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Mit Recht ohne Wachstum

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Gegen den gescheiterten Kapitalismus hilft das Recht.

Der globale Kapitalismus ist an den Grenzen planetarer Endlichkeit angelangt. Soll die Erde am Ende des Jahrhunderts ein verträglicher Lebensraum für alle Menschen sein, gelingt das nicht ohne die Befreiung vom Wachstumszwang. In der deutschen Postwachstumsdebatte kommen Rechtswissenschaft und -praxis bisher allenfalls am Rande vor. Ändern wir das!

Die Menschheit steht an einem Scheidepunkt. Zum ersten Mal in der Geschichte blicken wir globalen ökologischen Krisen entgegen, denen wir mit technologischen Mitteln nicht begegnen können. Die Klimakatastrophe ist das bekannteste Beispiel. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), die führende klimawissenschaftliche Konferenz der Vereinten Nationen, geht davon aus, dass die vom Menschen verursachte Erderwärmung Kipp- oder tipping-points erreichen kann, die selbst eigene geophysikalische Prozesse in Gang setzen und so die Erde ohne menschliches Zutun weiter aufheizen [1]. Diese tipping-points werden als irreversibel bezeichnet, da die Menschheit über keinerlei Technologie verfügt, um solche planetaren Veränderungen zu beeinflussen oder gar aufzuhalten. Schon heute bewirkt z.B. das massive Abschmelzen der Eisflächen an den Polkappen, auf Grönland und auf den vielen Gletschern der Erde, dass immer weniger des einstrahlenden Sonnenlichts zurück ins All reflektiert wird. Durch diesen Effekt heizt sich der Planet autodynamisch weiter auf.

Ein anderer gefährlicher tipping-point ist die Freisetzung der riesigen Kohlendioxid (CO2)- und Methanvorkommen in den Permafrostböden, wenn diese Flächen durch die Erderwärmung weiter abtauen. In der Atmosphäre entwickelt Methan einen Treibhauseffekt, der pro Volumeneinheit 25-mal so stark ist wie der von Kohlendioxid. Schmilzt das ewige Eis der Tundra, steigt das dort eingeschlossene Methan, wie heute schon in Kanada zu beobachten, plötzlich und unkontrollierbar auf. Die folgende massive Erwärmung setzt weiteres Gas frei: ein Teufelskreis, bei dem die Menschheit nur tatenlos zusehen kann, wenn er einmal in Gang gekommen ist.

Planetare Endlichkeit

Neben dem Klimasystem gibt es zahlreiche andere Erdsysteme, die für den Fortbestand der menschlichen Zivilisation ebenso wichtig sind wie ein intaktes Klima und die ebenfalls irreversibel geschädigt werden. Unter der Überschrift „Planetary Boundaries“ haben Rockstroem et al. [2] und zuletzt Steffens et al. [3] acht weitere Bereiche planetarer Endlichkeit identifiziert und ihre, teils dramatische, Belastung dokumentiert. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat das Modell unter der Überschrift „Planetare Leitplanken“ in seinem Bericht „Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ verwendet und kommt auf Seite 35 zu folgender Bewertung: „Ein grundlegender Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft ist dringend notwendig, um die Lebensgrundlagen und Zukunftschancen der Menschheit zu erhalten. Klimaschutz ist dabei ein notwendiger, jedoch nicht hinreichender Bestandteil.“ [4].

Der Beirat erkennt damit an, dass es nicht ausreicht, allein die drohende Zerstörung des Klimasystems durch den ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen in den Blick zu nehmen, sondern dass fortschreitende Landnahme, Artensterben (im Jahr 2015 standen auf der Roten Liste der bedrohten Tiere 77.340 Arten) und Überdüngung durch industriell betriebene Landwirtschaft mit ihren Phosphoreinträgen ebenfalls Teil desselben existenziellen Problems der Menschheit sind.

Die Vorstellung der Endlichkeit mag uns bei der Atmosphäre schwerer fallen als bei einer Müllgrube im Boden, die irgendwann klar erkennbar voll ist. Doch im Hinblick auf den Treibhauseffekt verhält es sich trotz des gasförmigen, unsichtbaren Aggregatzustands der vielen Substanzen, die die Menschheit in der Lufthülle als ihrer gemeinsamen, größten und weitgehend unregulierten Deponie entsorgt, ganz ähnlich. Anders als z.B. Schwefeldioxid, das irgendwann als saurer Regen zumindest wieder auf den Boden zurückkehrt, verteilt sich das überschüssige CO2 gleichmäßig und für viele Jahrzehnte in der Atmosphäre und bewirkt dort dauerhaft und jederzeit den Treibhauseffekt, ganz egal an welchem Ort es einst in die Luft gelangt ist.

