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Gibt es soziale Sicherheit ohne Wirtschaftswachstum?

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Soziale Sicherheit ohne Wirtschaftswachstum – in der Theorie denkbar, in der Praxis undenkbar! Die Gründe sind einfach und komplex zugleich: In den Theorien der Volkswirtschaft kennen wir die Modelle unter der Annahme einer gleichbleibenden Bevölkerungsstruktur und alles in einer sogenannten „geschlossenen Volkswirtschaft“ zu genüge. In einer solchen Welt könnte die soziale Sicherheit der Gesellschaft auch ohne Wirtschaftswachstum durchaus sichergestellt werden. Sehen wir allerdings die realen Gegebenheiten, können solche Modelle nur noch Impulse geben; sie werden der Realität nicht in Ansätzen gerecht.

Dies zeigen sehr anschaulich die bereits viele Jahre dauernden und jüngst wieder verstärkten Diskussionen in Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit zur Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherheit in Deutschland (aktuell unter dem Stichwort „Altersarmut“). Die sozialen Sicherungssysteme sind nicht nur in unzähligen Formen miteinander vernetzt, sondern auch von den weltwirtschaftlichen Entwicklungen und vor allem von den demografischen Veränderungen essentiell abhängig. Egal wie ein Alterssicherungssystem ausgestaltet ist: Nimmt die Anzahl der Menschen im Ruhestand im Verhältnis zu den Erwerbsfähigen zu, gibt es Belastungen. Diese können nicht wegdefiniert werden, sondern nur (gerecht) verteilt werden. Eine solche Verteilung gelingt deutlich einfacher, wenn der Kuchen der Verteilungsmasse wächst. Dann bekommen alle Beteiligten weiter etwas mehr, wenn auch weniger als bei einem gleichbleibendem Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern. Bleibt der Kuchen gleich groß, werden die Verteilungskämpfe um bestehende Errungenschaften sofort Konturen bekommen – die Stabilität der sozialen Sicherheit wird auf die Probe gestellt. Verkleinert sich der Kuchen gar, werden reflexartig Verteilungskämpfe beginnen – mit ungewissem Ausgang. Zahlreiche Beispiele im Kleinen (zuletzt im Gesundheitsbereich) haben dies wieder demonstriert.

Allerdings zeigt sich in der jüngeren Vergangenheit trotzdem ein interessanter Wandel in den sozialpolitischen Diskussionen. Zum einen werden Elemente der Postwachstumsdiskussion teilweise Realität: So weisen die Daten der letzten Jahre eine dauerhafte Abschwächung des langfristigen Wirtschaftswachstums aus. Von einem Wachstum wie in früheren Jahrzehnten kann jedenfalls nicht mehr die Rede sein. Damals wurde beispielsweise in den Modellen zur Zukunft der Gesetzlichen Rentenversicherung noch von realen (!) Wachstumsraten bis 2030 von rund 3 % ausgegangen. Hier wird langsam Realität, was der Club of Rome bereits 1972 aufzeigte oder auch Bundespräsident a.D. Köhler in seiner (lesenswerten) Berliner Rede 2009 ansprach.

Zum anderen zeigt sich, dass die Diskussionen neben der ökonomischen Nachhaltigkeit der Systeme vermehrt auch die politische und gesellschaftliche Nachhaltigkeit berücksichtigen, d.h. die ausschließliche Orientierung an den finanziellen Zahlen wird durch eine soziale Dimension erweitert. Hier sind beispielsweise die gesetzlich vorgeschriebene Berücksichtigung ethischer Belange bei der sogenannten „Riester-Rente“ oder aktuell die Diskussionen zum Leistungsniveau der einzelnen Systeme zu nennen.

