Sind Klimakonferenzen wirklich unsere einzige Chance?
Seit 45 Jahren gibt es globale Klimakonferenzen und seit 1995 die Vertragsstaatenkonferenzen der UN, kurz COP (Conference Of the Parties). 2005 legte das Kyotoprotokoll erstmals verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen für die Industrieländer fest. Seitdem sind alle Konferenzen von kontinuierlichem Scheitern geprägt. Nur noch die Vereinbarung in Paris 2015 brachte ein wirkliches Ergebnis, die Erderwärmung auf „möglichst 1,5 Grad zu begrenzen“. Allerdings ohne Konsequenz. Seit der COP1 von 1990 ist die Menge der weltweiten Treibhausgasemissionen auf zuletzt rund 46 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent um über 50 % angestiegen (1). Selbst wenn der Ausstoß der Klimagase nicht mehr weiter ansteigen würde, wird das 1,5 Grad-Ziel schon in wenigen Jahren verfehlt und selbst die 2 Grad nicht mehr zu halten sein. Dies überhaupt noch vorzugeben, ohne gleichzeitig massive Maßnahmen zu ergreifen, ist eine bewusste Täuschung. Weder eine sich verdichtende Faktenlage, noch ein wachsendes Bedrohungspotential und Auswirkungen haben wirksame Handlungen hervorgebracht. Auch nicht, dass 80 % der Menschen global mehr Klimaschutz von ihren Regierungen erwarten (2).
Ausnahmen beim globalen Ausstoß der Klimagase gab es bisher nur, wenn die Weltwirtschaft – wie 2020 – einbricht und nicht, weil die Weltgemeinschaft kollektiv beim Klimaschutz etwas erreicht hat. Dennoch wird ignoriert, dass der Emissionsanstieg direkt mit dem Wirtschaftssystem, dem Konsum und der Lebensweise vor allem des reichen Teils der Menschen zu tun hat. Weder der Ressourcenverbrauch, noch die Emissionen konnten ansatzweise vom Wachstum und der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden. Die weltweit reichsten 10 Prozent der Menschen, sind für fast die Hälfte der Emissionen verantwortlich, die ärmere Hälfte für weniger als 8 Prozent. Selbst in einem so reichen Land wie Deutschland gibt es eine unglaubliche Diskrepanz. Das reichste Prozent produziert über 80 Tonnen, während die ärmere Hälfte nur 5-6 Tonnen pro Kopf produziert (3). Zusätzliche „grüne“ Technologien werden daran nichts verändern.
Klimaschutz wird zu der sozialen Frage überhaupt, wenn nicht die Hauptverursacher die Verantwortung und die Maßnahmen tragen, sondern an die Eigenverantwortung der Einzelnen appelliert wird. Stattdessen wird die Erzählung des teuren und wirtschaftsschädlichen Klimaschutzes vorangetrieben. Doch Geld gibt es genug. Allein die fossile Industrie wird mit 7 Billionen Dollar jährlich subventioniert (4). Ein Teil davon könnte alle Maßnahmen und Anpassungen bezahlen. Jeder Dollar Klimaschutz vermeidet zudem ein Vielfaches an Folgekosten. An Fakten, Studien und an Handlungsmöglichkeiten mangelt es schon lange nicht mehr. Es fehlt der Wille. Die Politik wird durch Profitinteressen und Lobbys dominiert.
Wir alle haben uns auf diese falsche Debatte eingelassen und versucht, mit noch mehr wissenschaftlichen Fakten und Erkenntnissen Überzeugungsarbeit zu leisten, obwohl es längst nicht mehr um Überzeugungen, sondern um Machterhalt, Machtausbau und Taktik ging. Auch die COP folgt dieser fehlgeleiteten Debatte und unterstützt diese Systematik.
Wenn Einzelne blockieren, wenn der Langsamste das Tempo bestimmt und wenn Vertragsbruch und Zielverfehlung nicht zu Sanktionen führen, dann ist die Systematik der Konferenzen auf ein Scheitern ausgerichtet. Die vielen zusammenhängenden Aspekte und globalen Probleme werden ausgeklammert und die Menschen nicht mitgenommen. Der doppelten Ungerechtigkeit, dass die Reichen den größten Anteil an der Erwärmung beitragen, aber die Ärmeren die größten Lasten zu tragen haben, folgen keine Konsequenzen.