Die Empirie des Klimawandels…

Für die Analyse sind zwei Aspekte zu unterscheiden: Einerseits das in Paris vereinbarte Ziel, die Erderwärmung tatsächlich auf 1,5° Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen, und andererseits die unterschiedlichen nationalen und internationalen Emissionsziele und gesetzlichen Reduktionsinstrumente (z.B. KlimaschutzG NRW, europäischer Emissionshandel). Zwischen der Temperaturvorgabe und den Emissionszielen besteht eine logische Hierarchie: Das 1,5°-Ziel liefert den Bewertungsmaßstab, an dem die praktische, d.h. geophysikalische Wirksamkeit der nationalen Emissionsziele empirisch zu prüfen ist. Das deshalb, weil in der Atmosphäre eben keine menschliche Übereinkunft, sondern nur die Treibhausgaskonzentration zählt.

Um die Geeignetheit der selbst gesteckten Reduktionsziele und gesetzlichen Klimaschutzpläne sinnvoll bewerten zu können, muss der aktuelle Stand der geophysikalischen Klimaforschung zwingend berücksichtigt werden. In seinem letzten Bericht hat das IPCC ein Restbudget von 270 Mrd. Tonnen Kohlenstoff (C) oder, umgerechnet, 991 Mrd. Tonnen CO2 für die Jahre 2013 bis 2100 berechnet, das die Atmosphäre nach den wissenschaftlichen Modellen höchstens aufnehmen kann, wenn das 1,5°- Ziel mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eingehalten werden soll. Ausgehend von dieser konkreten Kapazität lässt sich leicht das jährliche Treibhausgasbudget für jeden Menschen bestimmen: Aktuell emittiert die Menschheit jährlich mindestens 40 Mrd. Tonnen CO2, mit steigender Tendenz [5]. In den vier Jahren seit der Berichtlegung (2013 bis 2016) waren dies 160 Mrd. Tonnen CO2, also bereits ein Siebtel, die von dem 2013 ausgewiesenen Budget abzuziehen sind, so dass nunmehr ein Gesamtbudget von 831 Mrd. Tonnen CO2 ab 2017 bis zum Ende des Jahrhunderts verbleibt. Aufgeteilt auf 83 Jahre folgt daraus ein jährliches Budget von 10 Mrd. Tonnen CO2. Bei einer über den Rest des Jahrhunderts zu erwartenden Erdbevölkerung von 9 Milliarden Menschen ergibt sich daraus eine jährlich vertretbare Emissionsmenge von einer Tonne CO2 pro Person, somit ein jährliches Budget für alle Menschen in Deutschland von 83 Millionen Tonnen CO2.

… und die deutschen Klimaziele

Diese 83 Millionen Tonnen CO2 sind also eine physische Grenze, die die jährlichen deutschen Emissionen nicht überschreiten dürfen, wenn das in Paris festgeschriebene 1,5°-Ziel auch in der Realität eingehalten werden soll. Betrachtet man die deutsche Treibhausgasbilanz [6], zeigt sich, dass 2015 Deutschland mit 908 Millionen Tonnen CO2 das physikalische Emissionsbudget um das 10-fache überschritten hat. Nicht einbezogen sind dabei „graue Emissionen“, die statistisch anderen Weltregionen für die unzähligen Konsumgüter zufallen, die zwar dort produziert, aber später ausschließlich von den Menschen im Westen konsumiert werden. Die für 2020 von der Bundesregierung gesetzte Emissionsgrenze von 749 Millionen Tonnen übersteigt das tatsächlich verfügbare, nationale Budget um das 9-fache. Bei dieser Zielmarke ist das deutsche Jahrhundert- Budget in weniger als zehn Jahren aufgebraucht. Nichts kann den von der Bundesregierung für 2050 angestrebten Ausstoß von 62,5 bis 250 Millionen Tonnen CO2 – eine Vorgabe mit einer Ungenauigkeit von 400% – rechtfertigen.

