Neues aus der Wissenschaft

Postwachstum und Kapitalismus: Ein Widerspruch? (5)

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Der Artikel ist Teil einer Blogreihe zum Verhältnis von Postwachstum und Kapitalismus. #PoWaKap

Woran scheitert transformative Wissensproduktion?

 

Eine Fülle von Studien hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten gezeigt, dass die Art und Weise, wie insbesondere westliche kapitalistische Gesellschaften produzieren, konsumieren und leben, die Kapazitäten des Planeten weit überlasten. Während in vielen Beiträgen die vielschichtigen Zusammenhänge zwischen der Ausweitung kapitalistischer Verwertungslogiken und Kapitalakkumulation sowie der Zuspitzung sozialer und ökologischer Krisen detailreich beschrieben und problematisiert wurden (etwa in der Blog-Reihe auch hier oder hier), wollen wir uns in diesem Beitrag mit einem oft nur vage angedeuteten Problemkontext für eine sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaften auseinandersetzen: Den schlechten Voraussetzungen für gesellschaftskritische Forschung in den institutionellen Rahmenbedingungen kapitalistischer Wissenschaftssysteme, die durch neoliberale Umstrukturierungen und Universitätsreformen der letzten Jahre und Jahrzehnte geprägt sind.  

1. Verwettbewerblichung der Hochschulen 

Die mit dem auslaufenden 20. Jahrhundert beginnende Transformation des universitären Selbstverständnisses von einer staatlichen Bildungseinrichtung hin zu wettbewerbsfähigen Unternehmen ist hinlänglich beschrieben worden (z.B. von Richard Münch). Universitäten sollten marktförmig agieren und um Studierende, Ansehen und Forschungsgelder konkurrieren. Gefördert wurde dies u.a. durch das Narrativ, dass Wettbewerb Produktivität und Innovation steigere. Die Idee der “unternehmerischen Hochschule”, die als Zielvorstellung für diese Transformation des Universitätssystems dient, ist somit eine weitreichende Kommodifizierung von wissenschaftlichem Wissen und ging mit einer Reihe von weitreichenden Reformen einher. Dabei ist insbesondere die Rolle von Metrisierung und wettbewerbsorientierten Evaluationskriterien zentral. Diese befördern als neoliberale Herrschaftstechnik nicht nur eine enorme Individualisierung von wissenschaftlichem Output und somit eine Vereinzelung von Wissenschaftler:innen, sondern auch die Subjektivierung von Wissenschaftler:innen als Konkurrenzsubjekte. Wissenschaftlicher Wettbewerb ist somit nur noch vordergründig ein Wettbewerb der Ideen und kreativen Forschungsansätze, sondern vielmehr ein nach externen, aus der Logik “unternehmerischer” Verwertungsvorstellungen organisierter, Kampf um Publikationen, Impact-Punkte, Drittmittel und wenige Dauerstellen.
Zugleich sind Universitäten im deutschsprachigen Raum noch immer weitreichend vom Modell der Ordinarienuniversitäten mit starkem hierarchischem Gefälle geprägt. Somit verbinden Universitäten in vielen Bereichen ein problematisches Neben- und Miteinander von neo-feudaler Herrschaftslogik mit neoliberaler Flexibilisierung und Prekarisierung: Somit das schlechteste dieser beiden Welten und wohl kaum ein guter Nährboden für gesellschaftskritische und zukunftsgerichtete Lehre und Forschung. 

In unserem Beitrag argumentieren wir, dass diese Transformation hin zu einer “kapitalistischen Akademia” eine universitäre Wissenslandschaft geschaffen hat, in der die Steigerung von Output zum Selbstzweck geworden ist, und dabei immer weniger in der Lage scheint, zur Lösung der zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen – insbesondere eine sozial-ökologischen Wandels – beizutragen.  

