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Qualität – ein Weg aus dem Wachstumszwang?

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Zu den grundlegenden Einsichten der Wachstumskritik zählt der Befund, dass ein Mehr an materiellen Dingen keinen Zuwachs an Lebensqualität garantiert, ja sogar negative Auswirkungen auf die persönliche Zufriedenheit haben kann – von unerwünschten sozial-ökologischen Folgen abgesehen. Umgekehrt hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass nachhaltiges Wirtschaften nicht allein auf Verzicht setzen sollte, sondern insbesondere durch die Aussicht auf ein besseres Leben an Attraktivität gewinnt. „Weniger, aber besser“ lautet deshalb eine verbreitete Maxime, wenn es um die Verwirklichung zukunftsfähiger Lebensformen im Alltag geht. Aber wie sieht dieses „Besser“ aus? Wodurch zeichnet sich ein Verständnis von materieller Qualität aus, das dem Anspruch auf Zukunftsfähigkeit gerecht wird?

Die Ebene des Alltags

Globale Probleme wie beispielsweise der Klimawandel lassen sich nicht durch individuelles Handeln allein lösen. Gleichwohl tragen persönliche Entscheidungen wie etwa Flugreisen oder Fleischkonsum zum Ausstoß von Treibhausgasen bei. Entsprechend stellt das Alltagshandeln einen der wenigen Bereiche dar, in dem Einzelne unmittelbar einen Unterschied machen können. So winzig dieser Unterschied im Weltmaßstab auch sein mag, so sehr demonstriert er die Möglichkeit, anders zu handeln und erzielt so in der Summe mikroskopischer Momente reale Wirkungen.

Der Schlüssel zur Überwindung eines rein quantitativen Wohlstandsmodells im Alltagsleben liegt in der Entwicklung einer Idee von Qualität, die über das auf technische Prüfkriterien setzende Qualitätsverständnis der Industriemoderne hinausgeht. Sie fragt nicht nur nach klassischen Kriterien wie Material, Verarbeitung, Funktion und Form (die auf neue Weise ihre Gültigkeit behalten), sondern umfasst in einem weiterreichenden Sinn auch die Wirkungen eines Gegenstandes. Diese Wirkungen beziehen sich auf das Produkterleben der Konsument*innen ebenso wie auf diejenigen, die einen Gegenstand herstellen sowie auf die ökologischen Konsequenzen eines Objektes. Die leitende Frage dabei lautet stets: Macht etwas das Leben besser oder nicht? Trägt es in einem umfassend verstandenen Sinn zur Qualität des Lebens auf der Erde bei?

Die Zeitlichkeit der Dinge

Alltagsgegenstände, die aus hochwertigen Materialien sorgfältig hergestellt werden, tragen jedoch nicht ohne Weiteres zu einem nachhaltigeren Wirtschaften bei. Tatsächlich kann ihre Produktion einen besonders hohen Ressourcen- und Energieverbrauch mit sich bringen. Zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks kommt es erst in einer zeitlichen Perspektive. Diese ergibt sich auf drei Ebenen.

Erstens halten gut gemachte Dinge länger und können durch ihre Langlebigkeit dafür sorgen, dass an die Stelle einer Vielzahl rasch entsorgter, minderwertiger Gegenstände einige wenige, dauerhaft gebrauchte treten. Ein gutes Beispiel dafür sind solide gearbeitete Schuhe, deren Lebensdauer sich zudem durch ihre Reparierbarkeit verlängert. Auch eignen sich langlebige Dinge besser als qualitativ minderwertige sowohl zum Wiederverkaufen als auch für alternative Formen des Wirtschaftens wie das Verleihen oder das geteilte Nutzen.

Zweitens können Funktion und Form eines Gegenstandes so gestaltet werden, dass er flexible Nutzungsweisen erlaubt und deshalb auch dann noch in Gebrauch bleibt, wenn sich die Bedürfnisse geändert haben. Man denke etwa an einen höhenverstellbaren Schreibtisch, der eine Kindheit und Jugend lang „mitwächst“ oder an ein Möbel wie den Ulmer Hocker, der sich nicht nur zum Sitzen, sondern auch als Beistelltisch oder zum Transport von Gegenständen eignet.

Schließlich verändert die Beschaffenheit eines Objekts das Verhältnis zwischen Mensch und Ding. Gut gemachte (und deshalb oftmals auch teurere) Gegenstände begünstigen eine wiederkehrende Freude über das gelungene Objekt und die Wertschätzung derer, die sie verwenden und sich aneignen. Anstatt mit dem Alter schäbig zu werden, entwickeln sie eine Patina, die Geschichten vom Gebrauch erzählt und den Wert eines Objekts unter Umständen sogar steigert.

Qualität entdecken

Bleibt die Frage nach der Praxis eines qualitätsorientierten Alltagslebens. Woran können Konsument*innen erkennen, ob etwas gut gemacht ist? Sind Qualitätsobjekte lediglich einer privilegierten Minderheit vorbehalten, die damit ihren sozialen Status herausstellt? Was kann man tun, wenn einem die Zeit zur gründlichen Auseinandersetzung mit Alltagsgegenständen fehlt? Mit Fragen wie diesen habe ich mich als Konsumkulturforscher über viele Jahre intensiv auseinandergesetzt. Die Ergebnisse trage ich in meinem kürzlich erschienenen Buch „Qualität! Von der Kunst, gut gemachte Dinge zu entdecken, klug zu wählen und genussvoll zu leben“ (Wien: Brandstätter Verlag 2021) zusammen.

Dessen wichtigste Einsicht lautet: Es tut sich etwas, eine „neue Qualitätswirtschaft“ entsteht, in der nicht die Menge das letzte Wort hat, sondern in deren Zentrum qualitätsbezogene Formen ökonomischer Produktion ebenso stehen wie eine veränderte Haltung zum Alltagsleben. Jenseits fundamentaler Konsumkritik auf der einen und rein werblicher Kommunikation auf der anderen Seite entwickelt sich ein neues Sprechen über materielle Kultur. Menschen beschäftigen sich mit Alltagsgegenständen, schulen beispielsweise im kulinarischen Bereich ihre Sinne, lernen zu unterscheiden, treten mit Herstellern in Dialog und tauschen sich über ihre Entdeckungen aus. Das ist eine spannende Entwicklung. Gewiß stellt das „gute Leben“ nur unter bestimmten Bedingungen einen Pfad zu einer nachhaltigeren Welt dar. Zudem kann es politische Weichenstellungen nicht ersetzen. Aber es bildet ein Handlungsfeld, das vielen Menschen offen steht und auf genussvolle Weise neue Möglichkeiten erfahrbar macht.

Dr. Dirk Hohnsträter ist Kulturwissenschaftler, Autor und Experte für kulturelle Aspekte der Wirtschaft. Er leitet die Forschungsstelle Konsumkultur der Universität Hildesheim und ist Gastprofessor an der Universität der Künste Berlin. Zu seinen aktuellen thematischen Schwerpunkten zählen ästhetische Ökonomie, materielle Kultur und Textproduktion. Sein Buch „Qualität! Von der Kunst, gut gemachte Dinge zu entdecken, klug zu wählen und genussvoll zu leben“ erschien 2021 im Wiener Brandstätter Verlag. Weitere Informationen auf seinem Blog INVENTUR.

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