Umweltbundesamt, Nationale Treibhausgasinventare 1990 bis 2015 (Stand 02/2017) und Schätzung für 2016 (Stand 03/2017)

Die empirischen Befunde verdeutlichen die Ungerechtigkeit dieser vorsätzlichen Planung: Das Klima ist nur deshalb heute noch nicht ganz zerstört, weil andere Menschen auf der Erde sehr viel weniger emittieren, als ihnen nach dem Budget zusteht. Sie leben in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika und haben nur marginal von fossiler Energie profitiert. Ausgerechnet diese Menschen leben in den Regionen, die heute die gefährlichen Vorboten des Klimawandels durch immer häufigere „Jahrhundert“-Hurrikane, Überschwemmungen und Dürren zu spüren bekommen. Menschen auf Pazifikinseln müssen fürchten, ihren gesamten Staat an das Meer zu verlieren.

Die von der heutigen Erwachsenengeneration gewählten unrealistischen Zielmarken sind aber auch eine Zumutung für alle, die nachkommen: Je mehr heute vom Budget aufgebraucht wird, desto weniger bleibt in Zukunft für die heute bereits geborenen Kinder und Enkel, die dringend zusätzliche Ressourcen brauchen, um die Folgen der Erderwärmung zu bewältigen.

Die Party ist vorbei

Im Vergleich von 2012 zu 2015 hat Deutschland die Emissionen um 3 % reduziert (926 Mio. Tonnen auf 906 Mio. Tonnen). Um das neunmal zu hoch angesetzte 751 Mio. Tonnen-Ziel bis 2020 überhaupt zu erreichen, muss nun eine Emissionsreduktion um gut 17 Prozent gegenüber 2015 realisiert werden. Wie tiefgreifend diese Vorgabe das Wirtschaftssystem treffen muss, lässt der einmalige Emissionsrückgang um 7 % von 2008 zu 2009 erahnen. Dieser Kurzzeit-Effekt beweist das fatale Abhängigkeitsverhältnis zwischen Sozialsystemen, kapitalistischer Marktwirtschaft und Energie- und Ressourceneinsatz [7]. Selbst auf dem Höhepunkt der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem zweiten Weltkrieg, der globale Kapitalismus war akut und existenziell bedroht, reichte es immer noch nicht für mehr Reduktion als 7 Prozent. [8]

Reduktion auf ein Zehntel, das ist die beispiellose Aufgabe unserer Zeit. Noch nie in der Geschichte der Menschheit wurde eine Umkehr in dieser Dimension zivilisiert und rechtsstaatlich verwirklicht. Den konsumorientierten Gesellschaften des globalen Nordens steht ein besonders tiefgreifender Kulturwandel bevor. Soll dieser konstruktiv ablaufen (ein letzter Ausbruch von Gewalt und Krieg würde den Planeten schnell und endgültig verbrauchen), braucht es das Recht, seine Praxis und Wissenschaft. Doch statt nun ihr Instrument Recht als das Werkzeug friedlicher, aufgeklärter Veränderung im kosmopolitischen Postwachstumsdiskurs vorzustellen, verstecken sich Rechtsprechung und Forschung hinter den alternativen Fakten offizieller Klimaschutzkonzepte und wirkungsloser Emissionshandelssysteme, deren naive Ignoranz mich an Erich Honeckers Auftritt zum 40. Jahrestag der DDR erinnert.

Rechtswissenschaft und Postwachstum

Die heutige Rechtswissenschaft geht nicht den notwendigen Schritt weiter und verkennt den empirischen Zusammenhang zwischen kapitalistischem Wachstumszwang und akut kollabierenden Ökosystemen. Es geht nicht mehr allein um Kohlekraftwerke oder Autobahnbau, sondern um Alternativen zu einem durch und durch konsum- und wachstumsabhängigen Wirtschaftskonzept. Undenkbar, dass Menschen weiterhin die knappen Ressourcen mit der Produktion von Tamagotchis und tonnenweise Billigfleisch verschwenden oder bei Wochenendtrips mit dem Flugzeug verfeuern dürfen, weil es sich „rechnet“. Ein einziger Transatlantikflug übersteigt bereits das CO2-Jahresbudget des Reisenden, und trotzdem zahlen Lufthansa & Co. bis heute keinen Cent Mineralölsteuer auf Flugbenzin. Die Logik einer globalen Wirtschaft, in der wenige Menschen alles und 2 Milliarden nichts haben, kann keinen Bestand haben. Diese Party ist absehbar vorbei, so oder so.

