Standpunkte

Männlichkeit – ein Thema der Degrowth-Bewegung?

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Plädoyer für eine Perspektivenvertiefung

1 | Einleitung

Ausgangspunkt unseres Diskussionsbeitrages ist die Beobachtung, dass in den Debatten und Publikationen der Degrowth-Bewegung [1] sowie des Postwachstumsdiskurses das Thema Männlichkeit bisher kaum eine Rolle spielt. Dies ist insofern überraschend, als der Aufstieg des wachstumsorientierten Kapitalismus mit der Herausbildung einer spezifischen männlichen Subjektivierungsweise verknüpft ist. Die Geschlechterforschung hat gezeigt, wie im Kapitalismus die Idee eines vermeintlich autonomen, implizit männlichen Subjektes entsteht, das durch eine Wachstums- und Leistungsorientierung charakterisiert ist. Alle grundlegenden Abhängigkeiten von sorgenden Tätigkeiten, aber auch von einer natürlichen Umwelt werden darin negiert und unsichtbar gemacht. Wenn die Frage nach der Transformation in eine nachkapitalistische, demokratische Postwachstumsgesellschaft gestellt wird, so müsste aus unserer Sicht auch danach gefragt werden, wie diese androzentrische Subjektivierungsform überwunden werden kann. Für diese Dimension des Transformationsaspektes gibt es durchaus ein Bewusstsein, jedoch wird sie bisher nicht systematisch entfaltet.

2 | Die imperial-androzentrische Lebensweise

In ihrem Buch „Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus“ thematisieren Ulrich Brand und Markus Wissen (2017) den Aufstieg einer kapitalistischen, ökologisch und sozial schädlichen Lebensweise des globalen Nordens auf Kosten des globalen Südens. Mit ihrem Beitrag haben die Autoren einen Nerv der Postwachstumsbewegung getroffen, geht es doch um die Frage, was der oder die Einzelne zu einer gesellschaftlichen Transformation beitragen kann. Deshalb stellt es einen wichtigen Debattenbeitrag dar, den wir zum Ausgangspunkt unserer Überlegungen nehmen.

Brand und Wissen fragen sich, wie trotz der sich zuspitzenden Widersprüche des globalen Kapitalismus im Selbst- und Weltbezug der Subjekte so etwas wie eine die Verhältnisse stabilisierende Normalität entsteht. In Anlehnung an Antonio Gramsci erklären sie die Reproduktion einer derart widersprüchlichen Gesellschaftsformation als Hegemonie einer „imperialen Lebensweise“, in der die kapitalistischen Funktionslogiken und Herrschaftsverhältnisse „in den Alltagspraxen und im Alltagsverstand verankert (…) und dadurch gleichsam ‚natürlich‘“ werden (Brand/Wissen 2017: 45). Hegemoniale Herrschaft ist aber niemals total, sondern beruht auf einem nur überwiegenden und zeitweiligen Konsens der Beherrschten über die geltenden Normen, der stets anfechtbar und umkämpft bleibt und widerständiges Handeln herausfordert. Brand und Wissen verweisen hier insbesondere auf die kulturell und institutionell durchgesetzten Produktions- und Konsumnormen, denen eine auf grenzenloses Wachstum, Expansion, Akkumulation und Landnahme sowie Leistungskonkurrenz fixierte extensive Lebensweise entspricht. Diese Lebensweise hat sich historisch auch in die Geschlechterverhältnisse eingeschrieben und ist eng mit den kulturellen Normen von Männlichkeit, beispielsweise eines reproduktionsvergessenen Lohnarbeitsmodells, verbunden. „Der andro- und eurozentrische Lebensentwurf einer ‚hegemonialen Männlichkeit‘ ist damit integraler Bestandteil der imperialen Lebensweise“ (Brand/Wissen 2017: 54). Dieser Verweis auf hegemoniale Männlichkeit bleibt aber merkwürdig untertheoretisiert, es erfolgt lediglich ein Literaturverweis auf die kapitalismuskritische feministische Analyse von Brigitte Aulenbacher, Birgit Riegraf und Susanne Völker (2015).

