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Geplante Obsoleszenz hat Tradition

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Unsere Konsumgesellschaft hat Geschichte. In dieser Geschichte hat die Beschleunigung der Umschlagshäufigkeit des Kapitals zu einer steten Reduzierung von Nutzungsdauern geführt. So entstand die geplante Obsoleszenz, also das absichtliche Reduzieren von und Einflussnehmen auf die Nutzung von Gütern zugunsten einer Steigerung der Rendite. Dies in seinen Ursachen und Folgen zu untersuchen, ist eine notwendige Aufgabe. Dies wie durch Harald Wieser thematisiert zu ignorieren, wäre fahrlässig.

Die erste Beschreibung dieses Zusammenhangs geht auf Paul M. Gregory zurück, wobei dieser die geplante Obsoleszenz „absichtliche Obsoleszenz” nannte: „Purposeful obsolescence exists (a) whenever manufacturers produce goods with a shorter physical life than the industry is capable of producing under existing technological and cost conditions; or (b) whenever manufacturers or sellers induce the public to replace goods which still retain substantial physical usefulness” [1].

Harald Wieser vermutet hier einen Teufelskreis und meint: Der Produzent glaube an die Wegwerfgesellschaft und produziere deshalb möglichst billig. Den Marketingfachleuten, Wirtschaftswissenschaftlern und Produktdesignern werfe Wieser vor, dass sie gar nicht genau wissen, was die Kunden wirklich wollen. Es macht allerdings nicht viel Sinn, zur Herleitung eigener Anschauungen vom Unwissen der beobachteten Zielgruppe auszugehen.

Ursprünglich ging es Bernhard London bei der geplanten Obsoleszenz sogar um positive Ziele wie Arbeitsplatzsicherung und wirtschaftliche Stabilität [2]. Jack Sloan von General Motors ging es bei der Einführung der Jahresmodelle um Modellvielfalt und Unternehmensorganisation. Die ruinösen Folgen der Industrialisierung für Gesellschaft und Umwelt wurde im frühen 20. Jahrhundert zwar schon thematisiert, jedoch in ihren Folgewirkungen nicht ernst genug genommen. Heute befassen wir uns endlich auf breiterer Ebene mit Themen wie Klimawandel, Ressourcenwende und Postwachstum.

Gibt es eine Produktbindung?

Die Produktbindung eines Menschen ist für jeden evident und für Hersteller ein ebenso wichtiges Thema wie die Kundenbindung. Warum Herr Wieser dies für nicht evident hält, wird von ihm nicht näher begründet. Die von mir vorgeschlagene Arbeitshypothese einer der Normalverteilung entsprechenden Häufungsverteilung von Produktbindungseinstellungen auf der Seite der Nachfrage, die jedoch auf der Angebotsseite einer Produktvielfalt gegenüber stehen, die diesem Kundeninteresse aus ökonomischen Gründen nicht gerecht wird, ist ein produktiver Ansatz, der eine Alternative zu den in der Wirtschaft propagierten Konsummustern und Kundenmilieus darstellt. Weitere Untersuchungen sind hier sicher hilfreich.

Für eine Objektivierung der Wissenschaft ist es meines Erachtens hilfreich, die eigenen Erkenntnisprozesse von den Entscheidungslogiken der untersuchten Gruppe zu distanzieren. Abwägungen im Produktdesign unterliegen den Entscheidungen im Management. Daher spricht auch diese betrieblich von „geplanter Gebrauchsdauer“. Selbstverständlich ist auch Marketing ein geplanter Prozess und die Auslegung von Produktnutzungsdauern sind keine passive Reaktion von Herstellern, die damit nur den von ihnen selbst definierten Konsummustern folgen. Hersteller und Handel haben keine Produktbindung. Ihnen liegt am Umsatz. Harald Wieser selbst beschreibt dies in seiner Kritik der UBA-Studie zur Obsoleszenz.

Schadfolgen durch geplante Obsoleszenz sind evident

Mit nachvollziehbar dargestellten und in ihrer Herleitung begründeten Szenarien hat die Studie der Grünen zur geplanten Obsoleszenz 2013 deutlich gemacht, dass der finanzielle Schaden der geplanten Obsoleszenz in Abhängigkeit von den zugrunde gelegten Annahmen für Deutschland zwischen 67 und 137 Milliarden Euro pro Jahr liegt. Inwieweit diese Annahmen in einer Szenarienplanung aufgrund fehlender Transparenz seitens der Hersteller und bisher fehlender Untersuchungen Einschränkungen unterliegen, wird in der Studie ausführlich erläutert. Warum ein angehender Wissenschaftler wie Harald Wieser dieses Vorgehen als „aus der Luft gegriffen“ diskreditiert, ist angesichts der wissenschaftlich begründeten Vorgehensweise nicht nachvollziehbar und erweckt den Eindruck von Oberflächlichkeit in der Analyse.

Auch die UBA-Studie bestätigt geplante Obsoleszenz

Wer sich die UBA-Studie zur geplanten Obsoleszenz durchliest, findet darin die Bestätigung der geplanten Obsoleszenz. Denn die funktionelle, qualitative, psychologische und ökonomische Obsoleszenz sind Unterkategorien der geplante Obsoleszenz, die selbst im hinteren Teil der Studie auf Seite 289 letzter Absatz bestätigt wird (ausführlich dazu die Analyse der UBA-Studie).

