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Mehr Mut wagen!

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Fridays for Future ist ein Lichtblick in dunklen Zeiten: Schüler*innen, also die Generation, die vom ökologischen Kollaps am meisten betroffen sein wird, stellen sich quer und verlangen Rechenschaft von denen, die ihnen das antun. Das kann und muss man unterstützen, dabei aber die Autonomie dieser jungen Bewegung respektieren.

Dazu gehört, dass etablierte Wissenschaftler*innen öffentlich bekräftigen, wie richtig die Beschwerden und Forderungen sind, die die Jugendlichen vortragen, und Kritik an deren „fehlender Fachkompetenz“ qualifiziert zurückweisen.

Das wollten auch die Kolleg*innen tun, die als „Sci4Future“ einen Aufruf erstellt haben, den auch ich unterschrieben habe, der aber m. E. hinter das sachlich Notwendige zurückfällt. Kritik an Klimawandel, Biodiversitätsverlust und anderen Umweltproblemen ist immer richtig, aber der Aufruf verbleibt auf der deskriptiven Ebene ohne die Ursachen der Probleme zu benennen, und ohne das lässt sich die notwendige Kehrtwende nicht erreichen.

Um das an einem Beispiel zu illustrieren, nutze ich hier die Aussagen von Sci4Future zur Biodiversität – das Fachgebiet, in dem ich forsche. Aber in der Sache gilt die Kritik auch für den Rest des Aufrufs. Dieser sagt: “Die Gründe für den Rückgang der Biodiversität sind Lebensraumverlust durch Ausweitung von Landwirtschaft und Entwaldung, Übernutzung in Form von Übersammlung, Überfischung und Überjagung, sowie invasive Arten.“ Aber warum findest das statt? Intensivierung der Landwirtschaft in Europa durch die Exportorientierung, Ausweitung in Asien und Lateinamerika durch Palmöl und Zuckerrohr als Benzin- und Dieselersatz, Überfischung durch europäische Fangflotten – angetrieben von Wachstumsdenken und nicht nachhaltigen Konsummustern werden nicht erwähnt, Degrowth und Suffizienz als Alternativen finden keinen Platz in dem Aufruf. Das hat nichts mit Wissenschaftlichkeit zu tun –denn nach den Ursachen zu fragen, anstatt nur Symptome zu beschreiben, ist ein Kerngeschäft der Wissenschaft.

So benennt z. B. die Analyse der „Drivers of change“ im Global Assessment der Intergovenmental Platform for Biodiversity and Ecosystem Services IPBES, das Anfang Mai in Paris offiziell vorgestellt wird, beides: die „direkten Treiber“ wie die sie verursachenden „indirekten Treiber“. Weitgehend deskriptiv werden die anthropogenen direkten Treiber nicht-nachhaltiger Entwicklung und des Biodiversitätsverlustes benannt (Climate change, Pollution, Land/seascape use change, Direct exploitation and extraction (of components of nature), Invasive alien species incl. zoonoses and pests outbreaks), aber auch analytisch die indirekten Treiber, die diese verursachen. Dazu gehören nicht nur Institutionen, Demographie, Governance und Konflikte, sondern auch die ökonomischen Treiber, nämlich Angebots- und Nachfragestrukturen und die Konsummuster. Wohlstand (affluence, betr. Einkommen und Besitz) ist demnach korreliert mit höherer Belastung, Einkommensungleichheit erhöht die Belastung durch die Bessergestellten und erzeugt Risiken für die nicht Privilegierten, und Armut hat vielfältige, kontextabhängige Wirkungen.

Ich weiß nicht ob den Autor*innen von Sci4Future der Mut fehlte, solch unbequeme Erkenntnisse auszusprechen, oder ob die opportunistische Sorge um die Konsensfähigkeit des Aufrufs sie zu dieser Auslassung bewegt hat. Auf jeden Fall schwächt der rein deskriptive Charakter die vorgestellte Kurzanalyse; zentrale Problemverursacher wie das Wachstumsparadigma und die aus ihm folgenden Politiken (z. B. Exportorientierung der Landwirtschaft) kommen so nicht in den Fokus, verschwinden sogar hinter einem Schleier deskriptiver Informationen.

Ob man den Anliegen der jungen Leute, die einen grundlegenden Wandel fordern, einen Gefallen tut, wenn man die grundlegenden Faktoren nicht beim Namen nennt, wage ich zu bezweifeln.

Dr. Joachim H. Spangenberg ist Biologe, Ökologe und Ökonom. Seit seiner Pensionierung 2021 ist er ehrenamtlich engagiert, als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des BUND sowie als Mitglied im Scientific Committee der Europäischen Umweltagentur EEA. Nach Tätigkeiten bei Institut für Europäische Umweltpolitik, dem Wuppertal Institut und dem Helmholtzzentrum für Umweltforschung UFZ ist er heute stellvertretender Vorsitzender des Sustainable Europe Research Institute Germany (SERI), Mitglied im Steering Committee der Global Ecosystem Services Partnership ESP sowie im Editorial Board mehrerer Fachzeitschriften im Bereich Nachhaltigkeit.