Immer mehr verkommen die eigentlichen Verhandlungskonferenzen zu Shows, Messen, Märkten und Treffen von Lobbyisten. 70.000 Teilnehmer erreichte die COP in Dubai 2023. Unglaublich viele Ressourcen, Zeit und Klimagase werden dafür verbraucht. Mit 2400 Lobbyisten verzeichnete den größten Zuwachs die ganz offen agierende Öl-, Gas- & Kohleindustrie. Das sind mehr Personen als die Delegationen der besonders verwundbaren Staaten aufbieten dürfen. Aber auch Länderdelegationen und die EU bringen Lobbyisten in die Verhandlungen und auf die Konferenz (5). Der ursprünglich ernsthafte, globale Verhandlungsansatz der COP hat sich daher längst überlebt.
Die COP hat sich zu einer „grünwaschenden Hoffnungsindustrie“ ohne Wirkung entwickelt. Dabei werden viel Energie, Ressourcen und Emissionen verschwendet. Selbst seltene Kompromisse werden nicht eingehalten. Die Gipfel in Doha und jetzt sogar in Baku, der Hauptstadt des autoritären Erdgas- und Erdölstaats Aserbaidschan, sind Tiefpunkte der Unglaubwürdigkeit der COP.
Daher hat die Initiative „überLEBEN“ die 1. alternative Umwelt- und Klimakonferenz „#goodCOP“ am 10. November in Berlin organisiert. Sie versteht sich als Gegenveranstaltung zur COP29 Konferenz in Baku. Sie setzt einen Gegenimpuls, um bestehende Denkmuster und Erzählungen zu brechen sowie Strategiebildung, Austausch und Vernetzung zu fördern. Ziel ist die Schaffung eines breiten Netzwerks aus großen und kleinen NGOs, Initiativen, Bündnissen, Einzelpersonen, Unternehmen und Forschenden, die ihre Kräfte bündeln, gemeinsam eine andere Erzählung etablieren und sich Zerstörung, Ausbeutung und Ungerechtigkeit entgegensetzen. Am 10. November diskutieren u. a. die Wissenschaftler*innen Prof. Dr. Anita Engels, Prof. Dr. Harald Welzer, Dr. Halliki Kreinin, Prof. Dr. Susanne Koch, die ehemaligen Bundestagsabgeordneten Marco Bülow und Hans-Josef Fell sowie weitere Impulsgebende aus Wissenschaft und Praxis.
Das Programm sowie alle Hintergründe, Zahlen & Fakten finden sich hier.
Alle Interessierten sind sehr herzlich eingeladen! Die Anmeldung ist hier möglich.
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Die Initiative überLEBEN wurde im Frühjahr 2024 von einer Hand voll Einzelpersonen gegründet, die sich nicht mehr damit abfinden wollen, dass wir trotz besseren Wissens durch unzählige Forschungsergebnisse und Studien, unsere Lebensgrundlage, unsere Welt immer weiter zerstören bzw. für uns unbewohnbar machen. Das erste Projekt #goodCOP startet in der Kooperation mit der Initiative Lobbyland und dem gemeinnützigen Verein plattform.PRO.
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(1) https://de.statista.com/themen/2442/treibhausgasemissionen/#topicOverview
(2) Weltweite UN-Umfrage 2024: https://unric.org/de/weltweite-un-umfrage-4-von-5-menschen-wuenschen-sich-mehr-klimaschutz
(3) https://www.oxfam.de/system/files/documents/20231120-oxfam-klima-ungleichheit.pdf
(4) 2017 waren es 4,7 Billionen laut des IWF (Internationaler Währungsfond): https://de.statista.com/infografik/31006/volumen-der-weltweiten-subventionen-fuer-fossile-brennstoffe
(5) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/klimakonferenz-un-cop28-lobbyisten-oel-gas-100.html