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Mit politischem „Wumms“ digitale Suffizienz fördern

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Wie die Politik eine gemäßigte Digitalisierung unterstützen kann

In der wissenschaftlichen und politischen Debatte zu den Auswirkungen der fortschreitenden Digitalisierung mangelt es an einer systematischen Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Digitalisierung und Suffizienz. Dies war der Ausgangspunkt für die Forschungsgruppe Digitalisierung und sozial-ökologische Transformation, um das Konzept der digitalen Suffizienz zu entwickeln. Der Begriff wurde in dem Buch „Smarte grüne Welt“ etabliert und in der Folge in einem wissenschaftlichen Fachartikel konzeptionell sowie mit Blick auf konkrete Politikoptionen ausgearbeitet. Denn Digitale Suffizienz kann und sollte von der Politik gefördert werden.  

Derzeit stehen allerdings vor allem digitale Effizienzsteigerungen im Fokus, die aufgrund von Rebound- und Induktionseffekten jedoch nicht ihr Nachhaltigkeitspotential entfalten können. Zum Beispiel ist der Gesamtenergieverbrauch des IKT-Sektors zuletzt aufgrund des hohen Strombedarfs von Rechenzentren und Netzen deutlich angestiegen. Effizienz kann also nur dann im positiven Sinne zur Nachhaltigkeit beitragen, wenn Suffizienz die Leitplanken setzt.  

Dieser Blogartikel stellt neben einem kurzen Überblick über die Bestandteile von digitaler Suffizienz ausgewählte Politikmaßnahmen zu ihrer Förderung vor.  

Ausgehend vom allgemeinen Verständnis von Suffizienz als einer absoluten Reduktion von ökologischen Belastungen umfasst das Konzept der digitalen Suffizienz vor allem Strategien, die darauf abzielen, das absolute Niveau des Ressourcen- und Energiebedarfs aus der Produktion oder Anwendung von digitalen Geräten direkt oder indirekt zu senken. Digitale Suffizienz kann in vier Bereichen umgesetzt werden: bei der Gestaltung von Hardware und Software, sowie mit Blick auf individuelle Verhaltensweisen und ökonomische Rahmenbedingungen.  

Hardware-Suffizienz: Indem Hersteller langlebige, reparierbare und aufrüstbare Geräte entwickeln, kann die Lebensdauer von Geräten verlängert und damit die Nachfrage nach neuen Geräten reduziert werden. Am Ende der Nutzungszeit können verbesserte Recyclingsysteme zu Hardware-Suffizienz beitragen. Die Verlängerung der Lebensdauer ist umso dringlicher, als die absolute Anzahl von digitalen Geräten ständig zunimmt. Dies wiederum resultiert aus dem Problem, dass funktionierende Hardware oft durch neue Softwareentwicklungen oder sogar durch geplante Obsoleszenz unbrauchbar wird.  

Entsprechend richten sich politische Fördermöglichkeiten hauptsächlich an Hersteller und beziehen sich auf Änderungen im Hardwaredesign. Es sollten Standards festgelegt werden, die geringe Umweltauswirkungen während der Produktion gewährleisten, beispielsweise die Einführung einer Designrichtlinie, die von den Herstellern verlangt, den Anteil recycelter Materialien zu erhöhen, oder die Festlegung von Mindeststandards für die Verwertungsquoten.  

Software-Suffizienz: Durch energieeffizientes und datensparsames Softwaredesign können das Datenvolumen, der Datenverkehr und die Nachfrage nach der Rechenleistung von digitalen Geräten minimiert werden. Die Entwicklung energieeffizienter und datensparsamer Software wiederum kann etwa durch einheitliche Designstandards gewährleistet werden. Zudem sollte die Menge der gesammelten und übermittelten Daten bei der Nutzung von Software minimiert werden. Darüber hinaus bedeutet Software-Suffizienz, Rechenkapazitäten entsprechend der aktuellen Nachfrage anzupassen, zum Beispiel, indem Software nicht benötigte Netzwerkinfrastruktur in einen Schlafmodus versetzt. Auch Free and Open Source Software und Open-Data-Ansätze können einen suffizienteren Umgang mit Daten und Rechenkapazitäten begünstigen. 

Die Implementierung von Richtlinien etwa zu Energiestandards für Software erfordern neue Kriterien und Methoden zur Messung und Überwachung. Ebenso stellen die Ausweitung bestehender Designrichtlinien auf Softwareprodukte und der verpflichtende Einsatz von IT-Management-Software in Rechenzentren mögliche politische Ansatzpunkte dar.  

Nutzungs-Suffizienz: Diese Strategie zielt darauf ab, digitale Technologien energie- und ressourcensparsamen einzusetzen, oder sie zu verwenden, um suffizienzorientierte Praktiken zu fördern. Dies betrifft nicht nur die Privathaushalte, sondern auch privatwirtschaftliche Unternehmen und öffentliche Institutionen. Es geht darum Nutzungspraktiken so anzupassen, dass digitale Technologien nur zum Einsatz kommen, wenn sie tatsächlich zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Das kann bedeuten, weniger Geräte zu kaufen oder deren Lebensdauer durch Pflege, Wartung, Reparatur, Teilen oder Second-Hand zu verlängern. Darüber hinaus können Apps und smarte Systeme suffiziente Lebensstile oder Wirtschaftsaktivitäten erleichtern. 

Zur Unterstützung der Nutzungs-Suffizienz könnte die Politik soziale Normen unterstützen, die suffizienzorientierte Praktiken attraktiver machen, wie z. B. den Kauf langlebiger Geräte oder die Wartung und Reparatur vorhandener Hardware. Zudem können politische Entscheidungsträger die digital literacy zu Themen wie Datenschutz und Tracking fördern. Darüber hinaus sollten mit Hilfe der Politik Apps und digitale Plattformen zur Verbesserung des individuellen Fußabdrucks wie CO2-Rechner oder zur Erleichterung nachhaltiger Konsumentscheidungen wie Barcodescanner oder grüne Konsumassistenten ausgebaut werden. 

Ökonomische Suffizienz hat schließlich das Ziel, mit Hilfe der Digitalisierung den Übergang zu einer Postwachstumsökonomie möglich zu machen. Dies erfordert tiefgreifende Eingriffe in politische und soziale Systeme. Zunächst sollten IKT-gestützte Verbesserungen der Arbeitsproduktivität dafür eingesetzt werden, die durchschnittliche Arbeitszeit zu reduzieren, sodass mehr Zeit für Care- und Subsistenzarbeit bleibt. Zudem sollten die digitalen Möglichkeiten genutzt werden, um eine Kreislaufwirtschaft zu fördern.  

Diese Entwicklungen setzen jedoch voraus, dass sich alternative Unternehmensformen wie gemeinwohlorientierte oder genossenschaftliche Unternehmen mit Hilfe der Politik etablieren. Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen zudem Anpassungen im Wettbewerbsrecht, um Machtasymmetrien in digitalen Märkten zu beseitigen. Noch weitreichender und grundlegender sind die erforderlichen Änderungen von Preisen, Arbeitsmarktpolitiken, Infrastrukturen oder öffentlicher Finanzierung zur Verringerung der Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum und gehen weit über die Frage der IKT-Governance hinaus. 

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