Interessant wird es, wenn rechtswissenschaftliche Analysen die Endlichkeit der planetaren Ressourcen und die massive Übernutzung durch die Volkswirtschaften des globalen Nordens anerkennen und auf dieser Grundlage Lösungen vorschlagen. Einen vorsichtigen Schritt macht eine Studie, die in den geltenden zivil- und öffentlich-rechtlichen Bestimmungen nach (Entwicklungs-)Potential für „nachhaltigen Konsum“ sucht [9]. Ihr Fokus lag jedoch leider allein auf den Handlungsmöglichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher und nicht auf strukturellen Anpassungen der maßgeblichen Produktions- und Angebotsseite für eine dauerhaft tragfähige Postwachstumsgesellschaft [10]. Die Autorinnen und Autoren gehen von existierenden Bestimmungen aus und respektieren die Dogmatik und Beständigkeit, die dem sozialen Instrument Recht notwendig zufallen. Zahlreichen Postwachstums- und Klimadebatten fehlt genau diese juristisch-praktische Perspektive. Doch wer sich nur an die große Schuldrechtsreform erinnert, weiß, wie viel Zeit das Recht und seine Praxis benötigen, um Neuerungen zu integrieren, die zentrale dogmatische Stellen betreffen. Jedenfalls ist die Abkehr vom Wachstum eine ungleich größere Intervention als mit § 325 BGB, Schadensersatz nun auch neben dem Rücktritt zu ermöglichen. Es ist daher sinnvoll, die etablierten Wertungen, Regelungen und Argumente als Ausgangspunkte zu nehmen und auf ihre Kompatibilität mit einer Gesellschaft ohne Wachstum zu prüfen. Denn auch dort wird es weiterhin Konflikte, Unfälle und Missverständnisse geben, die es rechtsstaatlich zu bearbeiten gilt.

Kaptialmarktrecht adé

Die Eingriffe werden nicht nur in das Recht schwerwiegend sein: Tauschen statt kaufen, teilen und leihen statt mieten, bewohnen statt besitzen, verschenken statt vermarkten, begrenzen statt ausdehnen, arbeiten statt ausbeuten, übereinkommen statt anordnen, Sinn statt Profit. Fachleute im Kapitalmarktrecht müssen also mit Sicherheit umschulen. Aber viele andere kodifizierte Regeln existieren seit Jahrhunderten und sind universell erhaltenswert, weil sie funktionieren und dem zwischenmenschlichen Ausgleich dienen. Eine rechtsstaatliche Justiz muss auch in einer Postwachstumsgesellschaft organisiert und betrieben werden. Wer, wenn nicht Juristinnen und Juristen, sollte die systematische Überarbeitung des Rechts begleiten und dabei praktisches Wissen aus der alltäglichen Konfliktbearbeitung einbringen? An Konflikten wird es anfangs sicher nicht mangeln, wenn Flugzeuge unten bleiben, Städte für Verbrennungsmotoren gesperrt werden [11] und Wohnungseigentümerinnen und –eigentümer sich nicht mehr mit den Zahlungen ihrer Mieterinnen und Mieter ein bequemes Leben machen können. Doch verliert das Recht dabei seine gesellschaftliche Akzeptanz, ist es schnell nur noch Text auf Papier. Je schwerer der soziale Konflikt, desto wichtiger ist es, transparente, rechtsstaatliche Verfahrensmaximen, Grund- und Menschenrechte hochzuhalten. Wenn in einer Gesellschaft ohne Wachstum individuelle Grundrechte beliebig würden oder die Gewaltenteilung einer vermeintlich notwendigen Autorität weichen sollte, ist nichts gewonnen. Auch ein real existierender Staatsapparat mit 4,6 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst kann nicht ohne das Recht als Ordnungs- und Leitinstrument auf eine proaktiv-nachhaltige Planungs- und Entscheidungspraxis umgestellt werden. Doch was lässt sich alles erreichen, wenn Stadt- und Raumplanung, Wirtschafts- und Kulturbehörden, Schulen und Universitäten das Ende des Wachstums akzeptieren und die (bereits laufenden) Debatten über Alternativen im Rahmen ihrer definierten Zuständigkeiten konstruktiv begleiten und die Umsetzung der dabei erzielten, tragfähigen Ergebnisse fördern würden?