3 Kommentare

  1. Helmut Stange sagt am 31. Mai 2019

    Das Problem, was auch hier deutlich wird, ist einmal die Zersplitterung der Wissenschaften. Vor allem die Spaltung zwischen Naturwissenschaft auf der einen Seite und den Wissenschaften von Mensch und Gesellschaft auf der anderen Seite. Soweit es letztere denn sinnvoll heute gibt. Diese Zersplitterung, diese Spaltung und die Defizite auf der Seite des Menschlichen und Gesellschaftlichen sind aber in gewisser Weise gewollt. Das gehört zu unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung dazu. Besser gesagt, es ist nicht gewollt, es anders zu machen, darüber hinaus zu kommen. Und dazu gehört auf der anderen Seite auch die Furcht, da in der Betrachtung grundlegender zu werden, tiefer zu gehen. Denn dann würde sehr, sehr viel in Frage stehen. Was aber ganz klar sein muss: Wissen und Bewusstsein, auch Werte, menschliche und gesellschaftliche Werte, Bildung und Vermittlung all dessen und dabei auch gute Zusammenarbeit und Abstimmung sind an sich die Grundlagen von aller menschlichen und gesellschaftlichen Entwicklung. Kein sinnvolles Tun ohne vorheriges Erkennen. Und was Werte betrifft, ließe sich auch sagen: keine Vernunft ohne Liebe und Gerechtigkeit. Im Kapitalismus fehlt diese Sicht auf die Welt. Sie fehlt in Bezug darauf, was das Erkennen von Mensch, Gesellschaft und Natur und der weiteren und tieferen Zusammenhänge betrifft. Der Kapitalismus ist diesbezüglich eine alte archaische Welt. Rivalität und Konkurrenz, altes Erobern, Beherrschen, Ausbeuten und Unterdrücken, und die darauf folgenden Erfolge einerseits wie auch Ängste und Nöte andererseits und die sich daraus ergebende Weltsicht erzeugen stets neu die archaischen Triebkräfte hinter all den größeren Problemen, die wir heute haben. Macht- und Reichtumsstreben. Kämpfe aller Art. Erobern von Märkten. Kriminelles Wirtschaften. Immer größere Einkommenunterschiede. Beschädigung oder Zerstörung von Natur, Umwelt und Klima. Beschädigung und Zerstörung auch des menschlichen Lebens. Unmittelbar und mittelbar. Achtlosigkeit und Rücksichtslosigkeit aus Bewusslosigkeit und Angst. Und diese Kräfte wirken auch massiv gegen alle weitere Aufklärung und Vernunft im Bereich von Mensch und Gesellschaft. Da wird auch der Kapitalismus bis heute nur allzu unvollständig verstanden. Wir müssen im Blick auf den Kapitalismus, also im Blick auf Mensch und Gesellschaft und deren gegenwärtige Ordnungen und Kulturen, in Systemen und komplexen Zusammenhängen, in Unterschieden und Abhängigkeiten und Wechselwirkungen denken, wo zugleich Menschen und Gesellschaften und deren Denken und Einstellungen ganz wirklichkeitsnah erfasst werden. Das fehlt ganz umfassend. Insofern macht es auch keinen Sinn, sich hier zu beklagen. Wir oder andere sind selbst Teil des Systems. Unser Denken und Tun mag Ausdruck sein auch der Defizite des Systems. Im Grunde müssten zuerst die Wirtschaftswissenschaften heute kommen und Problemlösungen anbieten. Aber auch sie sind Teil des Sytems. Und dazu auch noch Treiber und Erhalter des Systems. Dort werden die Leute aus gebildet, die den Klimawandel ganz besonders stark voran treiben. Auch darüber spricht niemand. Von nichts kommt nichts. Da ist klar, dass die sich nicht für Fridays for Future begeistern. Und auch die Sozialwissenschaften sind dem System ausgeliefert. Es gibt vielfältige Abhängigkeiten. Es gibt Repressionsmittel verschiedener Art. Die Repression geht bis in die zu verwendende Sprache hinein. Welche Wörter nur benutzt werden dürfen. Auch bis in das Denken hinein. Was nur erforscht werden darf. Die Schere im Kopf. Das kommt viel Fachwissen gar nicht erst zustande. Der Kapitalismus ist ein starkes System. Er wirkt in alle Bereiche hinein. Auch in die Massenmedien. Alle müssen sich unterwerfen. Deswegen machen Naturwissenschaftler auch nur Naturwissenschaft. Und deshalb ist die Wissenschaft insgesamt auch eher abgekoppelt von der Gesellschaft, der Wirtschaft, der Politik. Sie muss nur nützen, wie es genannt wird. Nur nicht darüber hinaus denken ! Doch jedes SUV auf den Straßen in unserem Alltag könnte uns schon Hinweise geben, was hier gespielt wird. Dass Herr Trump ein Milliardär ist, müsste auch einem Naturwissenschaftler schon die Augen öffnen. Dass die Politiker hier Parteispenden von Milliardären an die Autoindustrie gut heißen, müsste ihnen befremdlich erscheinen. Dass die Naturwissenschaftler Mensch und Gesellschaft so stark aus ihren Blicken ausklammern, das müssen sie in diesem System tun. So gehorchen auch sie den Vorgaben. Alles hat hier seine gute Ordnung, nicht wahr ? Dass aber ganze Teile der Gesellschaft und Wirtschaft in diesem so schönen demokratischen Staat so und so weit korrupt sind oder gar immer korrupter sogar noch werden, von archaischen Strebungen durchsetzt, in Unwissenheit und mit Dummheit geschlagen, davon sollte niemand reden. Erasmus von Rotterdam im 16. Jahrhundert hat da noch einen anderen klareren Blick auf die Menschen gehabt. Er war Humanist und in der katholischen Kirche und hat tiefer und weiter geschaut. Eine Transformation der Wirtschaft und der Gesellschaft und des Staates wie auch der Politik zur Abwendung der Klima-Katastrophen wird ohne eine größere Aufklärung der ganzen Gesellschaft nicht gelingen. Völlig aussichtslos. Deshalb sollten auch die Naturwissenschaftler, die schließlich auch im Klimawandel unmittelbar oder mittelbar umkommen werden, eine große neue Gesellschaftswissenschaft und große Gesellschaftsveränderung einfordern. Und da muss dann auch eine neue Wirtschaftswissenschaft her. Ja, Gesellschaftsveränderung. Eine neue Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Darum werden wir nicht herum kommen. Und da gibt es noch viel zu erforschen. Und gerade auch das muss jetzt geschehen.

