Standpunkte

Postwachstum und Gutes Leben

Kommentare 2

Gegenentwürfe zur Globalen Krise

Wir stützen uns auf ein Nord-/Süd-Kolloquium, eine Publikation mit Gegenentwürfen zur Globalen Krise, eine Festigung in 10jähriger Austauschpraxis mit sozialen Bewegungen aus Lateinamerika und mit internationalistischen Zusammenhängen wie dem BUKO. Als Kondensat ist 2021 der Blogbeitrag Her mit dem Guten Leben – Gegenentwürfe zur Globalen Krise entstanden, den wir mittlerweile vielfältig auf Veranstaltungen diskutiert haben. Als Fazit dieser Diskussionen sind die nachfolgenden Thesen für eine zukünftige Postwachstumsgesellschaft entstanden. Wir freuen uns über kritische Kommentare und weiterführende Diskussionen. 


1. Grundlage der Gesellschaft muss eine andere Haltung zur Natur und zum arbeitenden Menschen sein, die sich an den Prinzipien des buen vivir orientiert, eine Kultur der Genügsamkeit, in der die Menschen sich als Teil der Natur sehen und in der Naturerhalt, nicht Naturbeherrschung im Zentrum steht. 


2. Diese Haltung kann sich nicht allein als individuelle ethische Haltung manifestieren, indem wir als Marktteilnehmer*innen die „richtigen“ Entscheidungen über den Kauf von Produkten treffen; diese Haltung muss sich auch in der stofflichen Bearbeitung der Natur zur Befriedigung unserer Bedürfnisse, also in der Produktionssphäre niederschlagen. Statt diese Produktionssphäre privatwirtschaftlichen Akteuren zu überlassen, für die die Natur nur totes Rohstofflager und die Arbeitenden nur Kostenfaktoren und Ressourcen darstellen, muss sie gesellschaftlich reguliert werden. Dies kann und muss über gesetzliche Regelungen geschehen, die die Produzierenden verpflichten, möglichst hohe ethische und ökologische Standards einzuhalten, wie z.B. mit einem umfassenden Lieferkettengesetz. Die Gesellschaft muss sich wieder zum kollektiven Souverän machen, indem sie über Produktion -Natureingriffe, Arbeitsbedingungen, Arbeitsprozesse und Produkte- entscheidet, auf allen Ebenen: im Arbeitskollektiv, Betrieb, Unternehmen, als auch im nationalen und globalen Maßstab. Tierwohl, Bodennutzung, Wasserrechte etc. müssen der privaten Verfügung entzogen werden. Der Weg dahin kann über die Erweiterung der Mitbestimmung, über Wirtschaftsdemokratie, über Betriebe der Gemeinwohlökonomie gehen, er kann an Bedürfnisfragen mit Mehrheitsplebisziten wie „Deutsche Wohnen enteignen“, RWE verstaatlichen o.ä. durchgesetzt werden. 


3. In der Marktwirtschaft allein kann das Klima nicht gerettet werden, auch nicht mit grüner Marktwirtschaft. Das sogenannte qualitative Wachstum, bei dem mit Effizienz und Konsistenz der Verbrauch reduziert wird und trotzdem Wachstum und Wohlstand zunimmt, ist eine Illusion, wenn es nicht von einer breiten demokratischen Debatte um die Bedürfnisse, um Suffizienz und?unseren Lebensstil begleitet wird. Wir müssen bestimmen, was unser Ansatz für das Gute Leben ist., Was sind unsere Bedürfnisse, wie können sie innerhalb der planetaren Grenzen realisiert werden? Welchen Ballast können bzw. müssen wir abwerfen? Wie wollen und können wir das umsetzen? 


4. Der Politik, Wirtschaft und Interessengruppen durchsetzende Wachstumsfetisch, der sich zwangsläufig aus dem Kapitalismus ergibt, muss beendet werden. Er führt gleichzeitig zum exponentiellen Ressourcenverbrauch und zur weiteren Verschärfung von Ungerechtigkeit. Instrumente dafür sind: 

  • wachstumsentkoppelte Sicherungs- und Versorgungssysteme wie bedingungsloses Grundeinkommen oder Bürgergeld
  • radikale Arbeitszeitverkürzung, um Zeitsouveränität zu gewinnen
  • eine neue Balance zwischen Fremdversorgung und Selbstversorgung
  • eine Reduzierung der industriellen Produktion auf nachhaltige langlebige Produkte, auf Reparatur, Upcycling und Stoffliches Recycling auf der Basis demokratischer Entscheidungen
  • Aufwertung von Tätigkeiten in der Care Arbeit, dem Umweltschutz und anderer selbstbestimmter, nicht lohnarbeitsorientierter Tätigkeiten 


5. Der Ausbau einer sozialen öffentlichen Infrastruktur hilft die soziale und die Klimagerechtigkeit erst einmal wieder herzustellen: indem ein kostengünstiger flächendeckender ÖPNV die Mobilitätsbedürfnisse abdeckt, eine ressourcenschonende ökologisch verträgliche kleinbäuerliche Landwirtschaft bevorzugt zur öffentlichen Nahrungsmittelversorgung zur Verfügung steht, Flächen für Wohnraum gerecht verteilt sind, kurz: Klimagerechtigkeit in allen Bereichen erreicht wird. Dabei muss klimaschonendes Verhalten in allen gesellschaftlichen Entscheidungen Vorrang vor schädlichem Verhalten gewinnen: Zu Fuß gehen muss Vorrang vor Autofahren, Bahnfahren vor Fliegen, kleine gut gedämmte Wohnungen vor Villen, Gemüse vor Fleisch erhalten. Zur Finanzierung braucht es eine gesellschaftliche Umverteilung, den Abbau klimaschädlicher Subventionen und den Aufbau einer sozial- und umweltverträglichen Infrastruktur. 


6. Zur Demokratisierung des urbanen Lebens halten wir alle Formen der Entwicklung kollektiver Räume von unten für wichtig, insbesondere die Rückeroberung der öffentlichen Räume von den Investor*innen. Dabei müssen Stadtteilzentren, Nachbarschaftsheime, gemeinwohlorientierte Versammlungsräume Kristallisationspunkte werden, in denen Relokalisierung von Demokratie stattfindet, indem Zukunftsentwürfe für Leben und Arbeiten im Stadtteil und die sozialökologische Transformation (Mobilität, Wohnen, Ernährung) entwickelt werden. 


7. Wir müssen uns selbst als kollektive ökonomische Subjekte organisieren. Für die Unterstützung der sozialökologischen Transformation sind besonders nichtkapitalistische gemeinwohlorientierte Initiativen um den Betrieb von Gemeingütern notwendig: Urbane Gärten, Repair Cafes, Lastenradverleiher*innen, Bürger*innenenergiegenossenschaften, Wohnungsbaugenossenschaften, Initiativen einer Sharing Economy und alle Formen gemeinnütziger, kollektiver Betriebe. 


8. Parallel dazu sind neue Indikatoren und Messgrößen für sozialen Wohlstand zu entwickeln, die sich vom wachstumsorientierten Bruttoinlandsprodukt lösen. 

2 Kommentare

Schreibe einen Kommentar zu Klaus Heß Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.