Wandel findet statt

Nach dem Verlassen einer Sackgasse gibt es viele Wege. Als 2004 unter dem Eindruck des vermeintlich erreichten Ölfördermaximums über die Abhängigkeit von fossiler Energie diskutiert wurde, hat der britische Forscher Rob Hopkins das Transition-Town Netzwerk gegründet. Heute wissen wir: An fossilen Energieträgern mangelt es nicht. Allein die Verbrennung der bereits entdeckten Kohle-, Öl und Gasvorkommen würde einen Temperaturanstieg von 6 bis 8° Celsius bis zum Jahr 2100 verursachen. In Wahrheit erzwingt die begrenzte Kapazität der Atmosphäre das Ende der energiehungrigen, globalen Transport- und Wachstumswirtschaft. Mit Hilfe von Lokalwährungen will Hopkins die massive Relokalisierung einer auf das Notwendige zurückgefahrenen Warenproduktion erreichen [12]. Statt industrielle Agrarprodukte um die ganze Welt zu handeln und damit auf Kosten der Ärmsten zu spekulieren, sollen regionale landwirtschaftliche Strukturen eine ökologisch und sozial gerechte Produktion durch freie Bäuerinnen und Bauern ermöglichen. Seit dem Jahr 2005 setzen die Städte Kinsale in Irland und Totnes in England das Konzept mit ihren Einwohnerinnen und Einwohnern um. Die Menschen beteiligen sich gerne an dem Transition-Prozess, der zwar mit „fossil freedom“ ein Ziel, aber kein definiertes Ende hat und überall unterschiedlich verläuft. Innerhalb nur eines Jahres haben sich in Totnes eine Regionalwährung, urbane Gärten, Tauschringe und, nicht zuletzt, mehr demokratischer Dialog und Beteiligung entwickelt.

Auch in Deutschland sind Menschen kreativ, um dem Profit- und Wachstumszwang zu entkommen und dabei vor allem Alltägliches wie Wohnen und Ernährung neu und besser zu regeln. Das Freiburger Mietshäusersyndikat hilft als solidarischer Verband bei der Finanzierung und Verwaltung von Immobilien, die von ihren Nutzerinnen und Nutzer dauerhaft entprivatisiert werden. Seit über 25 Jahren kombiniert man dazu auf sehr praktische Weise klassisches GmbH- mit Vereinsrecht. Bis heute haben über 100 Hausprojekte das Konzept für sich gewählt, die Nachfrage ist groß und steigt. Die Idee ist deshalb so beliebt, weil sie Selbstverwaltung und dauerhafte Eigentumsfreiheit gleichzeitig ermöglicht.

Genossenschaftliche Zusammenschlüsse haben auch in der Landwirtschaft durchaus Tradition. Bei dem Community Supported Agriculture-Modell schätzen die Mitglieder gemeinsam mit den Landwirtinnen und Landwirten die im folgenden Jahr für den Betrieb des Hofes erforderlichen Aufwendungen (Löhne, Materialkosten, Futter etc.). Diese werden dann als monatliche Beiträge auf alle Genossinnen und Genossen umgelegt, die dafür ihre Genossenschaftsanteile in Form wöchentlicher Gemüse-, Milch- und Fleischportionen erhalten. Verteilt wird also immer nur das, was der Hof aktuell hergibt. Das Modell ist ein Beispiel für Landwirtschaft auf Augenhöhe, in einem verträglichen, übersichtlichen Maßstab. Nahrungsmittelskandale, die plötzlich ganz Europa betreffen, gehören der Vergangenheit an.

Sinn statt Profit

Es gibt so viele Arten, Wirtschaft und menschliches Miteinander, die Struktur von Städten und Gemeinwesen neu zu denken, wenn Profit- und Wachstumszwang keine Rolle spielen. Die Frage „Was ist sinnvoll?“ kann ihre eigentliche Bedeutung zurück erhalten. Mit der Stärkung von Normativität gegenüber Profit gibt es für Juristinnen und Juristen viel zu tun. Sie können bei der Suche nach gerechten Abwägungen moderieren, helfen und bisweilen auch entscheiden. Sie können strukturelle Vorschläge zur effektiven, normativen Korrektur von Märkten erarbeiten, so dass lokale Wertschöpfung und eine gerechte, tragfähige Verteilung von Gütern und Dienstleistungen in allen Regionen erreicht werden. Wie lässt sich Arbeit fair verteilen und organisieren, ohne dabei in einer bürokratischen Planbehörde zu versinken? Die verbindliche Anerkennung globaler Zonen der Endlichkeit fordert Rechtsprechung und Wissenschaft gleichermaßen. Wie gelingt ein gerechter Ausgleich der globalen Klimaschäden? Kann die Einführung einer ökologischen Auslegungsmethode helfen, die Umweltfolgen bei Entscheidungen besser zu reflektieren und stärker zu gewichten? Wie sieht ein Grundgesetz nach dem Ende des Wachstums aus? Wie müssen Europa und seine Staaten organisiert werden, um statt der Globalisierung von Waren die Globalisierung des Miteinanders zu fördern? Die Menschheit steht an einem Scheidepunkt. Die Endlichkeit der Welt können wir nicht ändern – uns schon.