2. Immanenter Wachstumszwang in der kapitalistischen Akademia 

Mit der Umgestaltung des Universitätssystems der kapitalistischen Akademia folgt Wissensproduktion in letzter Konsequenz der Logik von Kapitalakkumulation (kulturell, symbolisch, ökonomisch). Somit ist der kapitalistischen Akademia ein Wachstumszwang inhärent. Sie ist dazu gezwungen, kontinuierlich ein Mehr an Journalbeiträgen, an eingeworbenen Drittmitteln, Awards, Grants, aber auch Studierenden zu produzieren, um im Wettbewerb um Ressourcen und Anerkennung erfolgreich sein zu können. Da die Verteilung von staatlichen Mitteln an Leistungskriterien wie Drittmitteleinwerbungen, Publikationen oder auch prüfungsaktiven Studierenden bemessen wird, sind Universitäten veranlasst, kontinuierlich ihre Leistung in diesen Punkten zu steigern. Zugleich wurde mit der Metrisierung und Standardisierung von Wissensproduktion und der steigenden Bedeutung von Rankings auch jene neoliberalen Herrschaftstechniken geschaffen, die den immanenten Wachstumszwang institutionell festzurren. Dieser Wachstumszwang wird auch durch die Beschäftigten selbst angetrieben, die im Zugang zu Fördermitteln und Stellen entsprechende Publikationsaktivität und Antragserfolge vorweisen müssen. Andere akademische Leistungen – wie die Lehre, die Arbeit in demokratischen Gremien der Selbstverwaltung oder die wissenschaftlich fundierte Beteiligung an öffentlichen Debatten – werden, wenn überhaupt, nur minimal honoriert. Wir haben also eine Gemengelage aus Universitäten, die Druck auf ihre Beschäftigten ausüben, damit die relevanten Kennzahlen gesteigert werden, und Beschäftigten, die in dem Glauben, im Gegenzug für Forschungsleistungen Anerkennung und Absicherung zu bekommen, dieses “Spiel” (Pierre Bourdieu spricht von der “illusio” des Feldes) mitspielen und vorantreiben.  

Wissensproduktion in der kapitalistischen Akademia folgt somit einer umfassend verstandenen Marktlogik und dem meritokratischen Versprechen, dass sich in diesem System letztlich die “besten”, “effizientesten”, “produktivsten” und “innovativsten” Forscher:innen und Universitäten durchsetzen würden. Die Folge ist ein enormes Wachstum an wissenschaftlichem Output in Form von (weitgehend englischsprachigen) Zeitschriftenbeiträgen und Forschungsanträgen, also genau jene Wissensprodukte, die in der kapitalistischen Akademia nachgefragt werden. So sind etwa Zeitschriftenbeiträge in den Sozialwissenschaften zwischen 2011 und 2019 in den USA um ca. 36% gestiegen. Profiteure dieser Entwicklung und der Kommodifizierung von überwiegend staatlich finanziertem Wissen waren wiederum vor allem eine kleine Anzahl an privaten Wissenschaftsverlagen, die teilweise enorme Profitraten von 40% aufweisen. Zugleich hat sich das Budget der deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der wichtigsten Drittmittelgeberin an deutschen Hochschulen, seit 2010 etwa verdoppelt und liegt aktuell bei 3,6 Mrd Euro. Ähnliche Entwicklungen zeigen sich auch beim Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. Damit werdenden Erfordernissen kapitalistischer Akademia folgend, finanzielle Ressourcen immer mehr wettbewerbsorientiert vergeben. Durch den drastischen Anstieg an befristet beschäftigten Wissenschafter:innen in den letzten Jahren konkurrieren zugleich immer mehr Forscher:innen um diese Ressourcen, was trotz steigender Mittel zu fallenden Erfolgsraten führt.  

3. Wachstumszwang fördert marktkonformes Wissen 

Der vorhin beschriebene inhärente Zwang zur Steigerung von Drittmittelförderungen, Publikationen und damit Positionierungen im Wissenschaftssystem haben auch Auswirkungen auf die Art, welches Wissen produziert wird. Die Logik des Marktes, die – wie wir gezeigt haben – weite Bereiche der Wissenschaftsorganisation und Produktion erfasst hat, fördert die Vorstellung, dass gute Forschung durch Markterfolge, also die erfolgreiche Einwerbung von Drittmitteln, bestätigt wird. Der Marktwert in Form von Drittmitteleinwerbungen, aber auch Publikationen in wissenschaftlichen Zeitschriften wird zum Gradmesser für Qualität und Innovation. Es gibt jedoch viele Hinweise, dass dieses System eher das Gegenteil zu produzieren scheint. Der Wettbewerbsdruck trägt dazu bei, dass Wissenschafter:innen an marktliche Verwertbarkeit ausgerichtete Strategien entwickeln, um ihre Chancen auf Förderungen und Akzeptanz von Publikationen zu erhöhen. Darunter leiden insbesondere Forschungen, die nicht dem aktuellen “Trends” innerhalb einer Wissenschaftscommunity entsprechen, Fragestellungen, deren Beantwortung mehr als die übliche 3-Jahres Taktung von Forschungsgeldern benötigt, oder sich kritisch gegen den “mainstream” wenden.  

