Ausgangspunkt meiner Überlegungen ist zunächst, dass für die Option auf Nicht-Wachstum (Engl.: „Degrowth“), verstanden hier als Möglichkeit der Schrumpfung des BIP, zwei Dinge dauerhaft ohne Krisenerscheinungen („Degrowth by Design“ statt „Degrowth by Desaster“) möglich sein müssen:
Weniger Erwerbsarbeit nötig zu haben und mit weniger Konsumtion, weniger bezahlten Waren und Dienstleistungen auszukommen. Grundeinkommen kann – so meine These – beides. Dabei kann es zunächst nur um Behauptungen von Zusammenhängen und Wirkungen gehen, die – nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung – allenfalls kursorisch illustriert und indiziert werden können.
Ein Grundeinkommen kann einen Prozess in Gang setzen, bei dem das gesellschaftlich nach wie vor dominante Paradigma des Produktivismus zurückgedrängt wird. „Produktivismus“ meint in diesem Zusammenhang nicht die möglichst effiziente Erstellung von Waren oder Dienstleistungen, sondern Produzieren als Selbstzweck: Um möglichst viel Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen, wird Wirtschaftswachstum begrüßt, erhofft und gefördert. Es bleibt auch dann Produktivismus, wenn auf diesen Arbeitsplätzen öko-effiziente Produkte hergestellt werden (grüner Produktivismus) oder Dienstleistungen erbracht werden anstelle der Produktion von Waren (Dienstleistungs-Produktivismus).
Viele längst als ökologisch schädlich, sozial zweifelhaft oder die individuelle Entfaltung behindernd erkannte Produktionen oder Dienstleistungen werden heute nolens volens akzeptiert, wenn nicht sogar gefördert, weil daran elementar die ökonomische persönliche Existenz gekoppelt ist. Mit einem Grundeinkommen im Rücken kann jede(r) zu solchen zweifelhaften Arbeitsangeboten eher „Nein“ sagen. Ökonomische Aktivitäten, die heute ausschließlich zu existenzsichernden Erwerbszwecken vorgenommen werden, werden sich mit der höheren ökonomischen Basis-Sicherheit durch Grundeinkommen als unattraktiver darstellen. Die Menschen werden tendenziell nur noch an denjenigen ökonomischen Tätigkeiten teilnehmen (wollen), die aus ihrer Sicht Sinn machen – in ökologischer, sozialer und selbstverwirklichender Hinsicht. Sie werden weniger, aber authentischer: Was auch immer übrig bleibt an Erwerbsaktivitäten, sie werden eher dem Denken und Fühlen der Menschen entsprechen.
Der Zusammenhang gilt auch auf gesellschaftlicher Ebene: Wir wissen inzwischen längst, dass wir aus klimaschädlichen Industrien (wie etwa Braunkohle oder einem immensen Ausmaß der Autoindustrie) aussteigen müssen. Dennoch werden diese Schritte immer wieder verzögert, wenn nicht sogar verhindert, da an diesen Arbeitsplätzen ökonomische Existenzen hängen. Degrowth ist so politisch unmöglich.
Grundeinkommen erlaubt uns zudem, unseren individuellen Mix aus Erwerbsarbeit, Bürger*innenarbeit und Subsistenz zu wählen (Work-Lifestyles of Degrowth). Es wäre eine Postwachstumsökonomie, die mit der Pluralität der Lebensstile in der fortgeschrittenen Moderne kompatibel ist, mehr noch: die diese Pluralität stärker ermöglicht und damit eine enorme Erweiterung der „realen Freiheit“ (Philipp van Parijs) darstellt.
Es ist nicht so, dass mit Grundeinkommen keiner mehr arbeitet, und alles zusammenbricht Für eine moderate Weniger-Erwerbsarbeit-Wirkung des Grundeinkommens gibt es ein kleines empirisches Indiz: Ein Ergebnis etwa des von 1974 bis 1978 in Kanada durchgeführten Grundeinkommensexperiments „Mincome“ war, dass das Arbeitsangebot der Grundeinkommen Beziehenden um ein bis sieben Prozent zurückging
Was aber wäre mit der Finanzierung eines BGE bei einer dadurch ausgelösten deproduktivistischen Wirkung? Werden weniger Güter erwerbsmäßig produziert, wird zwar das Steueraufkommen für das Grundeinkommen sinken. Sein Anteil an der Gesamtwertschöpfung (das BIP) aber könnte dann konstant bleiben– und damit womöglich auch seine soziale Wirkung. Es werden zum Beispiel Regelungen vorgeschlagen, die Höhe der Auszahlung an die Entwicklung des BIP zu koppeln.
