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Potenziale KI-gestützter Wirtschaftsplanung (3/3)

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Dieser Artikel ist Teil der Reihe Künstliche Intelligenz und Postwachstum.

Die vorgestellten Planungsmodelle stützen sich auf High-Tech-Systeme. Innerhalb der Postwachstumsbewegung gibt es jedoch eine gut begründete Skepsis gegenüber groß angelegten technischen Lösungsansätzen. Die auf Ideen von Ivan Illich basierenden Prinzipien der „konvivialen Technik“ spielen dabei eine große Rolle. Technologie soll demnach zugänglich und anpassbar, verbunden, bio-interaktiv und angemessen sein. Die simpelste Technologie, die ein bestimmtes Bedürfnis erfüllen kann, gilt demnach auch als die beste.

Gerade mit einem Planungsmodell wie dem von Saros erdachten „Amazon-Sozialismus“ gibt es hier Reibungspunkte und Diskussionsbedarf. Die Gefahr besteht, dass allumfassende technologische Systeme zu einer technokratischen Steuerung der Gesellschaft führen und soziale Prozesse auf reine Quantifizierbarkeit und Rationalisierung reduzieren.

Um mit den Postwachstumsprinzipien vereinbar zu sein, müssen solche Planungssysteme einfach zugänglich und an menschliche Bedürfnisse anpassbar sein, sowie größtmögliche demokratische Kontrolle und Transparenz gewährleisten. Dies steht im Kontrast zu kommerziellen KI-Modellen, deren Algorithmen häufig eine Art Blackbox sind, die für die Öffentlichkeit kaum nachvollziehbar sind. Zudem sollten diese Systeme nur diejenigen persönlichen Daten erfassen, die für den Planungsprozess unbedingt erforderlich sind und diese anonymisieren. Bei diesem Themenfeld könnte der Dialog mit Initiativen für Privatsphäre im Internet oder der Ethical-Hacking-Szene gesucht werden.

Der problematische Ressourcenverbrauch und die wachstumstreibenden Dynamiken von KI-Anwendungen wurden in dieser Artikelreihe schon eindrücklich von Kilian Vieth-Ditlmann und Marion Meyers dargestellt. Wie passt ein Ansatz, der den Energie- und Ressourcendurchsatz der Gesellschaft verringern will, zusammen mit einer Technologie, deren Energiebedarf so rasant wächst?

Künstliche Intelligenz selbst ist dabei jedoch nicht das Problem, sondern vielmehr ihr Einsatz innerhalb der Profit- und Wachstumslogik: Effizienzgewinne werden dann durch den Rebound-Effekt wieder zunichte gemacht und die Konkurrenz zwischen Staaten und Unternehmen um die leistungsfähigsten KI-Modelle führen zu ineffizienten Mehrfachstrukturen und redundanten Entwicklungen.

Im Gegensatz dazu würde ein KI-gestütztes Planungssystem gezielt für den Zweck der Ressourcenschonung entwickelt werden. Sein Ziel wäre es, den Energie- und Ressourcenverbrauch zu minimieren, anstatt ihn im Rahmen eines profitorientierten Wettbewerbs zu steigern. Es ist durchaus möglich zu sagen: Ja, wir „leisten“ uns ein KI-System zur Wirtschaftsplanung, weil es einen gesellschaftlichen Mehrwert hat und die sozialökologische Transformation ermöglicht – und gleichzeitig unnötige oder schädliche KI-Anwendungen einzuhegen.

Hybride Modelle als Übergangslösung

Die beschriebenen Planungssysteme sind langfristige Ansätze, um Wachstumszwang und Marktmechanismen zu überwinden. Doch Bruchstücke davon findet man schon heute: Reale Beispiele für Parecon-Prinzipien finden sich etwa in großen Kooperativen in Norditalien und Spanien (z.B. Mondragon im Baskenland) oder bei der partizipatorischen Haushaltsplanung in vielen Kommunen weltweit, etwa sehr erfolgreich im brasilianischen Porto Alegre.

Darüber hinaus machen unzählige solidarische Landwirtschaftsprojekte, Genossenschaften oder Reparaturcafés deutlich, dass die Saat für eine andere Art des Wirtschaftens bereits ausgebracht ist. Auch viele reformorientierte Postwachstumsmaßnahmen, wie Arbeitszeitverkürzung, weniger Werbung, das Verbot geplanter Obsoleszenz oder die Förderung von Kreislaufwirtschaft, stoßen in der Gesellschaft auf breite Zustimmung.

Allerdings sind diese Initiativen und Konzepte bislang nicht systematisch miteinander verknüpft. Für den Übergang zu demokratischer Wirtschaftsplanung im großen Stil sind dabei auch Hybridlösungen denkbar, etwa das dreiteilige Modell von Max Koch (2024):

  • Überschusssektor: Dieser umfasst besonders schädliche Produkte, wie fossile Brennstoffe, die schrittweise abgeschafft werden.
  • Essenzieller Sektor: Hier werden grundlegende Bedürfnisse wie Wohnen, Gesundheit und Ernährung durch demokratische Planung gedeckt.
  • Zwischensektor: Alle anderen Waren und Dienstleistungen werden in einem regulierten Markt gehandelt.

