Standpunkte

Kein Antifaschismus ohne Postwachstum (II)

Schreibe einen Kommentar

Teil 2/2: Nachhaltiger Demokratieschutz als feministisch-ökologischer Gestaltungsprozess einer Postwachstumsgesellschaft

Kann nur eine Postwachstumsgesellschaft die Wiederkehr des Faschismus verhindern?

Diese Frage habe ich im ersten Teil dieses zweiteiligen Beitrags angeführt. Auf Basis der dort ausführlich beschriebenen Problemanalyse, wie und warum die kapitalistische Wachstumsgesellschaft inhärent den Nährboden für Faschismus bildet, möchte ich nun die Gestaltung einer Postwachstumsgesellschaft als Gegenentwurf vorschlagen, um Faschismus nachhaltig zu bekämpfen. Ich möchte aufzeigen, wie effektiv ein solcher Gestaltungsprozess sein kann, um die Demokratie zu stärken. Somit soll dieser Beitrag Motivation schaffen, sich (weiter) für die Gesellschaftsverbesserung zu engagieren und nicht angesichts akuter Gefahren dem politischen Nihilismus oder der rein-reaktiven Demokratieverteidigung zu verfallen.

Postwachstum als Gegenentwurf

Je höher der ökonomische Wohlstand, desto größer die Unterstützung für die Demokratie. Diese Korrelation geht aus dem breiten Spektrum der Demokratieforschung hervor (Dörre in Azzellini & Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2021, S. 20) und verkörpert die Komplementärperspektive zu den faschismusbestärkenden Kräften sozial-ökonomischer Missstände. Ziel eines nachhaltigen Antifaschismus sollte es demnach sein, ein System zu etablieren, welches zum einen sozial-ökonomische Missstände und Machtzentralisierungen unterbindet und zum anderen möglichst viel Wohlstand und Solidarität schafft, um die Demokratie zu stärken. Wohlstand ist hierbei explizit nicht als abstrakter Begriff zu verstehen, welcher vermeintlich direkt aus einem hohen und wachsenden BIP hervorgeht, sondern vielmehr das tatsächliche Wohlergehen einer Gesellschaft, geprägt von erfüllten Grundbedürfnissen, Zufriedenheit, sozialer Ausgeglichenheit und der Freiheit, das eigene Leben zu gestalten. Die These lautet nun also, dass Postwachstum ein geeigneter Ansatz sein könnte, um dieses Ziel zu erreichen.
Die Grundidee und Begriffsdefinition von Postwachstum wurde in diversen anderen Beiträgen dieses Blogs ausführlich dargelegt und wird somit hier als Vorwissen vorausgesetzt. Anhand dieser Basis und einiger ausgewählter Beispiele möchte ich im Folgenden veranschaulichen, welche konkreten Mechanismen einer Postwachstumsgesellschaft den Katalysatoren des Faschismus entgegenwirken.

Postwachstum bekämpft und verhindert Krisen

Wie im ersten Teil erläutert, ist radikaler Umwelt- und Klimaschutz, im Kontext des Einflusses von Krisen auf die Akzeptanz faschistischer Narrative, essentiell. Postwachstum zielt auf den Rückbau ökologisch-destruktiver Produktion ab (Hickel, 2021, S. 1108) – nachhaltige Herstellungsverfahren und Produkte werden bevorzugt: Mehr Holz statt Beton, Trams statt SUVs, Grünflächen und Fahrradwege anstelle versiegelter Straßen – auch wenn diese weniger monetär profitabel sind. Darüber hinaus ermöglicht Postwachstum den schnelleren Umstieg zu günstigen erneuerbaren Energiequellen. Durch diese Priorisierung der ökologischen Auswirkungen in Entscheidungsprozessen können ökologische Krisen effektiv bekämpft werden – und durch die Priorisierung gesellschaftlichen Wohlstandes sogar auf eine sozial gerechte Weise.
Denn dadurch, dass der Wohlstand der Arbeiterklasse an stetiges Wachstum und Profitabilität gekoppelt ist, halten Teile dieser Klasse an umwelt- und klimaschädlichen Technologien fest (Dörre in Azzellini & Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2021, S. 21). Da die ökologische Transformation jedoch notwendigerweise stattfinden muss und wird, ist die Entkopplung des Wohlstandes der Arbeiterklasse vom mikro- und makroökonomischen Wirtschaftswachstum unumgänglich. Diese Entkopplung bedeutet beispielsweise die Umverteilung von Arbeit, die Stärkung öffentlicher Daseinsvorsorge und die Sicherung von Lebensqualität jenseits von monetärem Einkommen. Nicht nur erhöht dies die Akzeptanz der ökologischen Transformation, es ist im Sinne der Vermeidung eines weiteren sozial-ökonomischen Krisenfaktors essentiell und stärkt zugleich das Vertrauen in den Staat. Diese Herstellung von Wohlstand, losgelöst von Wachstum, ist also ein weiterer zentraler Mechanismus des Postwachstums, welcher dem Faschismus seinen Nährboden entzieht.

