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Nachhaltigkeitsstrategien für eine gerechte Gesellschaft

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Auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft müssen ökologische Schäden wie Treibhausgasemissionen begrenzt und drastisch reduziert werden. Viele Akteure aus Wirtschaft und Politik streben ein grünes Wachstum an, also eine absolute Entkopplung von ökologischen Schäden und Wirtschaftswachstum. Empirische Forschung zeigt jedoch, dass diese absolute Entkopplung (in ausreichendem Umfang und angemessener Geschwindigkeit) unwahrscheinlich ist.

Vor diesem Hintergrund weisen wachstumskritische Akteure auf die Notwendigkeit einer Abkehr von dauerhaftem Wirtschaftswachstum und einer Begrenzung des generellen Produktions- und Konsumniveaus (zumindest im Globalen Norden) hin. Die Debatte um Degrowth und Postwachstum bezieht sich dabei wiederholt auf Nachhaltigkeitsstrategien, insbesondere auf Effizienz und Suffizienz. Effizienzsteigerungen werden dabei als defizitäres Instrument im Paradigma des grünen Wachstums kritisiert, während Suffizienz als natürlicher Verbündeter einer wachstumskritischen Perspektive erscheint. In diesem Beitrag soll auf Basis des Rahmenkonzepts der Nachhaltigkeitsstrategien (siehe Hartmann, 2025) der Frage nachgegangen werden, welche Nachhaltigkeitsstrategien der Transformation zu einer Postwachstumsgesellschaft als effektive Hebel zur Verfügung stehen.

Abb. 1: Nachhaltigkeit als Co-Management von ökologischen Schäden und zentralen Fertigkeiten.

Mit dem Begriff Nachhaltigkeitsstrategien wurde bisher die Triade aus Effizienz, Konsistenz und Suffizienz bezeichnet. Es herrscht ein intuitives, aber vages Verständnis von Nachhaltigkeitsstrategien vor, da eine entwickelte konzeptuelle Grundlage bisher fehlte. Es ist somit zunächst notwendig zu klären, was Nachhaltigkeitsstrategien eigentlich sind und wie sie zu Nachhaltigkeit beitragen können.

Ausgehend von einer Suffizienz-basierten Perspektive des ‚Genug‘ ist Nachhaltigkeit ein Zustand, in dem es 1) genug, aber nicht zu viele ökologische Schäden und 2) genug, aber nicht zu wenig Befriedigung zentraler Fertigkeiten (central capabilities) und grundlegender Bedürfnisse aller Menschen gibt. Der Begriff der zentralen Fertigkeiten geht auf die Arbeit der Philosophin Martha Nussbaum zurück. Dabei handelt es sich um bestimmte Möglichkeiten des menschlichen Seins und Handelns, die Nussbaum als zentral für ein würdevolles Leben und eine gerechte Gesellschaft ansieht. Darunter fällt zum Beispiel die Möglichkeit, ein Leben von normaler Länge in Gesundheit führen zu können. Grundlegende menschliche Bedürfnisse wie Nahrung, Unterkunft und medizinische Versorgung tragen zu diesen zentralen Fertigkeiten bei. Das Wesen von Nachhaltigkeit liegt somit im Co-Management von ökologischen Schäden und Grundbedürfnissen. Ersteres ist Ausdruck einer intergenerationalen Gerechtigkeit, die auch Menschen in Zukunft ein würdevolles Leben ermöglicht, währenden Zweiteres auf intragenerationale Gerechtigkeit verweist, die allen Menschen im hier und heute grundlegend notwendige Rechte, Freiheiten, Güter und Dienste bereitstellen will.

Nachhaltigkeitsstrategien sind dann Mechanismen, die zu Nachhaltigkeit beitragen, indem sie entweder ökologische Schäden reduzieren und begrenzen (intergenerationale Strategien) oder aber zur Befriedigung zentraler Fertigkeiten und grundlegender Bedürfnisse beitragen (intragenerationale Strategien). Insgesamt können zehn solche Nachhaltigkeitsstrategien systematisch identifiziert werden, davon fünf intergenerationale und fünf intragenerationale.

Intergenerationale Strategien reduzieren ökologische Schäden

Abb. 2: Die fünf intergenerationalen Nachhaltigkeitsstrategien.

