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Hoffnungsträger Bioökonomie?

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Die Klimakrise und die fortwährende Naturzerstörung verlangen nach neuen, nachhaltigeren Formen des Wirtschaftens. In Politik und Wirtschaft wird seit einigen Jahren besonders eine Möglichkeit als vielversprechend gesehen und gefördert: eine biobasierte Kreislaufwirtschaft, in der fossile Rohstoffe soweit wie möglich durch nachwachsende Rohstoffe ersetzt werden. Sie zeichnen das positive Bild einer innovativen, wissens- und technologiebasierten Wirtschaftsweise ohne Kohle und Öl, in der es kaum Müll gibt, sondern fast alles aufbereitet und wiederverwendet wird, und in der sich Kapitalismus und Umweltschutz miteinander in der Zauberformel vom „grünen Wachstum“ vereinbaren lassen. Kann es aber gelingen, wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze vom Verbrauch an fossilen Rohstoffen zu entkoppeln? Sind überhaupt ausreichende Mengen und Möglichkeiten an nachwachsenden Rohstoffen als Ersatz vorhanden? Welche gesellschaftlichen Folgen hat die Bioökonomie in Deutschland und global?

Diese und weitere Fragen wurden am 7. und 8. Oktober 2020 im Rahmen des interdisziplinären Workshops „It’s the Bioeconomy, stupid! The future of growth and the promise of the bioeconomy.” von internationalen Wissenschaftler/innen sowie weiteren interessierten Teilnehmenden diskutiert. Der Workshop wurde organisiert von der BMBF-Nachwuchsforschungsgruppe “Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften (flumen)” am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität in Jena.

In umwelt- und sozialwissenschaftlichen Vorträgen und Diskussionen wurden die der Bioökonomie inhärenten Widersprüche und Dilemmata hinsichtlich der (Un-)Möglichkeit eines grünen Wachstums von verschiedenen Seiten beleuchtet. So zeigen empirische Studien, dass das Beschäftigungspotenzial in der Bioökonomie ausgeschöpft zu sein scheint und durch Technisierung und Digitalisierung in Zukunft eher noch mit einem weiteren Rückgang zu rechnen sei. Die versprochenen Jobs werden so wohl ausbleiben. Zudem deuten Studien zu den materiellen und energetischen Voraussetzungen der Bioökonomie darauf hin, dass auch bei der Produktion kaum noch Wachstumspotenziale bestehen. Denn die Gewinnung nachwachsender Rohstoffe ist durch die zur Verfügung stehende Landfläche begrenzt und derzeit nutzen wir global bereits ein über die ökologischen Belastungsgrenzen hinausgehendes Ausmaß an Land.

Eine andere negative ökologische Folge ist der dramatische Verlust an Biodiversität besonders in den Gebieten des globalen Südens, wo die Bioökonomie als eine Art „landwirtschaftlicher Extraktivismus“ betrieben wird. Einige Beiträge auf dem Workshop thematisierten die wirtschaftlichen Verflechtungen und Stoffströme zwischen globalem Süden und Norden und die damit verbundenen Verteilungskonflikte: In den einkommensschwachen Ländern des globalen Südens wird der Löwenanteil der weltweit verwendeten biotischen und abiotischen Materialien produziert bzw. aus der Natur entnommen und in den Norden exportiert. Biomasse jedoch bildet in diesen Strömen nur einen kleinen Anteil – ein weitaus größerer Teil besteht immer noch aus fossilen Rohstoffen. Die produzierte Biomasse selbst wird meist als Tierfutter verwendet und dient somit der Aufrechterhaltung der ökologisch schädlichen und ethisch fragwürdigen industriellen Massentierhaltung.

