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Nachhaltiger Genuss?

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Wie können wir ein gelingendes Leben für uns alle schaffen, das nicht mit ökologischer Zerstörung einhergeht? Gerade in den letzten Jahren ist diese Frage im Postwachstumsdiskurs zunehmend bewegt geworden. Dabei überrascht es wenig, dass der von jeher sozialwissenschaftlich geprägte Diskurs die individuelle Ebene zumeist nur streift und sich vornehmlich um neue gesellschaftliche Narrative des guten Lebens dreht. In diese Lücke stößt das im letzten Jahr erschienene Buch von Orsolya Lelkes.

Aufgewachsen und ausgebildet zur Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin einerseits im sowjetischen und post-sowjetischen Ungarn, andererseits an der London School of Economics,  überrascht es nicht, dass Lelkes auch im Akademischen Welten zu verbinden sucht. In Sustainable Hedonism verwebt sie Erkenntnisse aus Happiness Economics, angewandter Psychologie, Achtsamkeitspraktiken und altgriechischer Philosophie zu einer Strategie für das persönliche gute Leben. Im Rückbezug auf die aristotelische Deutung von „Hedonismus“ zeigt Lelkes auf, dass mit diesem Begriff mitnichten rücksichtslose Unersättlichkeit bezeichnet sein muss. Die Reduktion von Konsum und die bewusste Anpassung von Lebensstrategien könnten stattdessen sogar zu mehr Lebenszufriedenheit führen. Der Fokus des Buches liegt somit auf dem Individuum. Das für ein gutes Leben essenziell wichtige soziale Umfeld (in Form von Freundschaften, Gemeinschaften und „der Gesellschaft“) wird immer wieder angeführt, aber selten vertieft.

Dabei richtet sich dieses Buch nicht ausschließlich an den Intellekt der Lesenden: Nach einer kondensierten Zusammenfassung der gängigen Kritiken am wirtschaftswissenschaftlichen Mainstream und dem kapitalistischen Narrativ von Erfolg und gutem Leben (Teil 1) sowie einer intensiven Auseinandersetzung mit der Frage, worin ein gutes Leben denn nun eigentlich bestehe (Teil 2), stellt die Autorin im letzten Teil ihre Erkenntnisse in den Kontext der Erfahrungen aus ihrer Tätigkeit als Coach und psychologischen Beraterin.

Ein rein intellektuelles Verständnis vom Guten Leben reicht demnach nicht aus, wir brauchen auch unsere körperliche Wahrnehmung, unsere Intuition und unsere Emotionen. Und wir brauchen kollektive Räume zur spielerischen Erkundung unserer Wünsche, inneren Triebkräfte und Hindernisse für ein gedeihliches Leben. Lelkes beschreibt hier sehr anschaulich und mit Fallbeispielen ihren auf Methoden des Rollenspiels und des Theaters basierenden Ansatz des Theater of the Soul.

Unterm Strich bleibt so ein äußerst spannendes, interdisziplinäres Buch, das zwar auf  philosophischen Schulen und Forschungstraditionen zum Thema Nachhaltigkeit und Lebenszufriedenheit aufbaut, aber in verschiedener Hinsicht mit ihnen bricht. Ein in den Sozialwissenschaften ziemlich neuartiger Ansatz sowie neuartige Methodik. Dabei widersteht Lelkes der Versuchung einen Degrow-your-life Ratgeber zu verfassen. In Form und Sprache dürfte das Buch aber durchaus ein breites Publikum aus den Geistes- und Sozialwissenschaften ansprechen. Das Werk kann so einerseits Menschen ohne Bezug zur Postwachstumsdebatte aus Feldern wie Happiness Economics oder Sozialpsychologie aus ihren Fachbereichen heraus auf Wachstumskritik verweisen und andererseits sozialwissenschaftlich oder aktivistisch geprägte Menschen aus dem Degrowth-Diskurs für individuelle Strategien für ein gelingendes Leben sensibilisieren.

Orsolya Lelkes (2021): Sustainable Hedonism. A Thriving Live that Does Not Cost the Earth. Bristol University Press, 224 Seiten, ISBN: 978-1529217988.

 

Diese Rezension ist zuvor bereits in der aktuellen Ausgabe der Ökologisches Wirtschaften37(1) erschienen.

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