Ökologische Schäden können grundsätzlich durch fünf Strategien reduziert und begrenzt werden, nämlich durch 1) eine Reduzierung der Bevölkerungsgröße (population reduction), 2) Suffizienz (sufficiency) im Sinne einer Verringerung des Konsum- und Produktionsniveaus, 3) Effizienzsteigerungen (efficiency increase), 4) Konsistenzsteigerungen (consistency increase) und 5) regenerative Praktiken (regeneration expansion).

Diese fünf Möglichkeiten sind jedoch unterschiedlich anschlussfähig an eine dezidiert wachstumskritische Perspektive. Die Bevölkerungsgröße ist zwar rein mathematisch ein relevanter Einflussfaktor auf ökologische Schäden. Aufgrund des Massenkonsum im Globalen Norden gepaart mit internationaler Ungleichheit und besonderer Betroffenheit im Globalen Süden erscheint dieser Hebel jedoch als zynisch und wird wiederholt zurückgewiesen. Allgemein muss festgehalten werden, dass Fortpflanzung und Familienplanung individuelle Lebensentscheidungen von gravierender Bedeutung und selbstbestimmte Entscheidungen daher besonders schützenswert sind. Auch Steigerungen der Effizienz werden kritisch betrachtet, insbesondere wegen ihrem inkrementellen Charakter und drohenden Rebound-Mechanismen.

Suffizienz hat eine Art Wahlverwandtschaft mit wachstumskritischen Ansätzen. Konkret werden Praktiken 1) der absoluten Reduktion (absolute reduction) von Konsum und Produktion, 2) der modalen Verschiebung (modal shift) hin zu weniger schädlichen Optionen, 3) der geteilten Nutzung (sharing) sowie 4) der verlängerten Nutzung von Gütern (longevity) diskutiert (siehe Sandberg, 2021). Suffizienz ist an dieser Stelle eng gefasst als Reduktion des Konsum- und Produktionsniveaus, insbesondere im globalen Norden. In der wissenschaftlichen Debatte wird Suffizienz oft vage genutzt und hat verschiedene Verwendungsweisen, die hier aus Gründen der Präzision nicht eingeschlossen werden. Wichtig aus einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsperspektive ist, dass ein bestimmtes Maß an Produktion und Konsum zentral für die Bereitstellung zentraler Fertigkeiten und menschlicher Bedürfnisse sind. Hier liegt eine wesentliche Grenze von Suffizienz: Der notwendige Bedarf an Konsum und Produktion für ein würdevolles Leben der Menschen im Hier und Heute muss sichergestellt werden.

Zusätzlich zu Suffizienz sollten wachstumskritische Ansätze und Akteure daher ihre Perspektive für Konsistenz und regenerative Praktiken öffnen. Um unbedingt notwendige Produkte und Dienstleistungen allen Menschen zur Verfügung stellen zu können, müssen diese möglichst konsistent gestaltet werden – also so, dass der industrielle Metabolismus dabei möglichst synchron mit dem natürlichen Metabolismus ist. Beispiele in diese Richtung sind erneuerbare Energien oder biobasierte, zersetzbare und sortenreine Materialien.

Alle bisher genannten Strategien reduzieren den Zufluss (flow), also die Rate der Zunahme an ökologischen Schäden. Teils haben wir so viele Schäden angesammelt, dass wir den akzeptablen Bestand (stock) überschritten haben. Wenn eine planetare Grenze wie Treibhausgase in der Atmosphäre oder Landnutzungsänderungen erreicht ist, ist eine Verringerung des Zuflusses nicht mehr ausreichend. Vielmehr muss der Bestand durch regenerative Praktiken wieder verringert werden. Beispielsweise müssen Treibhausgase wieder organisch gebunden und Flächen wieder in natürliche(re) Formen überführt werden. Während technische Ansätze wie Bioenergy with Carbon Capture and Storage (BECCS) zu Recht kritisiert werden, sollten biobasierte regenerative Praktiken auch in wachstumskritischen Ansätzen aufgegriffen werden.

Intragenerationale Strategien sichern zentrale Fertigkeiten und Grundbedürfnisse

Abb. 3: Die fünf intragenerationalen Nachhaltigkeitsstrategien.