Indem Brand und Wissen mit der imperialen Lebensweise ein hegemonietheoretisches Verständnis von Herrschaft mit einer Perspektive auf Prozesse der Subjektivierung verbinden, nehmen sie systematisch den Zusammenhang von Subjektkonstitution und Herrschaft in den Blick. Dieser ist jedoch – und dies wird von Brand und Wissen nicht weiter ausgeführt – historisch eng mit Geschlecht verknüpft: Denn sich selbst und der Welt gegenüber ein Verhältnis von Dominanz und Unterwerfung zu errichten, ist nach Andrea Maihofer (1995) im hegemonialen Geschlechterdiskurs der Moderne konstitutiv für männliche Subjektivität. Mehr noch, das Subjekt der kapitalistischen Moderne konstituiert sich als ein ‚männliches‘, denn im patriarchalen Geschlechterverhältnis wird die ‚Frau‘ stets als das äußere ‚Andere‘ des ‚männlichen‘ Selbst stilisiert, „zur Repräsentantin sowohl der Lust als auch der Natur. Außerdem steht sie für die ständige Gefahr des Subjekts, sich selbst und seine Herrschaft zu verlieren“ (Maihofer 1995: 116). Die Analogsetzung von ‚Weiblichkeit‘ und ‚Natur‘, die beide beherrscht werden müssen, prägt nicht nur das ‚männliche‘ Selbstverhältnis, sondern auch das Verhältnis des modernen, ‚männlich‘ gedachten Subjekts zur Welt: Expansion und Raumgewinn, Naturbeherrschung und -ausbeutung, Konkurrenz- und Statusdenken, Externalisierung negativer Effekte – das ganze Programm der imperialen Lebensweise findet sich in dieser Subjektivierungsweise. Daraus wird deutlich, dass eine Transformation imperialer Lebensweise notwendig an den hegemonialen Normen von Männlichkeit ansetzen muss.

Diese Perspektive lässt sich mit Rekurs auf Bourdieus Konzept des männlichen Habitus vertiefen. Der männliche Habitus wird in ritualisierten Interaktionen in den „ernsten Spielen des Wettbewerbs“ (Bourdieu 1997: 203) eingeübt, die vorzugsweise in geschlechtshomogenen Räumen exklusiv unter Männern ausgetragen werden, bspw. in der adoleszenten Peergroup und in geschlechtsexklusiven Arenen des Sports. In ihnen lernen Jungen vor allem in der für die Geschlechtssozialisation entscheidenden Phase der Adoleszenz, wie man sich als Mann in einer männerdominierten Welt eine Position erwirbt. Durch den stark kompetitiven Charakter erwerben junge Männer in diesen oft sehr körperlichen Übungen eine geschlechtstypische Disposition, die Bourdieu mit einem aus der Psychoanalyse entlehnten (nicht ganz passenden) Begriff als „libido dominandi“ bezeichnet. Gemeint ist ein tief in der emotionalen Struktur der Persönlichkeit verankertes, lustvolles Bestreben, „die anderen Männer zu dominieren, und sekundär, als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen“ (Bourdieu 1997: 203). Entscheidend ist, dass diese Form der „libido“ durch soziales Handeln erworben werden muss und nicht bereits qua ‚männlicher Natur‘ vorliegt.

Mit dieser mit Raewyn Connell als hegemonial zu bezeichnenden Männlichkeitskonstruktion ist auch eine spezifische Konstruktion von moderner bürgerlicher Weiblichkeit verknüpft. Connell spricht von einer „betonten Weiblichkeit“ („emphasized femininity“, Connell 1987: 183). Sie ist bestimmt durch das Einverständnis der Frauen mit ihrer Unterordnung und ihrer Orientierung an den Interessen und Wünschen von Männern. Die hegemoniale männliche Subjektivierungsweise korrespondiert demnach mit einer weiblichen, die das Herrschaftsgefüge abstützt. Gleichwohl geht Connell auch von Varianten betonter Weiblichkeit aus, die durch Widerstand gegen und/oder Verweigerung im Sinne von Nicht-Mitmachen mit den bestehenden Verhältnissen gekennzeichnet sind (Connell 1987). Diese Widerständigkeiten zeigen sich insbesondere in den Frauenbewegungen, die sich gegen das hierarchische Geschlechterverhältnis gewandt und für mehr Handlungsspielräume und Rechte für Frauen gekämpft haben. Anders als bei der Frauenpolitik geht es jedoch bei Männerpolitik um einen Verzicht auf bisherige Machtpositionen und Privilegien. Während Frauen* Ermächtigung und Legitimation zum politischen Handeln aus dem Bewusstwerden ihrer Deprivilegierung ziehen, bedeutet emanzipatorische Geschlechterpolitik aus einer männlichen Subjektposition heraus, sich mit seiner eigenen privilegierten Position bewusst und kritisch auseinanderzusetzen.