Bürgerräte könnten demokratisch entscheiden, welche Produkte und Dienstleistungen zum essenziellen und welche zum Überschusssektor gehören sollten. Der Einstieg in den geplanten essenziellen Sektor wäre möglich durch Vergesellschaftungsbewegungen, etwa „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen!“, welche öffentliche Daseinsvorsorge dem Markt entziehen und als Basis einer demokratischen Wirtschaftsplanung dienen können. Auch in Saros’ Konzept gibt es Vorschläge für eine Übergangsphase, in der sowohl eine staatliche Währung als die neuen Recheneinheiten Credits/Punkte parallel existieren.

Wie wahrscheinlich ist die Umsetzung?

Wir leben bereits in einer Welt, in der Künstliche Intelligenz und wirtschaftliche Planung eine zentrale Rolle spielen. Nur werden diese Technologien derzeit größtenteils von Tech-Konzernen und Milliardären kontrolliert. Die Frage ist also nicht, ob KI-gestützte Wirtschaftsplanung stattfinden soll, sondern wie, von wem sie organisiert wird und zu welchem Zweck.

Machen wir uns nichts vor: Die ökologischen Grenzen sind bereits stark strapaziert oder überschritten, die Macht großer Konzerne und superreicher Individuen ist enorm, der Einfluss neoliberaler Ideologie noch immer groß. Und das politische Pendel schlägt derzeit vielerorts nach ganz rechts aus. Jede Bewegung, die ökonomische Privilegien antastet und die Wirtschaft demokratisieren möchte, wird massiven Widerständen gegenüberstehen.

Persönlich sehe ich die Möglichkeit zur Verwirklichung eines solch grundsätzlichen Systemwandels im „laufenden Betrieb“ kaum. Für wahrscheinlicher halte ich die Umsetzung nach größeren Wirtschaftskrisen – vielleicht zuerst in einem kleineren Staat, in dem herkömmliche Kriseninterventionen nicht mehr greifen und man gezwungen ist, völlig neue Wege zu gehen.

Grundsätzlicher Pessimismus wäre allerdings fehlangebracht, wird er doch zur selbsterfüllenden Prophezeiung: Wenn die Menschen, die die Nachteile des aktuellen Systems verstehen und einen Wandel wollen, glauben, dass er unmöglich sei, dann ist er auch unmöglich. Gesellschaften sind komplexe Systeme, deren Wandel oft nicht linear verläuft, sondern disruptiv. Oder, wie der britische Journalist und Degrowth-Aktivist George Monbiot argumentiert: Revolutionäre Veränderungen wie die Abschaffung des Feudalismus und der Sklaverei oder die Einführung des Frauenwahlrechts schienen so lange „unmöglich“, bis das gesellschaftliche Gleichgewicht durch stetigen Druck innerhalb kurzer Zeit kippte in ein „unausweichlich“.

Die Rechten haben diese Dynamik (leider) erkannt und setzen offensiv auf radikale und disruptive Veränderungen. Die gesellschaftliche Linke hingegen gerät dabei oft in die Rolle, den Status quo verteidigen zu müssen, ohne eine konkrete langfristige Vision dafür zu haben, wie ein gutes Leben für alle innerhalb der ökologischen Grenzen unseres Planeten praktisch umgesetzt werden kann. Genau hier setzen die Modelle demokratischer Wirtschaftsplanung an. Die Herausforderung besteht nun darin, diese technischen Konzepte mit Leben zu füllen und sie als greifbare, erstrebenswerte Alternativen am Horizont vorstellbar zu machen.

In der Zwischenzeit halte ich es für wichtig, weiterhin für Verbesserungen in den bestehenden Strukturen zu kämpfen, lokale Alternativen aufzubauen und immer mehr Menschen von der realen Möglichkeit eines besseren Wirtschaftssystems zu überzeugen. Denn das große Versprechen des Kapitalismus, dass jeder individuell reich werden kann, ist und war immer eine Illusion. Die ökologischen Kosten dieser Idee wurden in die Zukunft und auf andere Weltregionen ausgelagert (Imperiale Lebensweise), was nicht weiter möglich ist und zu immer schwereren Krisen führt. Aber ein Ende dieses Versprechens heißt nicht das Ende des Wohlstands.

Eine demokratisch kontrollierte, KI-gestützte Wirtschaftsplanung kann die gesellschaftliche Freiheit und Selbstbestimmung zurückgewinnen, die durch Monopolkapitalismus und Neoliberalismus zurückgedrängt wurden und aktuell vom aufsteigenden Faschismus bedroht sind. Sie bietet nicht nur eine motivierende, positive Zukunftsperspektive, sondern auch eine echte Chance, die dringendsten Krisen unserer Zeit langfristig einzudämmen und den ökologisch so zerstörerischen Zwang zu ewigem Wirtschaftswachstum zu überwinden.

Wer sich eingehender mit dem Themenkomplex demokratische Wirtschaftsplanung beschäftigen möchte, findet hier Standardwerke und aktuelle Publikationen.

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