Postwachstum verbessert die Lebensqualität und stärkt die Solidarität

Ein wichtiges Mittel, mehr Wohlstand und mehr Nachhaltigkeit miteinander zu vereinen, ist die sogenannte Suffizienzstrategie. Dabei ist Suffizienz im Kern die nachhaltige “Veränderung von sozialen Praktiken, um [..] für alle Menschen ein soziales Fundament zu gewährleisten”. Es geht “um die Gestaltung von Infrastrukturen, Verfügbarkeit von Angeboten, Regulierungen und Anreizsystemen, die suffizientes Handeln ermöglichen” (Andert et al., 2025, S. 5). Dies bedeutet beispielsweise den Ausbau öffentlichen Nahverkehrs und von Carsharing Angeboten, die Verbreitung und Förderung pflanzlicher Lebensmittel, Etablierung von Reparatur- und Upcycling-Services, oder die solidarische Verteilung und Gemeinschaftsnutzung von Wohnraum.

Ein weiteres wichtiges Instrument ist die Sicherstellung der Grundversorgung mittels “Universal Public Services”. In einer Wachstumsgesellschaft werden lebensnotwendige Güter privatisiert, um mit möglichst hohen Preisen Profit zu generieren. Dies führt zu Versorgungsengpässen und für viele Menschen zu der Notwendigkeit, über mehr Arbeit mehr Einkommen zu erwirtschaften. Ohne Wachstumszwang ist es möglich, künstliche Knappheit zu überwinden und für die gesamte Gesellschaft die Grundversorgung zu gewährleisten (Hickel, 2023, S. 1). Durch diese Maßnahme allein kann der Extremzustand sozial-ökonomischer Prekarität, in welchem Menschen am anfälligsten für faschistische Propaganda sind, vermieden werden. Die Vorteile einer solchen garantierten Grundversorgung sind in unserer Gesellschaft bereits in den Bereichen der Bildung und Gesundheit zu beobachten, vor allem wenn man den Vergleich zu Ländern wie den USA zieht, in denen diese Sektoren weitestgehend privatisiert sind.

In diesem Kontext wird auch die Etablierung von “Commons” zum interessanten Ansatz, der nicht nur suffizienzorienterte Versorgung gewährleisten kann, sondern auch die Solidarität stärkt und damit spalterischer Propaganda entgegenwirkt. Commons beschreiben jene Gemeingüter, die abseits der kapitalistischen “Tauschlogik” durch das Prinzip des solidarischen Beitragens funktionieren. Im großen Stil wäre ein Beispiel die Wissensplattform Wikipedia, oder im kleinen Rahmen die Pflege eines Gemeinschaftsgartens durch die Hausgemeinschaft. Ein Ausbau dieser Prinzipien hat das Potential, die Gesellschaft näher zusammenzubringen.
Insbesondere aus feministischer Perspektive und im Bereich der essentiellen Care-Arbeit, welche in unserer Gesellschaft primär unbezahlt durch Frauen geleistet wird, ist ein solches “Commoning” von großer Bedeutung. Zwar besteht das Risiko, dass “eine Vergemeinschaftung von Sorgearbeit leicht ‘zu vermehrter unbezahlter Frauenarbeit in der sogenannten privaten Sphäre’ führen” kann (Bauhardt nach Dengler & Lang, 2019, S. 306), jedoch bietet ein kritisch-feminister Postwachstumsansatz die Chance, Care-Arbeit gerechter und wertschätzender zu verteilen. Die grundsätzliche Umstrukturierung des gesellschaftlichen Arbeitsverständnisses hat hier das Potential, Frauen weiter zu emanzipieren und ihnen mehr Mitsprache in der Gestaltung unserer Gesellschaft zu geben. Insgesamt ist ein starker Feminismus unerlässlich für den Erfolg sowohl postwachstumsorientierter, als auch antifaschistischer Bestrebungen – nicht nur im Sinne der Lebensqualität der weiblichen Hälfte der Gesellschaft, sondern auch als wichtiges Gegengewicht zum aggressiven toxisch-maskulinen Gedankengut, welches faschistische und wettbewerbsorientierte Systeme zugleich dominiert.