  2. Tiffi Hübener sagt am 16. Mai 2019

    Ich habe selber bei Sci4Future unterschrieben und unterstütze die Positionen von Joachim Spangenberg und auch von Andreas Riekenberg.
    Ich habe selber versucht, schärfere Formulierungen in das Sci4Future Statement einzubringen, bin aber selbst Klimaforscherin und keine Sozial- oder Politikwissenschaftlerin. Der Anspruch der Stellungnahme war, wissenschaftlich belegte (d.h. peer-reviewed publizierte) Positionen zusammenzustellen. Uns fehlte der Input aus den sozial- oder Politikwissenschaften, die diese Positionen mit den entsprechenden Publikationen belegen konnten. Leider.
    Natürlich kann man auch den Grundsatz kritisieren, dass nur „wahr“ (im Sinne „wissenschaftlich korrekt“) ist, was schon mal jemand irgendwo geschrieben hat. Aber immerhin musste es durch weitere Fachleute begutachtet und als relevant und korrekt befunden werden. Das ist der Grundsatz der Wissenschaftlichkeit. Aber ich würde mir SEHR wünschen, dass wir ein weitergehendes Statement verfassen, dass die Ursachen der globalen Krisen (Klima, Umwelt, Biodiversität, etc.) klarer benennt! Ich würde es gerne unterzeichnen! Aber mir fehlt das Fachwissen, es zu verfassen.

  3. Andreas Riekeberg sagt am 31. März 2019

    Zur Ursachenforschung würde auch die Frage nach dem kapitalistischen Wirtschaftssystem und der Ausbeutung von Natur und Arbeit zum Zweck der Profit-Erzielung gehören.
    Der Kapitalismus kümmert sich nicht großartig um das, was keinen Profit bringt. Die Eigentümer der Kapitalgesellschaften haben nur ein müdes Schulterzucken übrig für BIodiversitätsverlust oder globale Erwärmung. Es sei denn, diese lassen sich in neue Geschäftsmodelle verwandeln. Es ist nicht das von ihm angeführte „Wachstumsparadigma“ – Kapitalismus funktioniert auch ohne Wachstum, solange die dominanten Akteure noch Profit erzielen. Zugespitzt formuliert: Das kapitalistische Wirtschaftssystem insgesamt und vorneweg die großen transnationalen Kapitalgesellschaften verbrennen die Welt, vergiften die Organismen und zerstören die Ökosysteme.
    Aber das traut sich selbst Joachim Spangenberg nicht zu benennen. Auch er fällt damit „hinter das sachlich Notwendige zurück“. (Nebenbei: ein Paradigma ist auch nicht selber ein Akteur, sondern nur ein Muster für Handlungen.) Der Vorwurf der Mutlosigkeit und des Oppotunismus kann er genausogut sich selber machen.

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