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Öko-Hedonismus als Ansatz für Suffizienz?

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Seit Mitte Mai läuft in den Kinos der Film „Beuys“, eine Dokumentation über den Künstler Joseph Beuys und sein Werk. Eine seiner zentralen Aussagen lautet: „Jeder Mensch ist ein Künstler“. Kunst ist im Sinne Beuys nicht als etwas, mit dem man sein Wohnzimmer dekoriert, sondern als Freiheit und selbstbestimmtes Leben zu verstehen. Damit widersetzt er sich nicht nur dem bürgerlichen Verständnis von Hochkultur und Kunst, sondern bietet eine lebensphilosophische Perspektive, deren Bedeutung auch im Kontext der Debatte um eine Postwachstumsgesellschaft von großer Relevanz ist.
Kunst als Lebensweise jenseits einer Wachstumsgesellschaft visiert eine qualitative Entwicklung an, für die eine fortwährende materiell-quantitative Entwicklung nicht förderlich, sondern eher hinderlich ist, da sie zu viel Zeit, Aufmerksamkeit und anderweitige Ressourcen beansprucht. Somit bezieht sich eine entsprechende Lebensweise nicht in allen Ausformungen direkt auf das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, welche dringend eine Abkehr vom ewigen Wachstum fordert, indirekt trägt sie aber dazu bei und bietet somit eine nötige Erweiterung der Perspektiven auf eine Lebensweise in der Postwachstumsgesellschaft.

Selbstentgrenzung statt Askese

Wie wäre es also, für Suffizienz nicht mit der Aussage „weil wir die Erde retten müssen“ zu werben, sondern mit „weniger arbeiten, mehr faul rumliegen“? Es würde die Debatte bereichern, es würde Menschen ansprechen, die mit der Idee von Verzicht ihre Probleme haben und es würde an der Grundideologie unserer Gesellschaft, der protestantischen Ethik und ihrem Leistungsparadigma rütteln, auf der letztendlich die Wachstumsgesellschaft aufbaut. Hier liegt auch ein Problem der Argumentation der Öko-Askese: Zu verzichten wurde schon immer von Herrschenden propagiert um materielle Armut zu legitimieren und auch in der kapitalistischen Wirtschaftsweise liegt weiterhin viel Verzicht. Grundbedürfnisse werden zunächst zugunsten eines Produktionsregimes reguliert, um dann später per Konsumakt kompensatorisch befriedigt zu werden. Dies hat schon vor langer Zeit die Kritische Theorie richtig benannt. Deren Ansätze weiter zu denken ist geboten, zumal das Thema Ökologie damals noch wenig Berücksichtigung fand. Eine Selbstbegrenzung aus Gründen der Nachhaltigkeit ist zwar sachlich richtig, aber für viele Menschen nur bedingt attraktiv, da ihr Leben bereits voll von Selbstbegrenzungen ist, um im System mithalten zu können. Der Gegenentwurf ist eine Selbstentgrenzung, die sich von vielen Beschränkungen der materialistischen Lebensweise, welche vorwiegend von Produktion und Konsum bestimmt ist, zu befreien – und ein interessantes Leben zu schaffen. Dies mag für manche im Gärtnern und Reparieren liegen, für andere im Lesen und Schreiben, für wieder andere im reinen Sein des Müßiggangs. Dieser wird sich Sport und Spiel widmen wollen, jene der Musik, andere wiederum der Kunst. Es wird viele Leute geben die noch mehr Zeit auf Technoparties verbringen wollen, nächtelang am Computer sitzen oder dem Motorsport fröhnen. Nicht alles wird unmittelbar umweltfreundlich und naturverbunden sein – aber insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Gesamtressourcenverbrauch reduziert wird, der das Kernproblem der Nachhaltigkeit darstellt.

Der homo oeconomicus in der Hängematte

Die meisten Ansätze zu einem selbstbestimmten, interessanten, freudevollen Leben führen aus der gängigen materialistischen Lebensweise heraus, da sich eigentlich der Aufwand für das Warenglück nicht lohnt. Rein logisch wäre der homo oeconomicus beim heutigen Stand der Technik eigentlich ein Faulenzer und Lebenskünstler.

Ich schlage vor, diesen Ansatz unter dem Arbeitstitel „Öko-Hedonismus“ weiter zu erforschen. Unter der Maßgabe, dass alles was Freude bringt (Hedonismus) erstrebenswert sei, wobei die Maßgabe einer nachhaltigen Entwicklung (Öko) nicht außer Acht zu lassen ist. In der genaueren philosophischen Auseinandersetzung ergibt sich die ökologische Komponente eigentlich direkt aus dem Hedonismus, da Nachhaltigkeit ja die Grundlage für die Freude sichert – aber als Schlagwort klingt Öko-Hedonismus aufregender. Kunst, Kultur, Lebenskunst – hier liegt ein großes Potential mit dem Thema „Glück“ zur Herausforderung der „Nachhaltigen Entwicklung“ beitragen zu können.

1 Kommentare

  1. […] Eine genauere Betrachtung des Konzepts zeigt jedoch, dass Hedonismus wesentlich feiner und überlegter ist und keinesweg auf eine allgemeine Völlerei und Prasserei abzielt. Es geht vielmehr um die Verfeinerung der Lüste und eine wohlüberlegte Lebensführung. Das Streben nach Lust bietet dabei eine plausible Grundlage für die persönliche Lebensführung wie für allgemeine ethische Fragen. Daher im Hedonismus durchaus viel Potential für eine nachhaltige Lebensweise gesehen werden, so lautet zumindest das Plädoyer meiner Dissertation oder hier als kurze Skizze in einem Blogeintrag: http://www.postwachstum.de/oeko-hedonismus-als-ansatz-fuer-suffizienz-20170628. […]

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