3 | Politiken der De-Privilegierung

Die Notwendigkeit zur Veränderung der imperialen Lebensweise entspringt aus der dramatischen Zuspitzung von Widersprüchen in einer globalen, multiplen Krisenkonstellation, in der die Krise der sozialen Reproduktion einen zentralen Stellenwert einnimmt und immer mehr Situationen auftreten, in denen der Habitus einer imperialen Lebensweise nicht mehr gelebt werden kann (vgl. Brand/Wissen 2017: 60). Teil dieser multiplen Krisensituation sind auch die Krisen des patriarchalen Geschlechterverhältnisses, einschließlich der männlichen Herrschaft und des als ‚männlich‘ konstituierten Subjekts der Moderne. In den daran hängenden beschriebenen Lebens- und Existenzweisen erweist sich ‚Männlichkeit‘ nicht zuletzt auf der Ebene alltäglicher Beziehungspraxen zunehmend als dysfunktional (vgl. Tholen 2011; Heilmann 2015). Im Kontext dieses multiplen Krisenszenarios begreifen Brand und Wissen Transformation als ein gegenhegemoniales Projekt gegen die im neoliberalen Kapitalismus vorherrschende imperiale Lebensweise. Dieses Projekt wird nicht nur von Auseinandersetzungen um solidarische, politische und ökonomische Verhältnisse getragen, sondern setzt auch eine bewusste Entscheidung auf individueller Ebene voraus, „bestimmte Formen des Alltags nicht mehr leben zu wollen beziehungsweise ganz praktisch nicht mehr zu leben“ (Brand/Wissen 2017: 178). Nach Brand und Wissen greifen zwei Ansätze transformativen Handelns ineinander, einerseits das strategisch-planvolle Intervenieren in die stattfindenden Veränderungs- und Modernisierungsprozesse auf gesellschaftsstruktureller Ebene, andererseits „die notwendig kleinteiligen Ansätze, die sich meist in Experimenten, Nischen, konkreter Reformpolitik, in sich inkrementell verschiebenden Diskursen sowie in organisatorischen und alltäglichen Praxen ausdrücken“ (Brand/Wissen 2017: 39).

Als ein solches Feld des Experimentierens kann – ähnlich wie die vielfältigen Degrowth-Praktiken – auch die gleichstellungsorientierte Männerpolitik begriffen werden. Während im aktuellen Geschlechterdiskurs antifeministische und maskulinistische Positionen dominieren, wollen wir den Blick auf die „leisen sympathisierenden Stimmen“ (Kastein 2018: 46) derjenigen Männer lenken, die sich für eine gleichstellungsorientierte Männerpolitik einsetzen und die oftmals überhört oder sogar belächelt werden. Diese meist männlichen Akteure setzen sich mit den aktuellen Geschlechterverhältnissen, ‚Mannsein‘, Männlichkeit(en), Frauen- und Geschlechterpolitik auseinander und versuchen, „mit Fokus auf Männer und Jungen, einen Wandel der Geschlechterverhältnisse anzustoßen“ (Kastein 2018: 7). Mara Kastein analysiert in ihrer Dissertation, wie sich das diskursive Feld der gleichstellungsorientierten Männerpolitik konstituiert und beschreibt insbesondere das Legitimationsproblem der Akteur*innen, welches aus unserer Sicht auch für die Degrowth-Bewegung von Interesse sein kann. „So richtet sich die gleichstellungsorientierte Männerpolitik, indem sie sich gegen bestehende Geschlechterhierarchisierungen wendet, automatisch gegen die Interessen vieler anderer Männer“ (Kastein 2018: 46). Dies gilt umso mehr, als von den Akteuren auch die hegemoniale Männlichkeit bzw. tradierte Formen des männlichen Habitus abgelehnt werden. Es geht demnach um eine De-Privilegierung und letztendlich eine Umverteilung von Ressourcen und Macht, die auch im Zentrum der Transformation hin zu einer solidarischen Lebensweise oder – breiter formuliert – hin zu einer demokratischen nachkapitalistischen Postwachstumsgesellschaft steht.