 

Literatur:

[1] IPCC: Climate Change 2013: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, 2013, S. 1114ff.
[2] Johan Rockström/Will Steffen/Kevin Noone u.a.: A safe operating space for humanity. Nature, 2009, S. 472-475.
[3] Will Steffen/ Katherine Richardson/ Johan Rockström u.a.: Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet. Science, 2015, Nr. 1259855.
[4] WBGU: Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Eigenverlag, 2011, S. 34ff.
[5] IPCC: Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change. Contribution of Working Group III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, 2014, S. 42.
[6] Umweltbundesamt: Nationaler Inventarbericht 1990 – 2014. S. 989; Umweltbundesamt: Zeitnahprognose für 2015 (Stand: 03/2016), verfügbar unter:
http://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/384/bilder/2_abb_thg-emissionen_2016-11-28.png.
[7] Vgl. dazu: George Monbiot: It’s simple. If we can’t change our economic system, our number’s up. The Guardian, 2014, 27.5.2014.
[8] Umweltbundesamt: Nationaler Inventarbericht 1990 – 2014. S. 168.
[9] Sabine Schlacke/ Michael Stadermann/ Moritz Grunow u.a.: Rechtliche Instrumente zur Förderung des nachhaltigen Konsums – am Beispiel von Produkten. 2012, abzurufen unter: http://www.uba.de/uba-info-medien/4297.html.
[10] WBGU, (Fn. 5), S. 7, 12.
[11] Vgl. dazu VG Düsseldorf, Urteil v. 13.9.2016, 3 K 7695/15.
[12] Rob Hopkins: The Transition Handbook: From Oil Dependency to Local Resilience. Green Books, 2008; und The Transition Companion: Making Your Community More Resilient in Uncertain Times. Green Books, 2011.

 

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift „Forum Recht“, Ausgabe 02/2017 (www.forum-recht-online.de) erschienen.

2 Kommentare

  1. schade, ich hätte mir beim Titel des Artikels mehr erhofft, dass konkreter die bisher bestehenden Möglichkeiten des Rechts beschrieben werden, den Klimaschutz und den Wandel zu einer Postwachstumsgesellschaft voranzubringen.

    Dann hätte ich erwartet, dass die Knüppel beschrieben werden, die uns das Recht auf diesem Weg zwischen die Beine wirft.

    Das das Recht an sich zweischneidig ist, sieht man an Beispielen wie der Entscheidung zum Kohlekraftwerk in Stade, wo auf der Basis der bestehenden Gesetze gesagt wurde, dass es kein Gesetz gibt, dass den Neubau eines Kohlekraftwerks verbietet, obwohl Deutschland den völkerrechtlich bindenen Vertrag des Pariser Klimaschutzabkommens unterschrieben hat, oder an der Entscheidung des Wiener Verwaltungsgerichtes, dass die dritte Startbahn des Flughafen Wiens erstmal untersagt hat.

    • Philipp Schulte sagt am 19. Oktober 2017

      Danke für die Rückmeldung. Und ja, die Analyse darf hier nicht stehen bleiben. Mehr als die „Knüppel“ interessieren mich dabei vor allem die Möglichkeiten, die wohl vor allem auch neues Recht auf dem Weg in eine verträgliche Postwachstumsgesellschaft bieten kann. Die zentrale Forderung des Beitrags geht an die Juristinnen und Juristen, die ökologischen Grenzen in ihr Denken aufzunehmen und Postwachstum mit Blick auf ihre vielen geeigneten Spezialgebiete zu behandeln. Ich denke, die tatsächliche Überwindung des Kapitalismus im Recht ist zu komplex, als dass sie ein Artikel allein vollständig beschreiben könnte. Mir ging es daher in dem Text zunächst darum, Tragweite und Folgen der planetaren Grenzen für unser soziales Leben aufzuzeigen und mögliche rechtlich-soziale Aufgaben- und Forschungsbereiche zu benennen. to be continued soon..!

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