Unternehmen brauchen Wachstum. Oder? Dass diese weit verbreitete Annahme in der Praxis von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) auch anders aussehen kann, zeigt das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in der Broschüre „Wir sind so frei. Elf Unternehmen lösen sich vom Wachstumspfad.“ Eine nicht-repräsentative Onlineumfrage, die das IÖW unter KMU durchführt hat, ergab, dass ein Drittel der befragten Unternehmen kein oder kaum weiteres Wachstum anstreben. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nun elf Unternehmen porträtiert, die sich vom klassischen Wachstumspfad lösen. Gestern wurden diese Unternehmen auf der Tagung „Alternativen denken. Wirtschaften für Wohlstand und Lebensqualität. Ohne Wachstum – oder mit?“ in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.
Wachstum: Qualität statt Größe
Bei diesen „Postwachstumspionieren“ handelt es sich um verschiedene KMU: Unternehmen mit nur sechs oder auch über 100 Beschäftigten. Sie sind noch in der Hand ihrer Gründer/innen oder stehen gerade vor der Übergabe an die fünfte Generation. Und sie stammen aus verschiedenen Branchen: vom Spielzeug-Einzelhandel über die Energieversorgung bis zum Textil-, Brau- und Druckgewerbe. Was sie eint: In ihren Produkten und Dienstleistungen, ihren Arbeits- und Produktionsprozessen sowie in ihren Beziehungen – im Unternehmen, in der Region, mit ihren Kund/innen und Geschäftspartner/innen – legen die Unternehmer/innen vor allem Wert auf Qualitäten.
Wohlstand auch ohne Wachstum?
Thomas Korbun, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts: „Bis heute dominiert in der Wirtschaft das Bild davon, dass Wohlstand nur mit Wachstum zu machen sei. Dabei stößt unsere Wirtschafts- und Lebensweise längst an die Grenzen des Wachstums. Gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen gibt es einige, die sich intensiv mit der Wachstumsfrage auseinandersetzen. In der Studie betrachten wir genauer, wie diese Unternehmen, die sich nicht vordergründig an betriebswirtschaftlichen Kenngrößen wie Umsatz, Gewinn oder Mitarbeiterzahl ausrichten, erfolgreich gesteuert werden. Von ihnen lernen wir Strategien und Konzepte, die in Zukunft für viele Unternehmen Bedeutung haben können. Diese Perspektive ist bislang noch zu wenig untersucht.“
Wachstumstreiber vermeiden
Um mit Marktschwankungen umzugehen, setzen die Unternehmen auf verschiedene Strategien. „Viele Unternehmen bauen auf verlässliche Partnerschaften mit anderen, um wechselseitig Kapazitäten flexibilisieren und sich so stabiler aufstellen zu können“, so IÖW-Unternehmensexpertin Jana Gebauer. „Zudem positionieren sie sich jenseits von Standardprodukten und -leistungen, die tendenziell auf Märkten vertrieben werden, die vom ‚Wachsen oder Weichen‘ geprägt sind. Mit Produktinnovationen, Strategieentwicklung und Prozessqualität investieren sie bewusst in die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens – und das nach Möglichkeit ohne Kredite, sondern indem sie ihre Erträge reinvestieren. Oder sie nutzen alternative Finanzierungswege, die die soziale und ökologische statt der ökonomischen Rendite in den Vordergrund stellen. Den Wachstumsdruck, der durch herkömmliche externe Finanzierung entsteht, wollen sie möglichst vermeiden.“
Es geht auch um Freude an der Arbeit
Wenn Unternehmen so stark wachsen, dass sie an ihre Kapazitätsgrenze stoßen und Arbeitszeit und -intensität sich erhöhen, birgt das verschiedene Gefahren. „Lieferfähigkeit, Innovationsfähigkeit und die Qualität von Arbeit und Kundenbeziehungen können abnehmen, Stress und Fehleranfälligkeit steigen“, so Jana Gebauer. Auch der Ausbau der Kapazitäten ist mit persönlichen und unternehmerischen Risiken behaftet. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass es Unternehmen gibt, die diese Gefahren bewusst meiden, indem sie Zeitfenster für Unternehmenswachstum auch mal geschlossen lassen. Denn unterm Strich zählen die Freude an der Arbeit und die Lebensqualität für diese Unternehmer/innen mehr“.
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Über das Projekt Postwachstumspioniere
In dem Projekt „Postwachstumspioniere“ hat das IÖW gemeinsam mit der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg und mit fachlicher und finanzieller Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt erforscht, welche Kriterien kleine und mittlere Unternehmen jenseits von Größen- und Umsatzwachstum heranziehen, um unternehmerischen Erfolg zu bewerten. Die Tagung „Alternativen denken. Wirtschaften für Wohlstand und Lebensqualität. Ohne Wachstum – oder mit?“ führt das IÖW gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung durch.
Download der Broschüre „Wir sind so frei. Elf Unternehmen lösen sich vom Wachstumspfad“ (PDF, 4 MB)
[…] Wirtschaften für Wohlstand und Lebensqualität. Ohne Wachstum – oder mit?“ teil, auf der am Beispiel kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMU) Alternativmodelle zum vorherrschenden Wachstumsparadigma vorgestellt und diskutiert […]
Ein sehr spannendes PRojekt und die teilnehmenden Unternehmen scheint ein Aspekt zu einen. Der Fokus weg vom internen Blick auf das Unternehmen nach Kennzahlen hin auf die Kunden und deren Bedürfnisse, die unter den eigenen Rahmenbedingungen bestmöglich bedienbar sind. Also nicht aus Zwängen externer Kapitalgeber gesteuert sondern von einer Idee der Kundenzufriedenheit als oberste Prämisse beinhaltet. Dieses umdenken ist jedoch noch nicht weit verbreitet, könnte jedoch noch weitere Dynamik entfalten ,wenn auch mal die Regierung kleine inhabergeführte Unternehmen stärker in ihre Überlegungen zu Auswirkungen neuer Gesetze etc. einbeziehen würde. Sollten dann diese seitens der Wirtschaftsvertreter, ob von Herrn Josef Sanktjohanser oder Herrn Mario Ohoven, bemängelten Belastungen wegfallen könnte diese neue Ideologie weitere Erfolge erzielen.