Darüber hinaus trägt die stark angestiegene Unsicherheit und Prekarität universitärer Beschäftigung zu einer Homogenisierung der Wissenschafter:innen bei. Soziale Herkunft, aber auch Geschlecht, werden hier wieder zu einem entscheidenden Faktor und damit Exklusionsmechanismus, wenn es darum geht, ob und wie lange man diese Phasen der Unsicherheit durchhalten kann. Veränderungen in der sozialen Zusammensetzung der Wissensproduzent:innen haben aber wiederum unmittelbare Auswirkungen auf das produzierte Wissen, da die eigene Soziobiographie wie eine “Schranke” (Bourdieu) wirkt, die implizit Einfluss auf die gewählten Forschungsgegenstand, Fragestellungen aber auch Interpretation von Forschungsergebnissen nimmt.  

Das Wettbewerbsprinzip hat entgegen anders lautender Narrative vielfältige destruktive Wirkungen auf die Beschäftigten, aber eben auch auf die Wissensproduktion selbst. Doch gerade zur Bewältigung der  Herausforderungen, mit denen unsere Gesellschaft durch Klimakrise und andere Krisenerscheinungen konfrontiert ist, müssen Universitäten Räume für innovative und kreative Auseinandersetzungen schaffen, die Auseinandersetzung zwischen Forschung und Gesellschaft fördern und die gleichberechtigte Teilhabe von Forschenden mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen und Lebensrealitäten sicherstellen, damit das produzierte Wissen nicht nur die Interessen herrschender Klassen widerspiegelt. Entgegen einer neoliberalen Logik geschieht das nicht über ein immer höheres Ausmaß an Druck und Prekarisierung für die Beschäftigten, sondern über eine angemessene Grundfinanzierung der Universitäten, Investitionen in Grundlagenforschung und guten Arbeitsbedingungen für Beschäftigte, die es ihnen erlauben auch Risiken des unsicheren Ausgangs und Scheiterns einzugehen.  

4. Eine Universität für das 21. Jahrhundert 

Wir stehen aktuell vor der zentralen gesellschaftlichen Herausforderung, wie eine sozialökologische Transformation gestaltet werden kann. Die sich überlagernden multiplen ökologischen, sozialen und ökonomischen Krisen zeigen eindrücklich, dass westliche kapitalistische Gesellschaften radikal verändert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist ein Nachdenken über zukunftsgerichtete und diesen multiplen Herausforderungen gerecht werdende Neuorganisation von Wirtschaft und Gesellschaft von zentraler Bedeutung. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es dabei nicht aus dem “Elfenbeinturm” heraus eine Richtung vorzugeben, diese hat unter demokratischer Beteiligung der Bevölkerung in einem politischen Prozess zu erfolgen. Wir sehen die wesentliche Aufgabe öffentlich finanzierter Wissenschaft vielmehr darin, sich verstärkt in den Dienst der Gesellschaft zu stellen, und auf der Basis wissenschaftlicher Methoden Probleme zu analysieren und damit Wissen zu generieren, das die Gesellschaft dabei unterstützen kann, die drängendsten Herausforderungen für die Zukunft zu lösen, und bei der Bewältigung gegenwärtiger Krisen zu helfen. Klaus Dörre spricht in diesem Zusammenhang von der Notwendigkeit einer “breiter angelegten, interdisziplinären Transformationsforschung”.  

Dieser Aufgabe kommen Universitäten nur in unzureichendem Maß nach. Vielmehr wurden durch Universitätsreformen der letzten Jahre und die nach metrischen Kriterien gestalteten Erfordernisse für marktkonforme Wissensproduktion die Rahmenbedingungen für kritische und zukunftsgerichtete Wissenschaft maßgeblich verschlechtert. Sozialökologische Transformation erfordert allerdings eindringlich eine Wissenschaftskultur, die die gesellschaftliche Verantwortung akademischen Wissen nicht länger negiert, sondern institutionellen Rahmenbedingungen schafft, die radikal-innovative Forschungsansätze abseits des wissenschaftlichen Mainstreams ermöglicht.  

Der Unmut über den derzeitigen Zustand des Wissenschaftssystems der kapitalistischen Akademia, der sich in Protestbewegungen und Initiativen wie dem „Netzwerk für Gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft“ (NGAWiss) in Deutschland oder dem „Netzwerk Unterbau Wissenschaft“ (NUWiss) in Österreich regt, weist damit nicht nur auf schwerwiegende Missstände an Universitäten im deutschsprachigen Raum hin. Vielmehr sind die zentralen Forderungen nach einer Demokratisierung der Universitäten und einer Abkehr von Wettbewerbs- und Verwertungslogiken wissenschaftlicher Forschung als sich formierender Widerstand gegen kapitalistische Akademia zu verstehen. Eine Universität des 21. Jahrhunderts muss somit nicht nur die gesellschaftliche Verantwortung von Wissenschaft wahrnehmen, sondern sich auch aktiv gegen den Wachstumszwang kapitalistischer Kapitalakkumulation positionieren. 

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