Auch die intragenerationale Gerechtigkeit sollte bedacht werden. Fünf Strategien können zur Sicherstellung zentraler Fertigkeiten und grundlegender Bedürfnisse beitragen: 1) Befähigung (capability empowerment), 2) Egalisierung (equalization), 3) Steigerungen der Öko-Effizienz (eco-efficiency increase), 4) Ausweitungen ökologischer Schäden (impact expansion), sowie 5) eine Reduzierung der Bevölkerungsgröße (population reduction). Auch hier sind nur bestimmte Strategien für eine wachstumskritische Perspektive geeignet.

Die Einschränkungen der Begrenzung der Bevölkerungsgröße wurden bereits diskutiert und kommen hier erneut zum Tragen. Durch eine Ausweitung ökologischer Schäden kann die Menge an Konsum und Produktion bei gleicher Öko-Effizienz erhöht werden. Diese Ausweitung ökologischer Schäden kann folglich grundsätzlich einen Beitrag zur intragenerationalen Gerechtigkeit auf Kosten der natürlichen Umwelt leisten und wurde historisch umfangreich zur Steigerung des materiellen Wohlstands genutzt. Nachdem ökologische Schäden aber gerade begrenzt und reduziert werden müssen, ist diese Strategie nicht weiter gangbar.

Steigerungen der Öko-Effizienz umfassen Beiträge durch Effizienz, Konsistenz und Regeneration. Um intragenerationale Gerechtigkeit zu fördern, ist Konsistenz wesentlich, um ökologisch gangbare Praktiken zur Befriedigung von Grundbedürfnissen zu erreichen. Darüber hinaus stehen wachstumskritischen Perspektiven noch Egalisierung und Befähigung zur Verfügung. Egalisierung verteilt finanzielle Mittel und materiellen Konsum um, sodass mit demselben sozialen Metabolismus mehr zentrale Fertigkeiten und Grundbedürfnisse befriedigt werden können. In einer Welt mit ausgereizten ökologischen Kapazitäten und unerfüllten Grundbedürfnissen ist Egalisierung als Nachhaltigkeitsstrategie gerecht und geboten. Abschließend bildet Befähigung eine Art Gegenstück zu Suffizienz im oben eingeführten, engen Verständnis: Während Suffizienz überflüssigen Konsum und Produktion streicht, stellt Befähigung sicher, dass alle Menschen all die Rechte, Güter und/oder Services bekommen, die sie für ein würdevolles Leben und zur Sicherstellung ihrer Grundbedürfnisse benötigen. In der Praxis manifestiert sich Befähigung als eine Fokussierung auf wesentliche Bereiche wie Nahrung, Unterkunft, Bildung, Gesundheit und politische Partizipation, auch auf Kosten von Luxuskonsum und Komfort. Darüber hinaus beinhaltet Befähigung den Kampf gegen globalisierte soziale und ökologische Ausbeutung.

Für den Wandel hin zu einer wachstumsunabhängigen, gerechten und nachhaltigen Gesellschaft steht ein differenziertes Instrumentarium an Strategien zur Verfügung. Wachstumskritische Ansätze und Akteure sollten ihre Perspektive weiten und alle anschlussfähigen Strategien einbeziehen, insbesondere Suffizienz, konsistente und regenerative Techniken und Praktiken, Befähigung und Egalisierung.

Weiterlesen:

Der Blogbeitrag basiert auf dem Artikel „Sustainability Strategies: What’s in a Name?“ (Hartmann, 2025). Jetzt lesen (Open Access) unter https://doi.org/10.1002/sd.3443

3 Kommentare

  1. Das ist alles viel zu abstrakt. Es müßten sehr viel konkretere Vorschläge gemacht und Konzepte entworfen werden als die, die hier beschrieben werden. Und das für jeden Wirtschaftszweig, z.B. auch für die Landwirtschaft: diese muß auf Biolandwirtschaft umgestellt werden mit Direktvermarktung auf dem Wege der solidarischen Landwirtschaft wie beim Kattendorfer Hof (www.kattendorfer-hof.de).

  2. Die Diskussion über Nachhaltigkeitsstrategien ist entscheidend für den Übergang zu einer gerechten und nachhaltigen Gesellschaft. Insbesondere die Unterscheidung zwischen intergenerationalen und intragenerationalen Strategien zeigt, wie wichtig es ist, sowohl ökologische Schäden zu reduzieren als auch zentrale Fertigkeiten und Grundbedürfnisse zu sichern.

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