Während die Politik hierzulande nach Möglichkeiten sucht, suffiziente Lebensstile zu ermöglichen und eine große Transformation herbeizuführen, fand im September im fernen Korea ein Festival statt, das einen äußerst zukunftsweisenden Charakter hat: für einen Monat ließ ein ganzer Stadtteil seine 1500 Autos stehen – und zwar außerhalb des Viertels.
Die Bewohner_innen der Haenggung Nachbarschaft in Suwon, Südkorea, lebten während des ersten „EcoMobility World Festivals“ so, wie es sich viele Menschen hierzulande wünschen: ohne Autos, dafür zu Fuß oder per Fahrrad und mit viel Platz auf den Straßen. Parkplätze wurden zu Restaurants unter freiem Himmel. Wo sich früher Autos stauten, spielten Kinder auf der Straßenkreuzung. Und statt Motorengeräuschen erfüllten menschliche Stimmen den Straßenraum.
Suwon, selbst eine Millionenstadt, ist Teil eines der größten Agglomerationsräume der Welt und liegt eine einstündige U-Bahn-Fahrt südlich von Seoul. Vor einigen Jahren noch hätte niemand erwartet, dass die Stadt eine Vorreiterrolle in Sachen nachhaltiger Mobilität einnehmen könnte – denn die meisten Straßen sind vollgestopft mit großen SUVs, Autobahnschneisen bestimmen das Stadtbild und die wenigen Fahrradwege sind marode. Das Haenggung Viertel liegt innerhalb der alten Stadtmauern und setzt sich mit seinen niedrigen Häusern deutlich von den drumherum liegenden Hochhaussiedlungen ab. Vorwiegend ältere Menschen wohnen hier, aber auch Familien mit Kindern und Pendler, die jeden Tag mit dem Auto in Büros oder Fabriken im Umland fahren.
Die Inszenierung der Zukunft
Vor zwei Jahren griff der Bürgermeister der Stadt eine Idee auf, die vom internationalen Städtebündnis ICLEI vorgestellt wurde: die einmonatige Inszenierung eines Lebens ohne Autos. Die Idee dahinter: für vier Wochen ausprobieren, was für die allermeisten heutzutage kaum vorstellbar ist. Und das, ohne Angst haben zu müssen, dass eine dauerhafte Veränderung das Leben umständlicher macht. Parallel zum Festival fand ein internationaler Kongress zum Thema „EcoMobility“ statt. Wissenschaftler, Politiker und Beamte aus aller Welt diskutierten dort die Ersetzung des Autos durch Gehen, Radfahren, der Nutzung von Trolleys, Wagen und Karren, von öffentlichen Verkehrsmitteln und Carsharing. In den Pausen konnten sie auf den Straßen sehen, was sie in den Sitzungsräumen diskutierten. So konnten die Bilder und Erlebnisse, die das Festival erzeugte, in die Welt getragen werden.
Ein Viertel, viele Meinungen
Das Stadtviertel hatte sich um das Projekt beworben. Der Bürgerverein, sowie Vertreter_innen der Kunst- und Kulturszene, verschiedene Restaurantbesitzer und Schülergruppen befürworteten das Festival stark und halfen bei der Organisation. Sie betrieben Velotaxis, mit denen Besucher_innen das Viertel erkunden konnten, stellten Informationsstände auf und gestalteten Plätze, die zum Verweilen, Kommunizieren und Malen einluden.
Von den knapp 4500 Einwohner_innen Haenggung-Dongs fanden aber nicht alle diese Idee gut. Besonders die Betreiber_innen kleiner Läden, Fabriken und Restaurants im Viertel befürchteten, ohne Autos bliebe die Kundschaft weg. Andere Anwohner_innen klagten, dass sie Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssten und gar nicht hinter der Idee stünden. Unternehmen, die auf Lieferungen angewiesen waren, hatten Sorge vor Einkommensverlusten.
Tatsächlich entschied die Stadt, im Vorfeld des Festivals Straßen zu erneuern, Stromleitungen unter die Erde zu verlegen und Bäume zu pflanzen. Während der mehrmonatigen Bauarbeiten waren viele Bereiche des Viertels schwer zugänglich.
In dem kleinen Viertel wurde schnell deutlich, dass es Befürworter und Gegner gibt und solche, die sich einfach nicht vorstellen konnten, was auf sie zu kommt. Viele der Ängste konnten mit der Zeit behoben werden.
Veränderung durch Reibungen?
Der Versuch von Suwon zeigt, dass eine komplette Umgestaltung des Alltags konfliktreich sein kann, aber auch viele Möglichkeiten eröffnet. Statt sich der Angst vor Veränderung hinzugeben, konnte ausprobiert werden. Statt theoretische Auseinandersetzungen über Umnutzungen des Straßenraums zu führen, können nun Debatten über das Erlebte stattfinden. Und statt die Dominanz der Autos zu akzeptieren, konnte die Situation vorübergehend umgedreht werden. So zwangen die spielenden Kinder auf der Straße die wenigen verbliebenen Autofahrer,[1] langsam und achtsam zu fahren.
Mit dem Festival werden einige Fragen beantwortet, aber auch neue aufgeworfen. Brauchen Veränderungen einen Anstoß von außen? Dürfen Politiker Entscheidungen treffen, die direkt in den Alltag der Bewohner_innen eingreifen? Wie kann ein Rahmen geschaffen werden, in dem neue Lebensweisen getestet werden? Und was bleibt, nachdem alles vorbei ist?
Ein paar erste Überlegungen zu diesen Fragen werde ich in einem zweiten Beitrag vornehmen.
Weitere Informationen und Fotos zum Festival gibt es unter: http://ecomobilityfestival.org/. Demnächst wird es zudem einen Dokumentarfilm geben, der über ICLEI bestellt werden kann: http://www.iclei.org/.
[1] Die Bewohner_innen wurden aufgefordert, während der Festivalzeit ihre Autos auf einem dafür ausgewiesenen Parkplatz direkt außerhalb des Viertels zu parken und sich innerhalb des Viertels mit einem Shuttle-Service, zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewegen. Sie wurden dazu allerdings nicht gezwungen. Laut Angaben der Stadt Suwon wurden 97 Prozent der im Viertel registrierten Autos außerhalb geparkt. Nur während eines koreanischen Feiertages in der dritten Festivalwoche waren wieder deutlich mehr Autos im Stadtteil unterwegs, da viele Bewohner_innen Familienbesuche empfingen.
Die Anregungen für einen Auto und Parkplatz-freien, -losen, -armen Stadtteil Hannover Linden greifen wir gern auf.
Abwarten, was sich im Autoland Deutschland und VW-Land Niedersachsen realisieren lässt.
Die Anschaffung von Lastenfahrräder mit und ohne Elektroantrieb, die Organisation von Parkplätzen und Unterständen im öffentlichen Raum dafür beschäftigt uns derzeit. Das erscheint schwierig bis unüberwindlich. Vielleicht gibt es auch dafür Anregungen.