Von einer Institutionalisierung gleichstellungsorientierter Männerpolitik kann man in Deutschland, aber auch in der Schweiz und in Österreich seit den 1990er Jahren sprechen (vgl. auch Lenz 2014). Die Gründung bundesweiter Dachverbände führte zu einer Zentralisierung männerpolitischer Anliegen. Das Feld strukturiert sich mittlerweile durch Dachorganisationen, Beratungsorganisationen und Schnittstellenorganisationen, die sowohl praktische Angebote (Jungenarbeit, Männerberatung etc.) machen als auch Forschungsprojekte durchführen. Als Männerbewegung verstehen die Akteure sich selbst nicht [2]. Ganz ähnlich wie Brand und Wissen die vielfältigen Alternativen, die es bereits gibt, als „Teil von Suchprozessen für eine solidarische Lebensweise“ (Brand/Wissen 2017: 174) bestimmen, beschreibt auch Kastein den Diskurs der gleichstellungsorientierten Männerpolitik als eine „Suchbewegung“ (Kastein 2018: 93). Dies beinhaltet auch die Auseinandersetzung mit männlichen Subjektpositionen. Als solche werden für die Klientel ausdifferenziert: erstens „zu überwindende Männlichkeiten“ (Kastein 2018: 121), dafür steht der gewalttätige Mann; zweitens „hilfsbedürftige Männlichkeiten“ (Kastein 2018: 121), repräsentiert durch den identitätslosen Jungen; und drittens „erstrebenswerte Männlichkeiten“ (Kastein 2018: 121), symbolisiert durch den aktiven Vater. Gerade die letzte Subjektposition ist anschlussfähig an die notwendige gesellschaftliche Transformation der Sorge, die in der Degrowth- und Postwachstumsdebatte zwar nicht im Mittelpunkt steht, jedoch als wichtiger Aspekt gilt (vgl. Heilmann/Scholz 2017).

Trotz der grundsätzlich als positiv einzuschätzenden Aktivitäten der gleichstellungsorientierten Männerpolitik, die man als gegenhegemoniales Projekt bezeichnen kann, fehlt den Akteuren „personale Legitimität“ (S. 208). Sie werden im Feld der Gleichstellungspolitik anerkannt, wenn sie diskursfähige Themen, insbesondere das der Gewalt gegen Frauen, aufnehmen, können aber als Personen keine eigenen Themen auf die Agenda setzen. Denn ihnen fehlen die notwendigen Diskriminierungserfahrungen, die als Aussagebedingung in diesem diskursiven Feld gelten (vgl. dazu Di Blasi 2013). Die meisten Akteure nehmen die weitgehend privilegierte „Subjektposition des weißen, heterosexuellen Mannes“ (Kastein 2018: 216) ein, die bisher ihre Geschlechtlichkeit hinter einem Universalismus maskierte und von Diskriminierungen weitgehend verschont blieb. „Die Markierung als ‚Geschonte‘ gilt im übergeordneten geschlechterpolitischen Diskurs als eine Position, die im selbigen keine legitime Sprechposition (verdient) hat“ (Kastein 2018: 216). Dies wissen die Akteure und reagieren darauf mit der Strategie einer permanenten „Positionierung“ (Kastein 2018: 198), die jedoch ambivalente Folgen hat. Der andauernde Positionierungszwang führt dazu, dass Männerpolitik ein schwankendes „Schiff“ (Kastein 2018: 164) auf hoher See ist, das von den Akteuren in Balance gehalten werden muss, um nicht zu kentern [3]. Unter diesen Bedingungen kann es nicht zielgerichtet Kurs aufnehmen hin zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft.

