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Potenziale KI-gestützter Wirtschaftsplanung (2/3)

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Dieser Artikel ist Teil der Reihe Künstliche Intelligenz und Postwachstum.

Zwei Modelle möchte ich im Folgenden kurz skizzieren. Die Darstellung bleibt zwangsläufig stark vereinfacht. Die zugrundeliegenden Bücher gehen tief ins Detail und beschäftigen sich auch mit Fragen wie internationalem Handel und Übergangsstrategien. Eine Übersicht der „Standardmodelle“ mit ausführlicher Literatur gibt es hier.

Partizipative Ökonomie – Parecon

Parecon wurde von Robert Hahnel und Michael Albert in den 1990ern erdacht, seitdem stetig weiterentwickelt und im kleinen Rahmen erprobt. Die Basis des Systems bilden selbstverwaltete Betriebe (worker councils) und Nachbarschaftsräte (neighborhood consumer councils) sowie deren Verbände auf höheren Ebenen. Privater Besitz an Konsumgütern bleibt erhalten, während sich produktive Gemeingüter (z.B. natürliche Ressourcen) im Besitz der Gesellschaft befinden.

In jährlichen Planungstreffen machen Betriebe und Nachbarschaftsräte Produktions- und Konsumvorschläge für das kommende Jahr. Unternehmen bringen so ihr Wissen über Produktionskapazitäten ein, Haushalte ihre Konsumpräferenzen.  Letztere werden anonymisiert gesammelt und automatisch akzeptiert, solange sie das Haushaltseinkommen nicht übersteigen. Ein Iteration Facilitation Board (IFB), unterstützt durch KI, schlägt Preise vor, die Angebot, Nachfrage und Umweltkosten berücksichtigen. Anhand der Preise passen Betriebe und Nachbarschaftsräte ihre Vorschläge an. Dies passiert in mehreren Runden, wobei das IFB automatisch aktualisierte Preise für Güter und Dienstleistungen errechnet, sodass sich die Vorschläge der Räte immer weiter einem realisierbaren Plan annähern.

Konsumvorschläge müssen dabei nicht detailliert sein, sondern erfolgen in Kategorien. Welche spezifischen Güter dann produziert werden, entscheiden Unternehmen ähnlich wie jetzt anhand der realen Nachfrage und passen ihre Produktion dementsprechend kontinuierlich an – auch außerhalb des jährlichen Planungsprozesses. Hahnel vergleicht den Planungsaufwand für Einzelpersonen mit dem einer jährlichen Steuererklärung – kein Vergnügen, aber auch nicht unzumutbar, da ein Großteil der Komplexitätsreduktion über das mit moderner Technologie ausgestattete IFB stattfindet.

Zusätzlich zum jährlichen Planungsprozess finden mehrjährige Investitions-, Bildungs- und Umweltplanungen statt, die Rahmenbedingungen für die regelmäßigen Planungstreffen schaffen. Ein zentrales Element ist dabei die „Generationengerechtigkeitsklausel“, die das Wachstum des Gesamtkonsums pro Jahr durch einen demokratisch vereinbarten Prozentsatz begrenzt, um künftigen Generationen gleichwertige wirtschaftliche Chancen zu bieten.

Die Entlohnung richtet sich nach individuellem Einsatz und der Attraktivität der Arbeit. Geld wird durch eine nicht übertragbare Währung ersetzt, die als Rechnungseinheit dient, wobei private Geldschöpfung ausgeschlossen ist.

General Catalog – „Amazon-Sozialismus“

Auf Parecon aufbauend schlägt Daniel E. Saros ein dynamischeres und zuweilen als „Amazon-Sozialismus“ bezeichnetes System vor. Statt jährlicher Planungstreffen steht hier eine digitale Plattform im Mittelpunkt, über die die Koordination von Produktions- und Konsumvorschlägen läuft. Selbstverwaltete Betriebe stellen ihre Produkte in diesen „Allgemeinen Katalog“ (General Catalog), der für alle zugänglich ist.

Verbraucher:innen können dort Produkte auswählen, nach Priorität sortieren und ggf. Standardsets für regelmäßig benötigte Artikel anlegen. Die Plattform sammelt die Bedarfsanmeldungen und vergibt Punkte an Betriebe, je nach nachgefragter Menge und Priorisierung. Diese Punkte nutzen Betriebe, um notwendige Ressourcen von anderen Betrieben zu erwerben. Bei hoher Nachfrage erhalten sie mehr Punkte und können ihre Produktion entsprechend ausweiten.

Beschäftigte werden mit credits entlohnt, die ausschließlich für den Konsum genutzt werden können – es gibt keine Profite oder Kapitalanhäufung. Punkte und credits sind also kein Geldersatz, sondern lediglich eine Recheneinheit. Das Einkommen richtet sich nach Erfahrung, Arbeitsaufwand und der Attraktivität der Tätigkeit.

Die Planung erfolgt zyklisch in fünf Phasen:

  1. Verbraucher:innen registrieren ihre Bedürfnisse. In der Praxis wäre das in etwa damit vergleichbar, Produkte auf der Amazon-Website auszusuchen und auf die Wunschliste zu setzen.
  2. Betriebe erhalten Punkte für nachgefragte Produkte.
  3. Mit diesen Punkten erwerben sie benötigte Ressourcen.
  4. Produktion und Verteilung.
  5. Verbraucher:innen kaufen die Produkte ähnlich wie heute in einem Geschäft oder online.

