebensstile zu erleichtern, sollten diese durch entgegenkommende ordnungspolitische Rahmenbedingungen unterstützt werden.

Die Studie wurde am 20. April 2018 im Rahmen eines öffentlichen Dialogforums an der Hochschule für Philosophie München durch Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher vorgestellt. Erzbischof Dr. Ludwig Schick betonte in seinem Grußwort, dass die kritische Thematisierung von Wirtschaftswachstum dringend notwendig ist. In diesem Sinne referierte der Klimaforscher Prof. Dr. Ottmar Edenhofer über die Rolle von Wirtschaftswachstum und betonte die Wichtigkeit, ökologische Kosten in die Marktpreise einfließen zu lassen. Im Anschluss hatten die Besucher*innen die Möglichkeit, in vier Arbeitsgruppen die Ergebnisse der Studie aktiv zu diskutieren. Den Abschluss des Forums bildete eine Diskussionsrunde u. a. mit Prof. Dr. Angelika Zahrnt (Institut für ökologische Wirtschaftsforschung und Mitautorin der Studie) und dem CSU-Generalsekretär Markus Blume. Es wurde deutlich, dass bisher der politische Mut und Wille fehlt, die geforderte sozial-ökologische Transformation entschieden voranzutreiben. Das Publikum reagierte mit Missmut und Unverständnis auf den fehlenden politischen Willen die Vorschläge der Studie umzusetzen. Das rege Interesse an der Studie macht trotzdem Hoffnung darauf, dass die notwendige Kehrtwende noch rechtzeitig zu vollziehen ist.

 

Die Studie lässt sich hier kostenlos herunterladen.

Alexander Heindl ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für praktische Philosophie mit Schwerpunkt Völkerverständigung an der Hochschule für Philosophie München. Zuvor studierte er Philosophie an der Hochschule für Philosophie München, Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Er promoviert im Rahmen des interdisziplinären BMBF-Projekts „Praktiken der Solidarität: Strukturen und Dynamiken transnationaler Solidarität im 20. und 21. Jahrhundert“ zum Thema „Solidarität in der globalen Ökonomie“. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter begleitete er zudem die Studie „Raus aus der Wachstumsgesellschaft? Eine sozialethische Analyse und Bewertung von Postwachstumsstrategien“ der Deutschen Bischofskonferenz. Zusätzlich ist er als Design Thinking Coach im Bereich „Social Entrepreneurship“ aktiv und engagiert sich in unterschiedlichen Kollektiven in München und Berlin.

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