Das ökonomisch notwendige Passstück zum Produktivismus ist der Konsumismus. Die kulturelle Orientierung am „Immer Mehr“ aufgrund eines Knappheitsgefühls ist weitgehend ungebrochen, wenn auch das „Mehr“ nicht mehr im „Immer Gleichen“ (Gronemeyer 2002), sondern im „Immer Neuem“ besteht. Der Versuch, das begrenzte Leben auf Erden mit einem Maximum an Konsum und an Events zu füllen, die „Verheißung der Beschleunigung“ (Hartmut Rosa), ist zwar in den letzten Jahren in die Kritik geraten. Der Wunsch nach Entschleunigung taucht nicht nur mit Blick auf die eigene Lebensqualität auf, auch in der ökologischen Debatte wird seit langem ein ressourcenleichter Lebensstil des Weniger propagiert. Doch offensichtlich übersetzt sich dieser seit 20 Jahren von vielen zivilgesellschaftlichen und auch staatlichen Institutionen (etwa: Umweltbundesamt) betriebene Appell jenseits kleiner avantgardistischer Gruppen nicht nennenswert in die Alltagspraxen.
Ein Grundeinkommen mit seiner ökonomischen Basissicherheit kann das ändern: Es vergrößert den Raum für das Ausprobieren anderer Lebensstile und eröffnet allen, aus der Tretmühle „Erwerbsarbeit-Konsum-Erwerbsarbeit“ zunächst auf Probe auszusteigen. Die Fallhöhe beim Scheitern oder Nicht-Gefallen wäre nicht so groß wie heute, wo die Aufgabe eines Jobs den Anfang eines langen sozialen Abstiegs bedeuten kann. Neue Lebensstile des „Weniger“, des „Zeitwohlstands“ und des „Gemeinsam“ hätten eine Chance, auch jenseits von randständigen Milieus bzw. Avantgarden mit höherem Problembewusstsein, Selbstwirksamkeitserwartungen und Risikoakzeptanzen ausprobiert und geschätzt zu werden.
Das Zufriedenheitsgefühl des Einzelnen hängt ebenso von der sozialen Stellung in der Gesellschaft und damit von ihrer Hierarchieförmigkeit. Je ungleicher sie ist, desto weniger kann sich ein Gefühl der Fülle einstellen, und zwar auf allen Hierarchiestufen. Pickett und Wilkinson fanden heraus: Je ungleicher Gesellschaften sind, desto geringer ist die Sparquote. Ihre Erklärung: Mit Waren und Dienstleistungen können die Menschen ihren Status anzeigen. Ein Grundeinkommen, das für alle gleich gilt, könnte die ökonomische Realität und das sozialpsychologische Gefühl der Gleichheit stärken und damit den Konsum um das „Haben-Müssen“ aufgrund der Unzufriedenheit mit der eigenen sozialen Stellung reduzieren. Die Motive für erwerbsökonomische Aktivitäten der Menschen würden mit Grundeinkommen weniger überformt durch unsichere und hierarchische Verhältnisse.
Nun kann eingewendet werden, dass auch bei Abwesenheit solcher Motivlagen authentischere Bedürfnisse nach mehr Konsum und mehr dafür nötige Erwerbsarbeit entstehen können – dass das BGE sich also entgegen der hier abgeleiteten Weniger-Dynamik als Wachstumsimpuls herausstellt. In der Tat können wir dies keineswegs ausschließen. Ein solches Wachstum erfolgte dann aber auf der Basis erweiterter sozialer und ökonomischer Handlungsfreiheit. Postwachstumsgesellschaft bzw. „Degrowth“ meint genau dies: Die Abwesenheit von Wachstumszwängen und -drängen, die die Option auf eine Verkleinerung des ökonomischen Produkts ermöglicht, aber nicht erzwingt.
Literatur
Forget, Evelyn (2011): The Town with no Poverty, University of Manitoba.
Gronemeyer, Marianne (2002): Die Macht der Bedürfnisse. Überfluss und Knappheit. Darmstadt.
Hemenway, David / Solnick, Sarah (2005): Are Positional Concerns Stronger in Some Domains Than in Others? American Economic Review 95(2)/ 2005, pp. 147-151.
Pickett, Kate / Wilkinson, Richard (2010): Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Berlin.
Rosa, Hartmut (2012): Weltbeziehungen im Zeitalter der Beschleunigung. Umrisse einer neuen Gesellschaftskritik, Frankfurt/M.
Van Parijs, Philippe (1997): Real Freedom for All. What (If Anything) Can Justify Capitalism?