Gleichstellungsorientierte Männerpolitik steckt demnach in einem „Dilemma“ (Kastein 2018: 221) fest. Deshalb entwickelt Kastein abschließend eine alternative Perspektive. Diese sieht sie in einer Politik der De-Privilegierung. Mit Nancy Fraser (2003) argumentiert sie, dass sich Geschlechterpolitik nicht nur auf die Frage der Anerkennung fokussieren sollte, sondern auch auf Fragen der Umverteilung. An diesen „Umverteilungsappell“ (Kastein 2018: 225) könnten sich männerpolitische Akteure anschließen, was konkret eine Abgabe von Privilegien bedeuten würde. Doch warum sollte man sich an einer solchen Politik beteiligen? An dieser Stelle schlägt die Verfasserin Bündnisse mit Degrowth- oder Postwachstumsbewegung vor, die zwar auch eine Politik der De-Privilegierung, jedoch bisher kaum eine Geschlechterpolitik betreibt.

4 | Neue Bündnisse

Anregend ist Kasteins Analyse auch bezüglich der Frage, wie es um die Legitimität der Akteur*innen der Degrowth-Bewegung und der Postwachstumsdebatte im gesellschaftlichen Diskurs bestellt ist. Stehen auch sie vor einem Legitimationsproblem? Die Studie von Dennis Eversberg und Matthias Schmelzer (2016) zu Teilnehmer*innen der Leipziger Degrowth-Konferenz 2014 zeigt, dass die Degrowth-Bewegung von der akademischen Mittelschicht getragen wird. Zu fragen ist, ob es sich dabei auch um bisher ‚Geschonte‘ handelt, die legitim keine gesellschaftlichen Alternativen formulieren dürfen. In gewisser Weise lassen sich die Auseinandersetzungen um die vermeintlich fehlende Klassenperspektive im Konzept der imperialen Lebensweise so lesen (vgl. dazu Brand/Wissen 2018). Doch der Vorwurf der fehlenden Klassenperspektive kommt wiederum vorrangig von akademisch gebildeten, oftmals weißen und männlichen Sprecher*innen (vgl. Sablowski 2018).

Statt Identitätspolitik und Klassenpolitik gegeneinander auszuspielen, ginge es darum, die notwendige gesellschaftliche Transformation gemeinsam weiter voranzutreiben. Dazu kann es, wie Brand und Wissen schreiben, keinen „Masterplan“ (Brand/Wissen 2017: 171) geben, der notwendig autoritär und wohl auch nationalistisch wäre, sondern nur demokratische und plurale Suchbewegungen. Aus unserer Sicht wäre es lohnenswert, wenn sich die Akteur*innen der Degrowth-Bewegung und der gleichstellungsorientierten Männerpolitik punktuell verbünden würden, insbesondere wenn es um Fragen der Transformation der wachstumsorientierten hegemonialen Männlichkeit und der damit verbundenen neoliberalen Geschlechterverhältnisse geht. Solche Fragen werden seit einiger Zeit im Kontext des DFG-Kollegs Postwachstumsgesellschaften an der FSU Jena diskutiert (vgl. Eversberg/Schmelzer 2017; Heilmann/Scholz 2017). So fand etwa zu Beginn des Jahres ein Hearing zum Thema „Männlichkeiten in der Transformation kapitalistischer Wachstumsgesellschaften“ statt, dessen Ergebnisse demnächst publiziert werden, um die Debatte zu vertiefen. Männlichkeitspolitiken und Degrowth sind mit vielen verschiedenen praktischen Aktivitäten verbunden, die Potentiale einer „praktischen Repolitisierung des eigenen Tuns“ (Eversberg 2016: 84) enthalten.

Die Politik der De-Privilegierung bedeutet zunächst und vor allem Verzicht, doch öffnet sie auch, wie Brand und Wissen argumentieren, „den Raum für andere Elemente des guten Lebens wie beispielsweise materielle und biografische Sicherheit oder weniger entfremdete Arbeit“ (Brand/Wissen 2017: 171) – Desiderata, die sich mit den Zielen emanzipatorischer gleichstellungsorientierter Männerpolitik treffen.

Anmerkungen

[1] Ob es sich um eine soziale Bewegung handelt, ist eine strittige Frage und wird u. a. von Ulrich Brand und Mathias Krams in dem unten angegebenen Schwerpunktheft zu Degrowth des Forschungsjournals Soziale Bewegungen diskutiert. Eversberg und Schmelzer (2016) haben gezeigt, dass sich innerhalb des Feldes ‚Degrowth‘ verschiedene Strömungen differenzieren lassen. Die Rede von ‚der‘ Degrowth-Bewegung ist insofern problematisch, als dass sie diese Unterschiede unsichtbar macht.

[2] Die Bezeichnung gleichstellungsorientierte Männerpolitik ist eine Selbstbezeichnung innerhalb des Feldes (vgl. Kastein 2018) und sollte ähnlich wie bei der Degrowth-Bewegung nicht den Eindruck erwecken, dass es ‚die‘ Männerpolitik gebe – es handelt sich um ein heterogenes Feld.

[3] Bei der Schiffsmetapher handelt es sich um ein vielgenutztes Bild der Akteure, wie die Metaphernanalyse belegt (vgl. Kastein 2018: 164ff.)

Literatur

Aulenbacher, Brigitte/Meuser, Michael/Riegraf, Birgit 2012: Geschlecht, Ethnie, Klasse im Kapitalismus – Über die Verschränkung sozialer Verhältnisse und hegemonialer Deutungen im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess. In: Berliner Journal, Jg. 22, Heft 1, 5-27.

Aulenbacher, Brigitte/Riegraf, Birgit/Völker, Susanne (2015): Feministische Kapitalismuskritik. Einstiege in bedeutende Forschungsfelder. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Bourdieu, Pierre 1993: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt am Main.

Bourdieu, Pierre 1997: Die männliche Herrschaft. In: Dölling, Irene/Krais, Beate (Hg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 153-217.

Brand, Ulrich/Wissen, Markus 2017: Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: oekom.

Brand, Ulrich/Wissen, Markus 2018: „Nichts zu verlieren als ihre Ketten?“ Neue Klassenpolitik und imperiale Lebensweise. In: LuXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Heft 1, 104-111.

Connell, R. W. 1987: Gender and Power. Society, the Person and Sexual Politics. Stanford: California.

Di Blasi, Luca 2013: Der weiße Mann. Ein Antimanifest. Bielefeld: Transcript.

Eversberg, Dennis 2016: Wachstumskritik als freiwillige Selbstreorganisierung: Versuch, uns und anderen die Degrowth-Bewegung zu erklären. In: Psychosozial, 39. Jg., H. I, S. 81-98.

Eversberg, Dennis/Schmelzer, Matthias 2016: Über die Selbstproblematisierung zur Kapitalismuskritik. Vier Thesen zur entstehenden Degrowth-Bewegung. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen – Analysen zu Demokratie und Zivilgesellschaft, 29. Jg., H. 1, 9-16.

Eversberg, Dennis/Schmelzer, Matthias 2017: Mehr als Weniger: Erst Überlegungen zur Frage nach dem Postwachstumssubjekt. In: Psychosozial 40 Jg., H. 148, 83-100.

Fraser, Nancy 2003: Soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Identitätspolitik. Umverteilung, Anerkennung und Beteiligung. In: Fraser, Nancy/Honneth, Axel (Hg.): Umverteilung oder Anerkennung? Eine politisch-philosophische Kontroverse: Frankfurt am Main: Suhrkamp: 15-128.

Heilmann, Andreas 2011: Normalität auf Bewährung. Outings in der Politik und die Konstruktion homosexueller Männlichkeit. Bielefeld: Transcript.

