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PURPOSE: Postwachstum im Kontext globaler Krisen

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Am 25.11. feiert in Berlin der Film ‘Purpose – ein neuer Kompass für unsere Welt’ Premiere. Er stellt das Thema Postwachstum in den Kontext unserer globalen Multikrise. Und er erzählt, welchen politischen Weg wir gehen können, um endlich einer Lösung näher zu kommen. Im Interview erzählt Martin Oetting, Regisseur und Drehbuchautor, über die Entstehung des Films und die Kämpfe der beiden Protagonist*innen.

Redaktion Postwachstum: Martin, Wachstumskritik klingt zunächst nach einer wissenschaftlichen Debatte, nicht unbedingt nach dem Stoff für einen Kinofilm. Was hat Dich dazu bewegt, diesen Kampf auf die Leinwand zu bringen?

Martin Oetting: Man mag es kaum glauben, aber es war die Wahl Donald Trumps – 2016. Damals war ich wirklich schockiert, dass die USA eine dermaßen zerstörerische Figur zum Präsidenten gemacht haben. Ich wollte herausfinden warum und dem Unbehagen, das sich überall ausbreitet, auf den Grund gehen. Mein Ergebnis nach rund einem Jahr: Es ist unser Wirtschaftssystem, das hier alles kaputt macht – unsere Demokratien, unsere Gesellschaften, unseren Zusammenhalt, unsere Psyche, und natürlich vor allem die Natur, deren Teil wir sind und die wir zum Überleben brauchen. Als ich dann auf die Projekte meiner beiden ProtagonistInnen gestoßen bin, die in die Politik gegangen sind, um einen anderen Weg vorzuschlagen, war mir klar, dass ich ihre Geschichten einer größeren Öffentlichkeit zeigen muss. Denn es ist genau, wie Du sagst: Postwachstum klingt noch immer nach wissenschaftlicher Debatte. Das muss sich ganz schnell ändern. Wenn wir die Regeln unserer Wirtschaftslogik nicht bald zur breiten gesellschaftlichen Debatte machen, enden auch wir wie die USA – im Würgegriff faschistischer Milliardäre. Insofern war ich über die Wiederwahl von Trump jetzt deutlich weniger überrascht als 2016. Denn in den vergangenen acht Jahren hat sich ja an der Wirtschaftslogik der USA nichts Fundamentales geändert.

Redaktion Postwachstum: Wie bist Du in Kontakt mit Katherine Trebeck und Lorenzo Fioramonti, den beiden Protagonist*innen des Films, gekommen?

Martin Oetting: Dafür muss ich dem Netzwerk für Plurale Ökonomik danken. Während meiner Faktensuche 2017 habe ich auch an der ersten Summer Academy des Netzwerks in der Nähe von Erfurt teilgenommen. Katherine Trebeck hat dort meinen Workshop geleitet. Durch sie habe ich zum ersten Mal begriffen, dass das Bruttoinlandsprodukt nichts anderes als eine aufsummierte Geldmenge ist, die sehr wenig darüber sagt, wie es uns geht. Dummerweise haben wir seit dem Ende des zweiten Weltkrieges eine Obsession mit dieser Zahl entwickelt und weltweit ausgebreitet. Von der Droge kommen wir jetzt nicht mehr runter, dabei macht sie hier alles kaputt. Als Katherine erzählte, dass sie einen Gipfel plant, auf dem sich kleine und im globalen Diskurs weniger beachtete Länder wie Schottland und Costa Rica öffentlich für einen anderen Weg aussprechen wollen, war ich fasziniert. Wenige Monate später erfuhr ich, dass der Gipfel nun konkret in Planung war. Aber das war noch nicht alles. Einer von Katherines Mitstreitern, Lorenzo Fioramonti, hatte außerdem die Einladung erhalten hatte, potenziell Minister in einer künftigen italienischen Regierung zu werden. Ein Wachstumskritiker im Ministeramt einer G7-Nation?! In dem Moment habe ich entschieden, dass ich über diese beiden Menschen und ihre Geschichten einen Film drehen muss – obwohl ich vorher noch nie einen Film gemacht hatte.

Redaktion Postwachstum: Warum siehst Du endloses Wachstum kritisch, wenn uns dadurch doch immer wieder Wohlstand für alle versprochen wird?

Martin Oetting: Weil es allein ein Kurzfristversprechen nach dem zweiten Weltkrieg war, das vielleicht eine Weile lang seine Daseinsberechtigung hatte, als es galt, unsere Gesellschaften wieder aufzubauen. Aber jeder Viertklässler versteht, dass man auf einem endlichen Planeten nicht unendlich die Produktion einer Wirtschaft steigern kann – dem nicht enden wollenden und komplett kompetenzfreien Gerede von “grünem Wachstum” zum Trotz. Seit ich denken kann, höre ich in den Nachrichten alljährlich vom Erdüberlastungstag. Und seit ich denken kann, werden direkt davor die neuesten BIP-Wachstumszahlen der Bundesrepublik verkündet. Der Irrsinn, den wir betreiben, holt uns jetzt ein. Entweder wir tragen dem Rechnung, gucken uns tief in die Augen und sagen: Ok, lasst uns endlich gemeinsam mit dem rationalen Denken beginnen und tragfähige Lösungen finden. Oder wir biegen anders ab – und landen bei Trump & Co. Und auch bei Christian Lindner, der in seinem Extremismus ja Kind derselben ökonomischen Schule ist. Die beiden Protagonist*innen unseres Films machen einen Alternativvorschlag: Lasst uns Dinge messen, die wirklich wichtig für uns sind und unsere politischen Energien darauf verwenden, diese Daten zu verbessern. Katherine spricht im Film von “politischer Faulheit”, wenn die Antworten der Politik sich darauf beschränken, “das Wachstum ankurbeln” zu wollen. Denn das sorgt schon lange nur noch dafür, dass die Wohlhabenden immer wohlhabender werden, während der Rest vor die Hunde geht. Womit sich übrigens ein höchst zynischer Kreis schließt: Man kann über Elon Musk sagen, was man will – blöd ist er nicht. Deswegen hat sich den Präsidenten ausgesucht, der ihm seine Flucht zum Mars finanziert. Dann sitzt er da und schaut zu, während hier alles den Bach runtergeht – auch dank seiner eigenen Bemühungen.

