Rezensionen

Keine Schuld, aber Verantwortung

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Andreas Meißner holt weit aus, und das ist gut so. Schmerzhaft deutlich schildert er die Ausmaße der ökologischen Krise, insbesondere die Entwicklungen seit den Fünfziger Jahren, die schon aufgrund ihrer Besonderheit, der exponentiellen Zunahme der Ausbeutungen und Zerstörungen, das menschliche Vorstellungsvermögen übersteigen. Wir erleben das größte Artensterben seit nicht weniger als 65 Millionen Jahren, das Klima erwärmt sich, Böden werden unfruchtbar, der Energiehunger steigt, die Ressourcen werden knapper und immer schwerer zu fördern, während die Abhängigkeit von ihnen immer schneller wächst. Diese Krise führt längst zu Kriegen und immer größeren Fluchtbewegungen und ist dabei so komplex, dass einfache Maßnahmen nicht greifen und eigentlich nur im Plural von ihr zu reden wäre. Es ist längst zu spät für ein gemächliches Gegensteuern, auf das sich die Industrienationen nicht einigen können; das eigentlich notwendige radikale globale Umdenken ist überhaupt nicht in Sicht.

Die Stärke des Buchs liegt in der Erörterung der Fragen, wie es so weit kommen konnte und warum es immer noch weitergeht. Meißner zeigt unter Rückgriff auf Biologie und Psychologie zahlreiche Gründe für unser falsches Tun und das nicht weniger fatale Nichtstun auf – u.a. räumlich und zeitlich unzureichende Wahrnehmung, Konformismus, erlernte Hilflosigkeit, Verleugnung als Abwehrmechanismus, gewisse Verhaltensmuster aus der Steinzeit – und verbucht zurecht den Großteil der heute diskutierten oder bereits erprobten Expertenlösungen unter „Trügerische Hoffnungen“: Weil wir den Bezug zur Natur, zu unseren je eigenen Handlungsmöglichkeiten und immer mehr auch zu unseren Mitmenschen verloren haben, soll eine in diesem Ausmaß nie dagewesene Krise des Fortschritts ausgerechnet mit noch mehr Fortschritt gelöst werden, damit letztlich wir Bürger/innen der reichen Welt noch ein paar Jahre länger auf Kosten der anderen und des Ökosystems weiterprassen dürfen. Wie soll ein klarer Kopf da nicht verzweifeln?

Dem Irrglauben an die Heilskraft der Technologie stellt Meißner zehn „antiresignative Perspektiven“ gegenüber, die helfen sollen, die persönliche Starre zu überwinden und trotz aller Katastrophennachrichten eine positive und aktive Haltung zu bewahren. Jede/r kann und muss etwas tun, an und für sich, sowie für die und in der Gemeinschaft, aber niemand ist schuld an der Welt, wie sie ist. Schon Ivan Illich bezeichnete es als Hybris, die Welt retten oder auch nur für ihren Zustand verantwortlich sein zu wollen. In alldem ist das Buch richtig und wichtig. Drei erhebliche Kritikpunkte sind aber meines Erachtens angebracht.

Erstens gehört zu einer umfassenden Schilderung der Ökokrise unbedingt auch die Kritik der Technologie als verselbständigte Wirkmacht und Beschleuniger der Krise(n). Die unkontrollierte Entfaltung des wissenschaftlich-technisch-militärischen Komplexes beginnt nicht erst mit der digitalen Revolution und ihren desaströsen psychosozialen Effekten, die der Autor durchaus aufgreift, sondern sehr viel früher. Die französischen Vordenker der Décroissance wie Jacques Ellul und Bernard Charbonneau sind im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannt, aber die Überlegungen etwa von Günther Anders oder Lewis Mumford zu den gesellschaftlichen wie individuellen Auswirkungen der „Megamaschine“ gehören hierzulande zum Kanon der einschlägigen kritischen Literatur und hätten auch in diesem Werk Erwähnung finden sollen.

Zweitens kommt ein Buch über die Ökokrise und die persönlichen Möglichkeiten des Umgangs mit ihr nicht umhin, auch die Art unseres Wirtschaftens beim Namen zu nennen. Soviel Politik ist nötig. Denn nicht Tauschhandel oder Sozialismus, sondern der entfesselte Kapitalismus erzwingt grenzenloses Wachstum, zerstört soziale und psychische Strukturen und bewirkt letztlich den Kollaps der Ökosysteme. Entschleunigung, Wertewandel und eine wahrhaft nachhaltige, d.h. global dauerhafte Lebensweise ist im aktuellen System nicht möglich – nicht zuletzt, weil es Raffgier, Egoismus und Entfremdung hervorbringt.

Darum sind drittens auch die Anregungen zum individuellen Umgang mit der Krise trotz zweifellos bester Intention des Autors mehr Psycho-Krisenmanagement als Lösungsansätze. Es ist doch so: Wenn sich trotz aller bestehenden Sachzwänge nur ausreichend viele (oder wenige mächtige) Menschen zusammentun, können sie den Gang der Geschichte ändern. Statt nun zur Organisation aufzurufen, die über ihre politische Bedeutung hinaus nicht zuletzt auch der Existenz des Einzelnen Sinn und Hoffnung gäbe, empfiehlt der Therapeut Meißner, darin ganz der Tradition der unpolitischen und damit systemstabilisierenden Psychotherapie folgend, in erster Linie an der eigenen Haltung zu arbeiten. Das allein wird nicht reichen.

Unter dem Strich bleibt ein Lob: Das wenig bekannte Buch ist ehrlicher und „sinnvoller“ als der Großteil der einschlägigen Sachbuch-Bestseller und auf seine Art lehrreicher als alle üblichen Psychoratgeber für Hamsterrad-Gefangene. Eine Anleitung zum Systemwechsel (wie etwa Lenins Was tun?, auf das der Titel wohl anspielt) bietet es sicher nicht.

Andreas Meißner: Mensch, was nun? Warum wir in Zeiten der Ökokrise Orientierung brauchen. München: oekom 2017

Marc Hieronimus ist Historiker, Philosoph, Comicforscher und Dozent für Deutsch als Fremdsprache. Zu seinen Interessen und Forschungsgebieten gehören der Nationalsozialismus im Comic, die Wirkung visueller Medien, Gesellschafts- und Technologiekritik, Karikatur, die Magie in Mittelalter und Moderne, Tiefenpsychologie, "wilde" Lebensformen u.v.m. Seine Gedichte, Erzählungen und Essays sind in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften erschienen, darunter der Lichtwolf. Nach einigen Jahren in Frankreich lebt er heute mit seiner Familie am Waldrand von Köln. Weitere Informationen unter www.marc-hieronimus.de.

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