Ein wichtiges Instrument des Postwachstums über das Commoning hinaus ist zudem die Verbesserung von Arbeitsbedingungen. Jobgarantien auf der einen und Arbeitszeitverkürzungen bei gleichem oder besserem Gehalt auf der anderen Seite stehen hier im Zentrum. Eine gerechtere Bezahlung, mehr Freizeit und Gewährleistung eines angemessenen Existenzminimums sollen unter anderem durch die Demokratisierung von Unternehmen umgesetzt werden.
Hierfür gibt es diverse theoretische und praktisch erprobte Ansätze. Häufig beziehen sich diese auf Konzepte der Eigentumsbeteiligungen und verschiedene Mitbestimmungsformen. Dies kann beispielsweise durch Unternehmensräte und in Form von “neutralisiertem Kapital” erfolgen. Letzteres bezeichnet ein Konzept, nach welchem Unternehmensgewinne zu großen Teilen ins Unternehmen zurück und nicht zu den ursprünglichen Anteilseignern geführt werden, und sich Unternehmen somit zunehmend selbst gehören. Dies ermöglicht eine Ausrichtung an sozial-ökologischen sowie Arbeitnehmer-, anstelle von Kapitalinteressen (Kasper & Euteneuer, 2024, S. 20). Darüber hinaus trägt eine solche Demokratisierung von Unternehmen in Kombination mit progressiven Einkommens-, Vermögens- und Kapitalertragssteuern zur Vermeidung von übermäßigem Reichtum und Kapitalballungen bei. Daraus ergibt sich die letzte antifaschistische Eigenschaft des Postwachstumsansatzes, welche ich hier herausstellen möchte:

Postwachstum verhindert Machtzentralisierung

Anhand dieser Vielfalt an Mechanismen lässt sich erkennen, dass Postwachstum einen wirksamen Entwurf liefert, um den wachstumsbedingten Katalysatoren des Faschismus – namentlich sozial-ökologischen Krisen, Ungleichheit, Wohlstandsverlust und Machtzentralisierungen – nachhaltig entgegenzuwirken. Durch die Schaffung von ökologischer und ökonomischer Stabilität, gerecht verteiltem Wohlstand, Solidarität und emanzipatorischen Partizipationsmöglichkeiten wird dem Faschismus die Basis entzogen.

Plädoyer für einen antifaschistischen Gestaltungsprozess

Ob nachhaltiger Antifaschismus ausschließlich durch eine Postwachstumsgesellschaft erreichbar sein kann, ist eine solch absolute Frage, dass diese nicht vollständig im Rahmen dieses Textes beantwortbar ist. Es wird jedoch deutlich, dass der wachstumsorientierte Kapitalismus inhärent Faschismus begünstigt und gedeihen lässt, während Postwachstumsansätze seine Ursachen adressieren. Reaktiver Antifaschismus in Form von Protestbewegungen, medialer Gegenrede, etc. ist dabei gleichzusetzen mit Schmerzmitteln bei einem Knochenbruch: wichtig zur Schadensbegrenzung, aber nicht ausreichend, um die Wurzel des Problems zu beseitigen. Hierfür müssen Demokrat*innen zuversichtlich sein und sich nicht von der drohenden Gefahr lähmen lassen. Sie müssen weiter und umso mehr für eine Verbesserung der Gesellschaft kämpfen. Und somit wird der Demokratieschutz zu einem antifaschistischen Gestaltungsprozess – dem Gestaltungsprozess einer Postwachstumsgesellschaft.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert