Kopenhagen ist nicht nachhaltig: Weshalb es nicht reicht, eine “Green City” zu sein
Es ist mittlerweile eine Binsenweisheit, dass Städte eine wichtige Rolle im Kampf gegen die Klimakrise spielen. Seit langem hören wir von Alternativen und Lösungen, von nachhaltigen Städten. Mehr oder weniger spektakuläre Projekte und Politikansätze, die – meist mit überwiegend technischen Innovationen, die möglichst wenig an unserem Lebensstil ändern sollen – versprechen, uns in eine neue Welt zu transportieren; eine Welt, in der Städte irgendwie schicker und anders aussehen und das Leben dort in Harmonie mit der Natur ist. Die Rede ist dann oft von den Green Citys Europas/nachhaltigen Städten, wozu es außerdem weltweite Rankings gibt. Aber ist es tatsächlich so einfach? Sind diese Städte wirklich so ökologisch nachhaltig?
Am Beispiel einer vielgerühmten “nachhaltigen” Stadt, Kopenhagen, der European Green Capital 2014, habe ich aus einer Degrowth- Perspektive heraus nachgeforscht.
Die Probleme auf dem Weg: Externalisierung, Effizienz und Wachstumsfokus
Die Ansprüche der Stadt sind zweifellos hoch: Kopenhagen möchte bis 2025 klimaneutral sein. Aber wie wird diese Klimaneutralität definiert und wie wird der Weg dorthin entworfen? Hier zeigen sich im Wesentlichen drei Probleme: der Mechanismus der Externalisierung, die Fokussierung auf Effizienz und die Priorität wirtschaftlichen Wachstums.
Mit Mechanismus der Externalisierung ist gemeint, dass die Daten zu Treibhausgasemissionen, die in den Plänen von Kopenhagen betrachtet werden, allesamt produktionsbasierte Daten sind, die also danach errechnet werden, wo diese Emissionen produziert werden. Das Problem dabei ist, dass ein wesentlicher Teil der Emissionen außer Betracht gelassen wird. Viele der Güter und Dienstleistungen, die in Kopenhagen konsumiert werden, werden anderswo produziert. Einer der Gründe, weshalb unsere Städte heute sauberer sind als in den Siebzigern, ist eben diese Externalisierung vieler der dreckigsten Wirtschaftssektoren in andere Länder, z.B. nach China. Verschiedenen Quellen zufolge entstehen nur 20-40% der Emissionen der lokal konsumierten Produkte und Dienstleistungen innerhalb der Stadtgrenzen.
Dieser Ansatz führt nicht nur zu einer Unterschätzung des Problems, sondern auch zu einer falschen (oder zumindest anderen) Analyse der Verteilung des Problems über die Bereiche menschlichen Lebens, die die Emissionen verursachen. Mit diesem produktionsbasierten Ansatz erscheint die Produktion von Strom und Wärme als größter Treibhausgasemittent. Rechnet man dagegen mit einem konsumbasierten Ansatz, sind die Konsumprodukte für etwa die Hälfte der Emissionen in der Stadt verantwortlich. Der Konsum ist aber kein Thema in den Plänen der Stadt Kopenhagen.
Andere Emissionen, die nicht eingerechnet werden, sind jene durch Flüge und durch Neubauten. Man könnte einwenden, dass Stadtpolitik keinen Einfluss auf all diese Probleme hat, die oft auch außerhalb der Stadtgrenzen stattfinden. Aber: Ökologische Probleme überschreiten unweigerlich menschengemachte Grenzen. Kopenhagen blickt, wenn es nicht um Klimapolitik geht, sehr wohl über seine Grenzen hinaus, z.B. bei der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Stadt, um regionale Allianzen mit Malmö zu schmieden und für die Förderungen des Flughafens. Die Stadt macht sehr wohl Politik zu diesen Themen, nur eben in die falsche Richtung: Kopenhagen plant für mehr Häuser und Bürogebäude, mehr Shopping, ganz konkret 5% mehr Flüge pro Jahr.
Das zweite Problem ist, dass Kopenhagen, um die Klimaauswirkungen zu reduzieren, fast ausschließlich dem Effizienzprinzip vertraut. Effizienz bedeutet das Verhältnis von Input und Output zu verbessern, in diesem Fall also weniger Emissionen pro Einheit Reichtum, gemessen in BIP. Wenn dabei jedoch das Gesamtvolumen des Reichtums ansteigt, kann das Gesamtvolumen der Emissionen dennoch steigen. Ein Beispiel dieser “Effizienzfalle” in Kopenhagens Plänen ist die Argumentation, dass die Ansiedlung neuer Bürogebäude in der Nähe von U-Bahnstationen so und so viel tausend Tonnen CO2 sparen würde. Aber das ist natürlich keine Ersparnis: Es ist nur ein geringerer Anstieg der Emissionen im Vergleich zu einem hypothetischen Vergleichsszenario, in dem die Büros fern der Stationen positioniert würden.
Schlussendlich ist in den Plänen der Stadt Kopenhagen eine grundsätzliche Priorisierung wirtschaftlichen Wachstums evident. Nur ein Beispiel: die Stadt hatte zuvor die Zahl der Parkplätze für Geschäfte reduziert. In den hier analysierten Plänen ist nun davon die Rede, dass die Begrenzung der Parkplätze neu diskutiert werden sollte, weil das “Business” mehr Erreichbarkeit auf der Straße möchte. Aber nicht nur das ist ein Problem. Wahrscheinlich wichtiger ist die Tatsache, dass wiederholt genau die Politikansätze, die Kopenhagen nachhaltiger machen sollten, mit dem Argument untermauert werden, sie könnten der Stadt neues Wirtschaftswachstum bringen. Die “green solutions” Kopenhagens sollen ein Exportschlager und die Stadt ein “Zentrum grünen Wachstums“ werden. Holgersen und Malm haben so einen Ansatz, in Bezug auf Malmö, als “green fix” bezeichnet: eine (scheinbar) grüne Lösung für die Stagnation kapitalistischen Wachstums.
Wenn wir aber die Emissionen (auch) konsumbasiert berechnen, dann ist es mehr als plausibel, dass ein solches Wachstum zu einer Zunahme des Konsums von Gütern und Dienstleistungen führt, also zu mehr Flügen, größeren Häusern, mehr Elektronikspielzeug etc., die zu mehr Emissionen führen – Emissionen, die wahrscheinlich zu einem großen Teil außerhalb der Berechnungsgrenzen der scheinbar so grünen Stadt Kopenhagen anfallen.
Das Ergebnis ist also reichlich ernüchternd. In aller Kürze: das “Modell Kopenhagen” ist alles andere als nachhaltig. Hauptsächlich habe ich die Stadtentwicklungs- und Klimapläne der Stadt gelesen und damit sozusagen die hehrsten Ziele der Politik durchleuchtet. Selbst diese sind jedoch, bei genauer Betrachtung, wenig vielversprechend.
Karl Krähmer (2020): Are green cities sustainable? A degrowth critique of sustainable urban development in Copenhagen, European Planning Studies.
Die italienische Originalversion dieses Artikels in voller Länge findet sich zudem hier.
Literaturverzeichnis:
Harris, Steve; Weinzettel, Jan; Bigano, Andrea; Källmén, Albin (2020): Low Carbon Cities in 2050? GHG Emissions of European Cities Using Production-Based and Consumption-Based Emission Accounting Methods. In: Journal of Cleaner Production 248 (March). Verfügbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0959652619340764?via%3Dihub.
Holgersen, Staale; and Malm, Andreas (2015): Green Fix’ as Crisis Management. Or, in Which World Is Malmö the World’s Greenest City? In: Geografiska Annaler: Series B, Human Geography 97(4): 275-290.
Lieber Herr Krähmer,
danke für Ihren kritischen klaren Blick auf das grüne Marketing und die THG-Bilanzierung dieser Stadt. Auch unsere Stadt Freiburg ist bekannt als „Green City“ und „Ökohauptstadt“. Auch hier müssen Bevölkerung und Wirtschaft unaufhörlich wachsen, gibt es grüne Leuchtturm-Technologie im „Green Industry Park“, die Beteiligung am EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg und jetzt aktuell baut die Stadt auf der grünen Wiese den bundesweit größten Neubaustadtteil (für 16.000 Einwohner*innen), „klimaneutral“ soll er werden.
Gerne würden wir mit Ihnen ins Gespräch kommen.
Viele Grüße aus Freiburg,
Susanne Schlatter
Ja, die Kopenhagenkritik ist schon mal ganz gut. Ich wünsche mir mehr Untersuchung zur Thematik den deutschen Bundesländern. Die Nachhaltigkeitspläne und ihre Realisierung müssen disskutiert werden, um Fehler und Lügen den Landesregierungen unter die Nase reiben zu können.
Reiner Rauch