Redaktion Postwachstum: Welchen Herausforderungen begegnet man, wenn man Wachstum, das das wichtigste Grundprinzip unserer Wirtschaft, in Frage stellt und das auch noch auf globaler Ebene?

Martin Oetting: Ich sehe zwei große Herausforderungen. Die globale Ebene selbst ist die eine. Die hemmungslose Globalisierung unserer Wirtschaft hat zu einer Verkettung geführt, in der sich einzelne Länder kaum noch trauen, aus dem Rennen “um immer mehr” auszuscheiden. Deswegen müssen wir das von unten machen. Wir müssen in Kommunen, Unternehmen, im Privatleben beweisen, dass das geht und dass wir das wollen. Damit hängt die zweite Herausforderung zusammen – wir brauchen eine breite gesellschaftliche Bewegung für einen Wandel in unserer Wirtschaftspolitik. Regierende werden sich niemals zu einem Umsteuern durchringen, solange sie nicht darauf vertrauen können, dass wir hinter ihnen stehen und diesen Wahnsinn nicht weiter mittragen wollen. Darum geht es auch in ‘Purpose’. Anhand von Lorenzos Schicksal können wir im Film beobachten, was passiert, wenn die mediale Öffentlichkeit verzerrt, was ein Postwachstumsdenker erreichen will bzw. was ihn motiviert.

Redaktion Postwachstum: Welche Lehren ziehst Du aus deiner jahrelangen Beschäftigung mit Kämpfen für eine andere Wirtschaft und für nachhaltigen Wohlstand?

Martin Oetting: Es gibt für mich eine ganz zentrale Lektion: Die Diskussion um eine Änderung in der Wirtschaftspolitik muss endlich aus den Elfenbeintürmen der Wissenschaft raus und auf die Straße. Jahrzehntelang haben wir uns von zahlenfokussierten Ökonomen einreden lassen, die Volkswirtschaft sei etwas höchst kompliziertes, an das sich nur die Fachleute herantrauen dürfen, die dann mit ausdruckloser Mine so tun, als würden sie Naturgesetze und höhere Wahrheiten verkünden. Das ist aber totaler Unsinn. Die Volkswirtschaftslehre ist nichts anderes als eine Philosophierichtung, die sich Fragen dazu stellt, wer was bekommt und nutzen darf. Das kann man alles mathematisch einpacken, damit es möglichst abschreckend aussieht und damit man selbst wichtig erscheint. Aber das muss man nicht. Wir müssen aus der Ökonomie einen Volkssport machen – an dem Menschen aller Gesellschaftsbereiche, aller Couleur und aller Überzeugungen teilnehmen und sich endlich der großen Frage unserer Zeit stellen: Was soll unsere Wirtschaft eigentlich erreichen? Ausschließlich und rücksichtslos immer mehr Geld verdienen? Dann können wir uns Trump anschließen, das ist sein Weg. Oder soll die Wirtschaft bewirken, dass wir mit den Dingen, die diese Erde uns gibt, so umgehen, dass möglichst viele Menschen und andere Lebewesen hier ein gutes Leben führen können? Ich persönlich wäre für letzteres, denn der andere Weg ist eine Sackgasse.

Redaktion Postwachstum: Danke Martin für Deine spannenden Einblicke und Hintergrundgeschichten zum Film. Die Premiere der deutschen Fassung am 25. November in Berlin mit Maja Göpel und Franziska Brantner ist ausverkauft, aber lass uns doch kurz wissen, wie Interessierte Euren Film sehen können.

Martin Oetting: Der Film haben wir zwar gemeinsam mit einer renommierten Produktionsfirma gemacht, aber wir haben bislang keinen traditionellen Vertrieb. Das bedeutet, dass wir Screenings mit jeder und jedem organisieren, die Lust dazu haben. Ob jemand den Film mit drei, mit 30 oder mit 300 Leuten ansehen will – wir freuen uns über Anfragen aller Art und helfen mit, sie zu organisieren. Zumal der Film eigentlich erst dann richtig funktioniert, wenn man im Anschluss gemeinsam darüber spricht. Denn wie gesagt – wir wollen ja “Ökonomie als Volkssport”; alle sollen mitmachen. Dafür haben wir auf unserer Internetseite einen kleinen Fragebogen (auf Englisch) eingerichtet, wo man sich eintragen kann, wenn man den Film zeigen möchte.

Das Interview führte Vincent Schlinkert, Blog-Redakteur am Institut für Ökologische Wirtschaftsforschung.

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