Heilmann, Andreas 2015: Männlichkeit im Reproduktionsdilemma? Sozial- und zeitdiagnostische Perspektiven von Krisenanalysen. In: Heilmann, Andreas/Jähnert, Gabriele/Schnicke, Falko/Schönwetter, Charlott/Vollhardt, Mascha (Hg.): Männlichkeit und Reproduktion. Zum gesellschaftlichen Ort historischer und aktueller Männlichkeitsproduktionen. Wiesbaden: Springer VS, 99-116.

Heilmann, Andreas/Scholz, Sylka 2017: Caring Masculinities – gesellschaftliche Transformationspotentiale fürsorglicher Männlichkeiten? In: Feministische Studien, Jg. 35, Heft 2, 345-353.

Kastein, Mara 2018: Zwischen ‚Suchbewegung‘ und Sichtbarkeitsbestreben. Gleichstellungsorientierte Männerpolitik unter Legitimationsdruck. Dissertation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Lenz, Ilse 2014: Geschlechterpolitiken und Männlichkeit. In: Behnke, Cornelia/Lengersdorf, Diana/Scholz, Sylka (Hg.): Wissen – Methode – Geschlecht: Erfassen des fraglos Gegebenen. Wiesbaden: Springer VS, 265-280.

Maihofer, Andrea 1995: Geschlecht als Existenzweise, Frankfurt/M: Ulrike Helmer.

Meuser, Michael 2005: Strukturübungen, Peergroups, Risikohandeln und die Aneignung des männlichen Geschlechtshabitus. In: King, Vera/Flaake, Karin (Hg.): Männliche Adoleszenz. Sozialisation und Bildungsprozesse zwischen Kindheit und Erwachsensein. Frankfurt/ New York: Campus, 309-323.

Meuser, Michael (2008): Ernste Spiele. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb der Männer. In: Baur, Nina/Luedtke, Jens (Hg.): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit. Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland. Opladen/Farmington Hills: Barbara Budrich, 33-44.

Sablowski, Thomas 2018: Warum die imperiale Lebensweise die Klassenfrage ausblenden muss. In: LuXemburg. Gesellschaftsanalyse und linke Praxis, Heft 1, Online-Ausgabe (https://www.zeitschrift -luxemburg.de/warum-die-imperiale-lebensweise-die-klassenfrage-ausblenden-muss/) [15.08.2018]

Scholz, Sylka 2012: Männlichkeitssoziologie. Soziale Studien aus den Feldern Arbeit, Politik und Militär im vereinten Deutschland. Münster: Westfälisches Dampfboot.

Tholen, Toni 2011: Subjektivität – Krise – Utopie. Imaginationen von Männlichkeit im zeitgenössischen Denken und Schreiben. In: Bereswill, Mechthild/Neuber, Anke (Hg.): In der Krise? Männlichkeiten im 21. Jahrhundert. Münster: Westfälisches Dampfboot, 170-192.

 

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Artikels „Warum Männlichkeit ein Thema der Degrowth-Bewegung sein sollte. Plädoyer für eine Perspektivenvertiefung“ aus dem Schwerpunktheft zu „Degrowth“ des Forschungsjournals Soziale Bewegungen. Die Artikel-Reihe zum Schwerpunktheft auf dem Blog Postwachstum ist in Zusammenarbeit mit dem Degrowth-Webportal des Konzeptwerk Neue Ökonomie entstanden.

Alle Beiträge zu dieser Reihe finden Sie unter dem Schlagwort „Schwerpunkt Entwachstum“.

Sylka Scholz ist Professorin für Qualitative Methoden und Mikrosoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Geschlechtersoziologie, insbesondere Männlichkeits- und Jungenforschung, und die Familiensoziologie. Ein weiteres Forschungsinteresse richtet sich auf die Entwicklung von qualitativen Methoden der empirischen Sozialforschung, speziell visuelle Auswertungsmethoden. Foto: Maria Conradi (Berlin) // Andreas Heilmann, Dr. phil, ist selbstständiger sozialwissenschaftlicher Berater und Coach in Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Geschlechtersoziologie, insbesondere theoretische und empirische Männlichkeitsforschung, Arbeitssoziologie und qualitative Methoden der Sozialforschung. Foto: Paul Sonderegger (Berlin)

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