Ideen für eine soziale Sicherheit ganz ohne Wirtschaftswachstum gehen (noch?) zu weit. Dies lässt sich anschaulich gerade für das Leistungsniveau der sozialen Sicherungssysteme bei Berücksichtigung der Preisdimension verdeutlichen: Ein Szenario ohne Wirtschaftswachstum bedeutet nämlich nicht gleichzeitig auch ein stabiles Preisgefüge, insbesondere vor dem Hintergrund eines Null-Wachstums bei knapper werdenden Ressourcen. Damit die Menschen von den Leistungen der sozialen Sicherungssysteme wie z. B. ihrer Rente langfristig ihr Wohlstandsniveau aufrechterhalten können, müssen die hierfür notwendigen Mittel erwirtschaftet werden. Ohne Wirtschaftswachstum wäre dies nicht vorstellbar und die sozialen Sicherungssysteme verlören nach und nach ihre Leistungsfähigkeit. Die Praxis bestätigt, dass bereits der Umgang mit einer Wachstumsabschwächung bei gleichzeitig moderaten Inflationsraten für alle Beteiligten, inklusive der Politik, einen echten Kraftakt bedeutet.

3 Kommentare

  1. Wachstumszwang

    1. Die aggregierten Sparguthaben einer Ökonomie entsprechen genau den aggregierten Schulden. Die Verzinsung von Sparkapital und der dadurch bedingte Anstieg der Sparguthaben erzwingt eine symmetrisch zunehmende Verschuldung und entsprechende Zinszahlungen der Unternehmen.

    2. Wächst das Bruttoinlandsprodukt weniger stark als die Zinsanteile, so verringern sich die Einkommen in der Ökonomie. In diesem Fall fließt ein größerer Teil des Bruttosozialprodukts über Zinszahlungen an die Geldkapitaleigner, während sich der Lohnanteil entsprechend verringert. Damit erzwingen Bestrebungen, den Zinsanteil im Bruttoinlandsprodukt zu begrenzen, ein ständiges Wirtschaftswachstum.

    3. Die Haushalte mit geringem Lohneinkommen können sich den Konsum bei wachsendem Zinsanteil im Bruttoinlandsprodukt zunehmend weniger leisten und verschulden sich schließlich. Dies kann als Verarmung oder als Beschäftigungslosigkeit charakterisiert werden. Die Verarmung eines zunehmend größeren Prozentsatzes der Haushaltsgruppen destabilisiert schließlich die Ökonomie.

    4. Gruppen mit vergleichsweise geringem Vermögen verfügen über geringfügige oder keine Zinseinnahmen, zahlen aber über ihren Konsum soviel Zinsen, dass sie Netto-Zinszahler sind. Bei Gruppen vergleichsweise vermögender Haushalte überwiegen dagegen die Zinseinnahmen über die Zinszahlungen. Diese Gruppe besteht aus Netto-Zinsempfängern. Damit fließt in der Ökonomie ein stetiger Zinsstrom von den Netto-Zinszahlern zu den Netto-Zinsempfängern. Es ist ein auf den ersten Blick nicht sichtbarer Umverteilungsmechanismus, dessen negative Auswirkungen bei hohen Wachstumsraten der Wirtschaft kaum erkennbar sind. Zerstörerisch wird dieser Mechanismus aber dann, wenn das Wachstum nachlässt.

    5. Die zeitliche Entwicklung von Einkommen, Vermögen und Konsum bleibt für jede Haushaltsgruppe stabil, wenn der Zinssatz der Ökonomie auf Null gesetzt wird. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn das Wirtschaftswachstum nachlässt oder stagniert. Die Verzinsung von Kapital hat nur dann langfristig keine destabilisierende ökonomische Wirkung, wenn die Wirtschaft stetig und zeitlich unbeschränkt, d. h. exponentiell, wächst. Aufgrund der Endlichkeit der Ressourcen der Erde ist ständiges Wachstum jedoch weder wünschenswert noch möglich. Wenn eine Wirtschaftsordnung langfristig stabil bleiben soll, dann muss sie sich vom Konzept der Vermögensverzinsung verabschieden.

    Der blinde Fleck der Volkswirtschaftslehre
    http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/11/der-blinde-fleck-der.html

    Warum ist das so schwer zu verstehen? Die Allermeisten fürchten sich weniger vor dem Untergang unserer gesamten „modernen Zivilisation“ als vor dem „Verlust“ der Religion:

    http://www.deweles.de/intro.html

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