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Grenzen des Wachstums – Grenzen der Zusammenarbeit

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Seit eineinhalb Jahren tagt die Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Ausgangspunkt war ein Einsetzungsbeschluss der Fraktionen CDU/CSU, FDP, SPD und Bündnis 90/Die Grünen mit der Aussage: „Unstreitig ist, dass das Bruttoinlandsprodukt soziale und ökologische Aspekte nicht hinreichend abbildet“, und damit das BIP-Wachstum auch keine hinreichenden Aussagen zum Wachstum von Wohlstand und Lebensqualität machen kann. In der Projektgruppe 1 (PG 1) „Stellenwert von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft“ sollten die Grundlagen der weiteren Enquete erarbeitet und ein entsprechender Bericht noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. Doch dazu wird es leider nicht kommen, einen gemeinsamen Bericht wird es nicht geben. Wie konnte es dazu kommen?

In den Debatten in der  PG 1 wurde offensichtlich, dass ein kritischer Umgang mit dem Thema Wachstum nicht möglich war. Die einfache, naturwissenschaftliche Erkenntnis der Begrenztheit des „Raumschiff“ Erde fand  – vollkommen überraschend für viele –  keine Unterstützung durch einige Mitglieder aus dem Kreis der Koalition. Für mich als Naturwissenschaftler ist klar, dass es in einer begrenzten Welt kein unbegrenztes Wachstum geben kann. In vielen Bereichen haben wir die Grenzen längst überschritten. Dies zeigt sich besonders durch den fortschreitenden Klimawandel und den rapiden Verlust an Biodiversität in Deutschland und weltweit. Würden alle Menschen leben so wie wir in Deutschland, bräuchten wir zweieinhalb Erden, um unseren Lebensstil fortzusetzen. Die Grenzen werden aber auch deutlich im sozialen Bereich: Materieller Wohlstand lässt sich nicht beliebig vermehren; Wohlstand und Lebensqualität werden auch durch die Verteilung von Vermögen und Einkommen bestimmt.

Es ist offensichtlich, dass unser „alt bewährtes“ Wachstumsmodell nicht nachhaltig ist. Diese Einsicht wurde aber in der PG 1 nicht nur äußerst kontrovers diskutiert, es wurden auch alle Anstrengungen, die grundlegenden Erkenntnisse einer kritischen Wachstumsdebatte zu beschreiben, von der Koalition mit dem Hinweis auf Unüberbrückbarkeit der Differenzen  verhindert. Ein unreflektierter Wachstumsbegriff, der auch in aktuellen politischen Debatten wieder in den Vordergrund tritt, blockiert jede weitere Auseinandersetzung um die wirklich wichtigen Fragen. Wie erreicht man in einer älter werdenden und schrumpfenden Bevölkerung zum Beispiel stabile soziale Sicherungssysteme und ausgeglichene öffentliche Haushalte? Reichen Effizienzmaßnahmen aus, um ein Wirtschaften ohne Raubbau an der Natur umzusetzen?

Die Ablehnung eines differenzierten Wachstumsbegriffs war für mich und meine Kolleginnen und Kollegen der Opposition nicht akzeptabel. Es wurde daher beschlossen, dass Koalition und Opposition getrennte Berichte vorlegen. Das ist sehr bedauerlich. Zwar können wir mit eigenen Berichten zumindest für die Leserinnen und Leser transparent machen, bei welchen Themen und bei welchen Bewertungen die Unterschiede liegen.  Aber wir haben eine Chance vertan, mit einem gemeinsam getragenen Bericht auf die wirklichen Herausforderungen einer Welt aufmerksam zu machen, in der wir die Grenzen der Belastbarkeit an vielen Stellen bereits deutlich überschritten haben.

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