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Nur ein Wort – Seulement une parole

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Ein Liebes/Gesellschafts/Postwachstumsroman

Warum Wachstum nicht geht, ist eigentlich kinderleicht zu verstehen: Der Planet ist nicht unendlich groß, und er platzt bald aus allen Nähten.

Und doch ist es nicht ganz so einfach, das Thema unter die Leute zu bringen. Die etablierten Medien sprechen kaum darüber, denn sie sind Teil des Systems. Und alternative Zeitschriften werden fast nur von Leuten gelesen, die sowieso schon überzeugt sind: Wir müssen aufhören zu konsumieren und zu «wachsen».

Mit genau diesem Problem schlägt sich Natascha Wohlmeier herum, eine der Protagonistinnen meines Romans «Nur ein Wort – Seulement une parole».

Sie ist Journalistin und schreibt für eine engagierte Zeitschrift. Ihr ist klar: die Wachstumsideologie ist mit schuld daran, dass ein Manager hundertfünfzig Mal mehr verdient als eine Krankenschwester, dass die Stadt, in der sie lebt (Paris) mit gigantischen Werbungen für schädliche Produkte vollgeklebt ist, dass ihre Zeitgenoss/innen ständig im Stress sind, da von morgens bis abends damit beschäftigt, Geld zu verdienen und es wieder auszugeben. Dass das Klima verrücktspielt, die Felder vergiftet und die Ozeane mit Plastik vollgemüllt sind.

Natascha ist fassungslos angesichts der Sturheit, mit der ihre Kolleg/innen aus den etablierten Medien den Zusammenhang zwischen dem Wachstumswahn und den katastrophalen Zuständen in Stadt und Land übersehen: In den Fernseh- und Radionachrichten folgt auf die Reportage über die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels regelmäßig das Frohlocken eines Autoherstellers über seine guten Umsatzzahlen oder der Börsenbericht oder die Selbstbeglückwünschung der Politiker/innen, die gerade ein Freihandelsabkommen unterzeichnet haben.

Aber was tun, um den Zeitgenoss/innen die Augen zu öffnen und ihnen eine andere Lebensweise schmackhaft zu machen? Angefangen beim Familienkreis: Nataschas zehnjährige Tochter Paola träumt von Disneyland, Einkaufszentren und McDonald’s: die Rüben und Knollen von der Biobauern-Unterstützungsinitiative kann sie nicht mehr sehen. Und Nataschas Mann Victor, obwohl auch Wachstumsgegner, fährt unter verschiedenen Vorwänden überall mit dem Auto hin.

Ihre jüngere Schwester Anna (die eigentliche Hauptperson des Romans) beobachtet Nataschas Bemühungen mit Distanz. Natascha hat recht mit ihrer Analyse, findet sie. Aber sie fragt sich: Wozu der Aufwand, wenn doch alles nur noch schlimmer wird? Die Globalisierungsgegner/innen haben nicht verhindern können, dass die multinationalen Unternehmen fast überall auf der Welt ihr natur- und menschenverachtendes Geschäftsmodell durchsetzen, das Klima spielt trotz Klimaaktivist/innen verrückt. Trotz der Umweltschützer/innen gibt es auf dem ganzen Planeten kaum mehr ein unverseuchtes Plätzchen.

Und ausgerechnet die Wachstumsverweiger/innen, die eine Synthese aller Proteste formulieren, werden verhöhnt: Trotz oder vermutlich eher wegen ihrer klarsichtigen Analyse (Wachstumswahn ist eine Ursache der mannigfaltigen Zerstörung) werden sie, zumindest von Mainstreammedien und Meinungsmachern, als hinterwäldlerische Trottel dargestellt, die in Jurten wohnen und von der Steinzeit träumen.

Anders in Lateinamerika. Anna lernt Pedro kennen, einen politischen Flüchtling aus Kolumbien, und stellt fest: dort werden Wachstumsgegner/innen bitterernst genommen. So ernst, dass man ihr Leben bedroht. Wer sich, wie Pedro, für Landverteilung, Kleinbauern, Lebensmittelautonomie einsetzt, der bekommt Grabkränze ins Haus geschickt. Die Absender, Pedro zufolge: Leute, die zu allem bereit sind, um die gegenwärtige Situation (ungerechte Verteilung, das Land in den Händen vom Agrobusiness) zu erhalten.

Es ist befriedigender, zu kämpfen, wenn man ernst genommen wird, findet Anna. Was natürlich auch motivierend ist: sie verliebt sich in Pedro. (Und er sich in sie.)

Aber was nun? Gemeinsam nach Kolumbien gehen und sein Leben riskieren? In weniger gefährlichen Gegenden versuchen, etwas zu verändern? Aber wie?

Informieren? Debattieren? Demonstrieren?

Eine Alternative vorleben?

Oder alles zugleich?

Der Roman endet wie er begonnen hat: mit einer ganzen Reihe offener Fragen, die die Leser/innen im Idealfall zum Nachdenken anregen. Gerade auch die Leute, die keine theoretischen Abhandlungen lesen würden. Und auch keine alternativen Zeitschriften. Aber vielleicht einen Liebesroman.

 

Christina Talberg: Nur ein Wort – Seulement une parole. Pro-Talk Verlag 2017.
Buch EUR 14,90, eBook EUR 8,99,  ISBN: 978-3-939990-42-0, e-book ISBN: 978-3-939990-43-7 Im Buchhandel oder beim Verlag: http://www.pro-talk-verlag.de/heart/nur-ein-wort.html

https://www.facebook.com/TalbergCh/

Christina Talberg (Pseudonym) arbeitet als Journalistin in Frankreich. Sie hat zahlreiche Reportagen über die französische Degrowth-Bewegung gemacht, und viele Denker und Protagonisten der «Décroissance» interviewt, u.a. Serge Latouche, Paul Ariès, Yves Cochet (ehemaliger grüner Abgeordneter, einer der wenigen Politiker Frankreichs, die offen für Postwachstum eintreten), Vincent Liegey (Mitgründer von Décroissance-Bewegungen und internationalen Degrowth-Treffen), Vincent Cheynet (Gründer und Chefredakteur der Zeitschrift «La Décroissance»). Christina Talbergs Kurzgeschichten sind in verschiedenen Anthologien erschienen. Mit «Nur ein Wort – Seulement une parole» legt sie ihr Romandebüt vor.

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