Weitere Vorträge auf dem Workshop beschäftigten sich mit den Nachhaltigkeitspotenzialen biobasierten Wirtschaftens, die durch den Einsatz innovativer Technologien freigesetzt werden können. Effizienzsteigerungen, High-Tech Landwirtschaft und Anwendungen aus den Biowissenschaften, wie bspw. genome editing, haben die Produktivität bereits enorm gesteigert, so dass immer mehr Biomasse aus derselben Fläche Land gewonnen werden kann. Jedoch schlichen sich auch in die optimistischen Darstellungen der Erfolge der Biowissenschaften immer wieder leise Zweifel, ob die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise mit Innovationen allein zu meistern sei, denn die durch die Logik der kapitalistischen Akkumulation entstehenden Reboundeffekte machen auch in der Bioökonomie alle Effizienzgewinne zunichte: Wenn mehr aus der gleichen Fläche produziert wird, führt dies nicht dazu, dass weniger Fläche benutzt würde, weil nun alle Bedürfnisse gedeckt wären. Vielmehr werden die Gewinne genutzt, um weiter zu expandieren und noch mehr zu produzieren, auch wenn dafür z.B. in Deutschland ca. ein Drittel aller Lebensmittel weggeschmissen werden. Die am Workshop teilnehmenden Wissenschaftler/innen waren sich hierin einig: Technologie allein kann unsere Umweltprobleme nicht lösen, nötig ist vor allem ein tiefgreifender gesellschaftlicher Wandel.

Wie dieser aussehen könnte, wurde in den politikwissenschaftlichen Beiträgen diskutiert: Bei den bisherigen Prozessen, wie nationale und regionale Bioökonomiestrategien ausgehandelt und umgesetzt wurden, sind zu wenige unterschiedliche Stimmen und Bevölkerungsgruppen zu Wort gekommen. Die Bevölkerung hat kein ausgeprägtes Verständnis davon, was das Label „Bioökonomie“ meint und bewertet sie als einen wohlklingenden Containerbegriff zunächst ausgesprochen positiv. Wird es jedoch konkreter, dann wächst bei einigen Praktiken des biobasierten Wirtschaftens – in Deutschland besonders wenn es um genmanipulierte Lebensmittel geht – sehr schnell die Skepsis und Ablehnung. Aushandlungsprozesse um die Bioökonomie würden deshalb in Zukunft mehr Partizipation und mehr Transparenz über die tatsächlichen sozialen und ökologischen Folgen der anvisierten Strategien benötigen. Dazu gehört eine breite gesellschaftliche und wissenschaftliche Auseinandersetzung über die technischen und materiellen Möglichkeiten der Bioökonomie sowie über grundlegende Fragen einer post-fossilen Transformation, die auch die Interessen und Machtverhältnisse, unter denen diese Transformation politisch verhandelt wird, in den Blick nimmt. Allerdings wurde in einem anderen Beitrag betont, dass jegliche Anstrengungen hin zu einer Gesellschaft, die nicht auf linearem Wachstum und fossilen Energieträgern beruht, auch eine entschiedene und explizite Gegnerschaft verschiedener gesellschaftlicher Lager auf den Plan ruft, die eben nicht durch Informations- und Partizipationsangebote für eine Transformation zu gewinnen ist. Ein Wandel hin zu einer wie auch immer gearteten Bioökonomie ist und bleibt daher ein umkämpftes Feld.

 

Auf den Webseiten der Nachwuchsgruppe können der Abendvortrag “The policy legend of the circular bioeconomy: A biophysical view of the sustainability predicament” von Mario Giampietro, Freie Universität Barcelona, sowie die Keynote von Daniela Thrän vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig mit dem Titel „Bioeconomy’s contribution to economic growth“ nachgesehen werden.

Philip Koch studierte Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und ist jetzt dort wissenschaftlicher Mitarbeiter im Drittmittelprojekt "Mentalitäten im Fluss - flumen", wo er zum Wandel von Mentalitäten in biobasierten Gesellschaften im Kontext des spanischen Olivensektors forscht. Martin Fritz ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Nachwuchsgruppe "Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften (flumen)“ am Institut für Soziologie der Universität Jena. Seine Interessengebiete sind die Erforschung sozialökologischer Einstellungen und Werte, nachhaltige Wohlfahrt sowie relationale quantitative Methoden.

1 Kommentare

  1. Alfred Reimann sagt am 29. November 2020

    Boden und Rohstoffe müssen erheblich höher besteuert werden und als Öko-Bonus pauschal umverteilt. Ersetzen wir noch die Lohn- u. Einkomens-Steuer durch Verbrauchs-Steuern, haben wir einen weiteren Hebel für mehr Arbeit und weniger Ressourcen-Verbrauch.
    Doch vor allem müssen die Menschen erkennen, dass mehr Güter nicht auch automatisch mehr Wohlbefinden, Zufriedenheit und Gesundheit bedeuten.
    Wie erzielen wir mehr Gewinn und weniger Verlust auf der psychischen Ebene, der aktuellen Befindens-Bilanz unseres Körpers?

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