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Ohne Wachstum keine Arbeit?

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In einer nachhaltigen Postwachstumsökonomie gibt es viel zu tun. Ziel ist, dass alle einen sinnvollen Beitrag leisten können und gleichzeitig in Zeitwohlstand leben können. Welche Determinanten bestimmen das volkswirtschaftliche Arbeitsvolumen in einer nachhaltigen Postwachstumsökonomie = Gemeinwohl-Ökonomie?

  1. Viele Arbeitsplätze, die unnütze oder schädigende Waren oder Dienstleistungen produzieren, fallen gänzlich weg: SUV, Getränkedosen, Laubsauger, Werbung oder Gentechnik-Saatgut. Durch das Wegfallen dieser Produkte, deren Produktion und Konsum das Gemeinwohl mindern, sinkt das volkswirtschaftlich nachgefragte Arbeitsvolumen zunächst, vielleicht sogar um die Hälfte.
  2. Viele nützliche Dinge und Dienstleistungen werden morgen ressourceneffizienter hergestellt, was bedeuten kann, dass die Arbeitsproduktivität sinkt, z. B. biologische Nahrungsmittel, Kleidung oder Reparaturdienstleistungen. Dadurch steigt das volkswirtschaftlich nachgefragte Arbeitsvolumen.
  3. Der gesamte Bereich der Reproduktion oder Care-Arbeit: die Betreuung von Kindern, Kranken, SeniorInnen und sonst pflegebedürftigen Menschen wird in die ökonomische Betrachtung, Bewertung und Entlohnung aufgenommen, wodurch das volkswirtschaftlich nachgefragte Arbeitsvolumen stark ansteigt.
  4. Umfragen zufolge wollen Menschen um rund zehn Prozent weniger Zeit für die Erwerbsarbeit aufwenden, damit für andere sinnstiftende Arbeitsfelder – Eigenarbeit, Beziehungsarbeit, Gemeinwesenarbeit und Freizeit – ausreichend Zeit bleibt. Durch die Verkürzung der Regelerwerbsarbeitszeit um zehn oder zwanzig Prozent steigt das pro Kopf nachgefragte Arbeitsvolumen entsprechend.
  5. Zur Umsetzung des Ziels der Vollbeschäftigung müssten jene 10 Prozent des Arbeitsvolumens verteilt werden – dieser Teil der Erwerbsbevölkerung ist heute erwerbsarbeitslos: Durch ihre Integration in den Erwerbsarbeitssektor sinkt das pro Kopf nachgefragte Arbeitsvolumen.
  6. In einer stärker am Gemeinwohl orientierten Gesellschaft wird eine größere Zahl von öffentlichen Gütern produziert: öffentlicher Verkehr, Bildung und Gesundheit, die oben beschriebene Care-Arbeit, Pflege öffentlicher Räume, was das volkswirtschaftlich nachgefragte Arbeitsvolumen abermals steigen lässt.

Diese Auflistung zeigt, dass dem Verlust „sinnloser“ Arbeitsplätze in einer nachhaltigen Postwachstumsökonomie durch ein Vielfaches an zusätzlichen sinnvollen Arbeitsplätzen kompensiert werden. Es ist sogar zu hoffen, dass langfristig mindestens 50 Prozent aller Arbeitsplätze wegfallen, damit alle sinnvollen Arbeiten erledigt werden können und den Menschen dennoch ausreichend Zeitwohlstand bleibt.

Messen, was zählt

Dafür ist es notwendig, direkt das zu messen, was wir brauchen. Die heute üblichen ökonomischen Erfolgsindikatoren BIP (Makroebene) und Finanzgewinn (Mikroebene) tun dies nicht – sie sind Geldaggregate, die nichts über Nutzwerte oder die Befriedigung von Grundbedürfnissen aussagen. In der Gemeinwohl-Ökonomie würden sie deshalb von Gemeinwohl-Produkt (Makroebene) und Gemeinwohl-Bilanz (Mikroebene) abgelöst, die direkt das messen, was Menschen zur Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse benötigen und was Sinn stiftet. Dann werden nicht jene Arbeiten vorrangig verrichtet, die den Finanzgewinn eines Unternehmens oder das BIP erhöhen, sondern die in der Gemeinwohl-Bilanz und im Gemeinwohl-Produkt positiv zu Buche schlagen.

Gemeinwohl-Bilanz & Gemeinwohl-Produkt

Das Gemeinwohl-Produkt könnte auf der Makroebene Nutzwerte und Grundbedürfnisse messen wie Vertrauen, soziale Eingebundenheit, Gesundheit, Bildung, Wohnung, Zeitwohlstand, Mitbestimmung, Geschlechterdemokratie, Umweltqualität oder subjektive Lebenszufriedenheit.

Die Gemeinwohl-Bilanz misst auf der Mikroebene, wie ein Unternehmen die Grundwerte Menschewürde, Solidarität, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Demokratie gegenüber allen Menschen und Lebewesen, mit denen es in Berührung ist, lebt. Konkret könnte gemesse werden, wie sinnvoll die Produkte sind, wie hoch die Qualität der Arbeitsplätze (Sinnstiftung, Mitbestimmung, Gesundheit, Familienfreundlichkeit), wie gerecht die Erträge verteilt werden, ob Frauen und Männer gleich viel verdienen und wie ökologisch Produktion und Vertrieb sind. In Italien, Deutschland und Österreich habe 2011 die ersten 100 Pionier-Unternhemen ihre Gemeinwohl-Bilanz erstellt. Je besser die Gemeinwohl-Bilanzen der Unternehmen in einer Volkswirtschaft, desto höher auch das Gemeinwohl-Produkt.

2 Kommentare

  1. Christian Felber sagt am 5. Dezember 2011

    Liebe Babette Scurrell,
    vielen Dank für den Kommentar und die beiden Fragen.
    Zur Frage 1:
    Die angeführte Bilanz ist „nur“ meine eigene, alle Dokumente und Beschreibungen zur Gemeinwohl-Bilanz finden Sie auf der Website der Gemeinwohl-Ökonomie:
    http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/unternehmen/pionier-unternehmen/
    Die Bilanz wird unternehmensintern erstellt und extern von den Gemeinwohl-AuditorInnen auditiert.
    Bei der 2. Frage konnte ich das Fragezeichen nicht finden:-)
    Gerne in der nächsten Runde.
    Gemeinwohl-Grüße
    Christian Felber

  2. Die „nachhaltigen Postwachstumsökonomie“, die Christian Felber beschreibt interessiert mich und passt zu vielen Überlegungen für ein Vorsorgendes oder (re)produktives Wirtschaften, die ich gemeinsam mit Kolleginnen vortrage. Ganz einig sind wir uns in dem Punkt, dass eine Postwachstums- und eben deshalb auch postfossile Gesellschaft garantiert nicht unter zu wenig Arbeit leiden wird. Momentan werden Ressourcen für Arbeiten verbraucht, deren Ergebnisse wir nicht wollen (dass Felber darunter auch „Werbung“ aufzählt, finde ich wunderbar) und für das, was wir wollen, ist „kein Geld da“ = dafür wollen die Mächtigen keine Ressourcen zur Verfügung stellen. Bildung, Betreuung, Pflege von Menschen und Natur und Dingen, Kunst und Kultur… Ja, ich stimme Christian Felber zu, die Menschen in einer nicht auf Geld und Konsum orientierten Gesellschaft werden sich zu beschäftigen wissen. Und sie werden auch arbeiten, wenn ihnen keiner mehr verspricht, dass sie dadurch reich werden. Das Parlament der Arbeit oder Parlament der Wirtschaft – wie es bei Felber heißt – wird Richtlinien, Regeln zur Verteilung von Arbeit finden müssen. Damit kommen wir zu den zwei Fragen, die ich an Christian Felber habe:
    1. Wie funktioniert all dies „Messen“. Ein Blick in eine Gemeinwohl-Bilanz (http://www.christian-felber.at/mehr/Gemeinwohl-Bilanz_Testat_Christian-Felber_2011.pdf) erklärt das System nicht. Wer misst was wie? Wir sind uns einig, dass der Markt nur noch Instrument, nicht Ziel des Wirtschaftens sein soll. Aber die Schwierigkeit besteht darin, dass wir noch zu wenige Experimente mit weiteren Instrumenten und Vermittlungsprozessen von Arbeitsteilung und Kooperation haben. Im Netzwerk Vorsorgendes Wirtschaften diskutieren wir Möglichkeiten des Aushandelns von Standards des Umgangs mit der Natur, der Solidarität, der „Wertigkeit“ von Arbeiten. Lösungen fehlen da noch. Insofern scheint mir manche Idee Felbers etwas zu forsch vorgetragen, etwas zu gewiss …
    2. Die Arbeiten zum Vorsorgenden Wirtschaften beruhen auf dem Konzept der „gesellschaftlichen Naturverhältnisse“. Dem liegt ein dialektisches Verständnis von Natur und Gesellschaft zugrunde: Natur als das Andere von Gesellschaft/Kultur und doch nicht ohne sie denkbar. Es gibt keine „ungesellschaftliche Natur“. Wir sind als Menschen Teil der Natur und seit es uns (und damit Gesellschaft) gibt, sind wir mit dem natürlichen System, den verbundenen Ökosystemen verwoben. Eine wesentliche Forderung an Überlegungen zum zukünftigen nachhaltigen ((re)produktiven) Wirtschaften ist es deshalb, dass jede Form des Wirtschaftens seine sozial-ökologischen Voraussetzungen zumindest in gleicher Qualität wieder mitherstellen muss.
    Besonders vielversprechend an der Idee der und Diskussion um die Gemeinwohlökonomie erscheint mir die Breite interessierter Akteure, die Möglichkeit des Experimentierens und das Nachdenken über mögliche Messmethoden.
    Beispiele finden und schaffen, sie reflektieren, diskutieren – so wird sich der (Lern)Prozess (für) eine(r) postfossile(n) Postwachstumsökonomie entwickeln.

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