Die Betriebe legen je nach tatsächlicher Nachfrage die Preise fest, um eine vollständige Verteilung der Güter zu gewährleisten. Es soll möglich sein, Produkte zu kaufen, für die man keinen Bedarf angemeldet hat, jedoch erhält man einen deutlichen Bonus für den Kauf angemeldeter Produkte. Dies ist ein Anreiz, seine Bedürfnisse möglichst sorgfältig im Voraus zu kommunizieren und dadurch die Informationsqualität im System zu erhöhen. Wer weniger konsumiert als der Durchschnitt, erhält ebenfalls einen Bonus.

Die Produktionszyklen sind je nach Produkt unterschiedlich lang und überlappen sich, sodass Betriebe kontinuierlich in verschiedenen Phasen tätig sind. Ein Wissenschaftsrat überprüft den Ressourcenverbrauch und legt Obergrenzen für Umweltbelastungen fest.

An der Oberfläche hätte dieses System Ähnlichkeiten mit dem heutigen: Wir würden arbeiten und dafür entlohnt werden, Waren und Dienstleistungen vorbestellen oder in Geschäften einkaufen. Die Prozesse im Hintergrund, die diese ökonomischen Aktivitäten vermitteln, wären jedoch radikal andere.

Beide Modelle wirken kompliziert und sind es im Detail auch. Doch würde man einem vormodernen Menschen unsere heutige Marktwirtschaft (inklusive Finanzsystem) in einem Blogartikel erklären wollen, würde es diesen wohl zuerst auch verwirren. Es gilt, die theoretisch durchdachten Planungsmodelle weiterzuentwickeln und mit Leben zu füllen: durch wissenschaftliche Forschung, Computersimulationen, Planspiele, aber auch durch Kunst, etwa mit Kurzgeschichten, die den Alltag in einem solchen Wirtschaftssystem greifbar machen.

Sicherlich haben die Modelle noch Schwachstellen und lassen manche Frage offen. Sie sollten daher nicht als perfekte Blaupause, sondern eher als konkrete Diskussionsgrundlage verstanden werden. Eine kritische Perspektive auf das Prinzip der vorausschauenden Anmeldung von Bedürfnissen liefert z. B. Grünberg (2023). Andere Ansätze, etwa Negotiated Coordination, kombinieren zentrale und dezentrale Elemente. Es gibt zudem erste Versuche, mehrere Modelle zu fusionieren (z.B. bei Laibman 2022).

Planung für Postwachstum

Beide Ansätze ergänzen die etablierten Degrowth-Prinzipien der Wirtschaftsdemokratie und lokalen Vernetzung mit einem groß angelegten Koordinationsmechanismus. Sie bereichern die Postwachstumsdebatte, indem sie klarere Einblicke in die sozialen Produktionsverhältnisse und die Notwendigkeit von Alternativen zu kapitalistischen Marktmechanismen bieten.

Was beide Modelle eint, ist die Überwindung der Kapitalakkumulation, welche einen der Hauptgründe für den aktuellen Wachstumszwang darstellt. Menschliche Bedürfnisse werden in den Mittelpunkt gestellt. Gleichzeitig werden Anreize für Innovation, Effizienz und eine hohe Informationsqualität geschaffen werden.  Auch die Bevorzugung von öffentlichem gegenüber privatem Konsum in Parecon verträgt sich gut mit der Postwachstumsidee.

Ihre zentralen Mechanismen zur Reduzierung des Ressourcen- und Energieverbrauchs – Parecons „Generationengerechtigkeitsklausel“ und Saros’ Wissenschaftsrat – könnten kombiniert werden, um einen Kompromiss zwischen Effizienz, Praktikabilität und demokratischer Teilhabe zu erzielen.

Die Modelle fokussieren sich auf die Verteilung von quantifizierbaren Produkten und Dienstleistungen. Immaterielle Werte wie soziale Beziehungen und solidarische Gemeinschaften lassen sich jedoch nicht auf die gleiche Weise planen. Technologische Innovationen müssen daher mit sozialen und kulturellen Innovationen ergänz werden, die beim Postwachstumsansatz im Mittelpunkt stehen. In früheren Modellen demokratischer Planung wurden Sorge- und Reproduktionsarbeit vernachlässigt, während sie in der Postwachstumsliteratur eine zentrale Rolle einnehmen. Neuere Parecon-Veröffentlichungen haben sie immerhin teilweise in das Planungsmodell integriert und machen Vorschläge für die Aufwertung von Reproduktionsarbeit.

Im dritten Teil wird es um die Herausforderungen KI-gestützter Planung, Reibungspunkte zwischen hochtechnologischen Planungsmodellen und suffizienzbasierten Postwachstumsansätzen und um Übergangsstrategien gehen.

1 Kommentare

  1. Anonym sagt am 8. Februar 2025

    Es ist eine Herausforderung, ein derart komplexes Thema in verständlicher Weise an den Leser zu bringen. Dem Autoren Leo Schlichter ist dies hervorragend gelungen.

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