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Mobil bleiben ohne Wachstum

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Der grüne Ministerpräsident Kretschmann hat in einem Interview ausgesprochen, was bisher ein Tabu war: Wenn sich die neue Mobilität durchsetzt, werden weniger Autos gebraucht. Das klingt nicht nach Wachstum im Sinne der Stückzahl verkaufter Autos. Stattdessen plädiert er für nachhaltige Mobilitätskonzepte. Aber was ist damit eigentlich gemeint? Die einen nennen es ’Nutzen statt Besitzen’, die anderen ‚’Fahren statt Haben’. Car-Sharing gibt es schon seit 20 Jahren. Damals haben sich umweltfreundliche Autofahrerinnen und Autofahrer zusammen getan und begonnen, Autos zu teilen. Heute findet man allein in Frankfurt 100 Car-Sharing-Stationen. Autos können heute spontan, ohne Planung oder Buchung entliehen werden. Auch die Stadt Paris hat ein Konzept dazu umgesetzt: Autolib. Inzwischen haben sich auch die Automobilkonzerne diese Idee zu Eigen gemacht: Daimler bietet ‘Car-to-go’ in Ulm und Hamburg, in Austin (Texas) und in Vancouver (Kanada) an. Da können wir uns minutenweise Smarts ausleihen, die wir vorher per GPS angepeilt haben und nach Gebrauch irgendwo in der Stadt abstellen.

Das Angebot von Peugeot in Berlin heißt ‚mu’ – dort können wir gekaufte Kilometer mit beliebigen Fahrzeugen, einschließlich Elektrorollern, abfahren. BMW plant mit seinem Mega-City Vehicle gar, das Auto neu zu denken. Mit dem Trip-Sharing lebt in Deutschland und Europa außerdem die gute alte Fahrgemeinschaft wieder auf und gewinnt – elektronisch gestützt mit Apps auf dem Smartphone – neue Attraktivität (Zum Beispiel auf www.mitfahrgelegenheit.de oder mit der App des Mitfahrclub vom ADAC). All diese Konzepte folgen einem Trend, den auch die Ski-Branche schon kennt. Warum Kaufen und einen Klotz am Bein haben, wenn ich das beste und neueste Material vor Ort leihen und wieder zurück geben kann? Fahrzeuge mehrfach zu nutzen bedeutet weniger Platzverschwendung in der Stadt, aber auch weniger verkaufte Fahrzeuge. Die Automobilindustrie muss sich vom kontinuierlichen Wachstum der verkauften Stückzahl lösen. Die Zukunft der Branche liegt in der Entwicklung und dem Export nachhaltiger Mobilitätskonzepte. Sie muss „grün“ werden, wie auch Kretschmann sagt.

Zu den Veränderungen im Automobilverkehr kommt in den Ballungsräumen ein Fahrradhype, der zu einem ganz veränderten Bild des Fahrradfahrens führt. Zum Beispiel wird der aktuelle Sommer und die damit verbundenen Genüsse in dem Magazin der Süddeutschen eben nicht mit einem roten Cabrio, sondern mit einem Fahrrad symbolisiert. Anders ausgedrückt: Im Zuge eines großen gesellschaftlichen Wandels, der nicht nur mit dem Klimaproblem zu tun hat, erkennen wir: Es ist für unseren künftigen Lebensstil einfach nicht mehr angemessen, dass wir 1,5 Tonnen Stahl in Gang setzen, um 75 Kilo Mensch zu bewegen. Gleichzeitig macht es vor allem Spaß und ist gesund, wenn wir uns selbst per Muskelkraft fortbewegen. Dazu können wir uns die Stadt, in der wir leben, neu aneignen. Kurze Wege, gemischte Nutzungen, hohe Aufenthaltsqualität heißt die Devise. So gewinnen einst verkehrsdominierte Bereiche einer Stadt wieder an Attraktivität und schaffen Raum, der anders genutzt werden kann. Zum Beispiel für Treffpunkte, zum Flanieren oder kulturelle Aktivitäten. Das alles sind die ersten Anzeichen ganz neuer Mobilitätsstile und einer neuen Mobilitätskultur in der Stadt.

Dr. Konrad Goetz

  • wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Soziologe
  • Forschung zu Mobilität und Lebensstile, Spezialgebiet Freizeitmobilität (Promotion)
  • frühere Tätigkeit u.a. als Marktforscher am Sinus-Institut in Heidelberg
  • wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Thema Mobilität begann 1986 mit einer Gratulation zum 100jährigen Geburtstag des Autos mit einem Artikel in der Zeitschrift Psychologie-heute. Titel: Auto-Erotik – 100 Jahre Lust

 

Dr. Konrad Goetz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für sozial-ökologische Forschung. Er forscht zu Mobilität und Lebensstilen, sein Spezialgebiet bildet die Freizeitmobilität (Promotion). Zuvor war er u.a. als Marktforscher am Sinus-Institut in Heidelberg tätig.

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