Worauf sich Kritiker/innen zum Vorkommen der geplanten Obsoleszenz stets populistisch reduzierend beziehen, ist die vermeintlich schwierige bis vermutet unmögliche Nachweisbarkeit von arglistigen Ausprägungen betrieblicher Entscheidungen (vom bedingten Vorsatz bis zur Arglist). Doch die Schwierigkeit eines Nachweises ist kein Beweis für die Nichtexistenz des Untersuchungsobjekts. Konkrete Verdachtsfälle hierfür gibt es viele, deren Nachweis macht aufwändige Gerichtsprozesse erforderlich. Denn wo sonst können strafrechtliche Verstöße nachgewiesen werden? Fehlen konkrete Gesetze, wird es noch schwieriger. So erklärt sich auch die französische Gesetzesinitiative. Wer jedoch einen strafrechtlich relevanten Verdacht ohne gerichtliche Überprüfung bestreitet, schützt damit lediglich den möglichen Verursacher.

Wissenschaftliche Verkürzung verhindert notwendige Lösungen

Eine Reduzierung und Eingrenzung der vielfältigen Dimensionen der geplanten Obsoleszenz auf bösartig verursachte Nutzungsdauerverkürzungen ist wissenschaftlich haltlos und historisch nicht begründbar. Die damit durch Harald Wieser selbst mitgetragene Kriminalisierung einer dringend notwendigen Debatte zum Thema der geplanten Obsoleszenz und den positiven Folgen von Haltbarkeit und Kreislaufführung ist nicht zielführend und reduziert seine und die öffentliche Sichtweise. Die negativen Folgen dieser eingegrenzten Sichtweise beschreibt Harald Wieser selbst in seinem Beitrag mit seinen Aussagen zu den politischen Initiativen in seinem Heimatland.

Zur Reduzierung und Vermeidung von geplanter Obsoleszenz sind neben strafrechtlichen Novellierungen und Ergänzungen weitere rechtliche, normative und gesellschaftlich-kulturelle Maßnahmen gegen geplante Obsoleszenz geboten und hilfreich (Handlungsprogramm). Dies wurde so auch auf der Pforzheimer Tagung zur Verbraucherpolitik erkannt [3]. Wie in der UBA-Studie werden dabei im Wesentlichen Maßnahmen beschrieben, die die betriebliche Handlungsebene als Ursache adressieren.

Diejenigen, die auf die erheblichen Schadfolgen der geplanten Obsoleszenz hinweisen, dafür verantwortlich zu machen, dass der kaufende Bürger das Vertrauen in die Wirtschaft verliert, verkennen wie Harald Wieser, dass dieses Vertrauen aufgrund eigener Erfahrungen bereits zerrüttet war. Eine fehlende Handlungsorientierung in der Politik trägt mit dazu bei. Eine blinde Forschung ebenso. Geplante Obsoleszenz ist ein weit verbreitetes und mittlerweile von vielen anerkanntes Problem mit erheblichen Schadfolgen für alle. Wer davor seine Augen verschließt, weil er die Folgen einer selbst mitverursachten Reduzierung der analytischen und handlungsorientierten Betrachtung der vielfältigen Erscheinungsformen nicht mit eigenem Verhalten in Zusammenhang bringt, wird keinen wesentlichen Beitrag zur Lösung leisten können.

Mehr Trennschärfe

Der Untersuchungsgegenstand der von Menschen herbeigeführten Obsoleszenz braucht mehr Trennschärfe, will man zu kausal begründbaren Erkenntnissen und wirksamen Lösungen finden. Die anthropogene Obsoleszenz untergliedert sich in die geplante, exogene und die human-ethologische Obsoleszenz. Für eine Reduzierung und Vermeidung von geplanter Obsoleszenz sind Maßnahmen erforderlich, die betriebliche Entscheidungsursachen adressieren. Ob und inwieweit exogene oder human-ethologische Obsoleszenz durch Handlung im normativen und politischen Raum oder im kulturellen Raum zu adressieren sind, eröffnet weitere davon zu differenzierende Untersuchungsgegenstände, die auch durch eine Suffizienzpolitik wertvoll adressiert werden können.

Die bisherigen Untersuchungen von Harald Wieser beziehen sich auf das Verhalten von kaufenden Bürger/innen und wenden sich damit vorrangig Fragen der human-ethologischen Obsoleszenz zu. Wer etwas zu geplanter Obsoleszenz sagen will, wird sich vorrangig mit wirtschafts-, design- und ingenieurswissenschaftlichen Fragestellungen befassen. In diesen Bereichen gibt es aufgrund der Wechselwirkungen in Tauschbeziehungen Überlappungen. Dies sollte jedoch nicht dazu verleiten, die notwendige Trennschärfe in der Analyse zu vernachlässigen.

 

[1] Gregory, P.M. (1947). A Theory of Purposeful Obsolescence. In: Southern Economic Journal. 14. Jahrgang, Nr. 1. S. 24-45.

[2] London, B. (1932). Ending the Depression Through Planned Obsolescence.

[3] Brönneke / Wechsler (2015). Obsoleszenz interdisziplinär. Vorzeitiger Verschleiß aus Sicht von Wissenschaft und Praxis. Baden-Baden, Nomos Verlag.

Stefan Schridde ist Initiator und Vorstand von MURKS? NEIN DANKE! e.V . (http://www.murks-nein-danke.de/blog), einer bürgerschaftlichen Organisation für nachhaltige Produktqualität und gegen geplante Obsoleszenz. Er arbeitet freiberuflich als Dozent, Coach und Berater für Stadt- und Regionalentwicklung, Business Development, Projektmanagement, Personalentwicklung, Qualitätsmanagement und Social Media. Er ist zudem geschäftsführender Gesellschafter der ARGE REGIO Stadt- und Regionalentwicklung GmbH.

3 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Wieser, da Sie mich persönlich ansprechen, antworte ich Ihnen hier. Die Handlungsmotivation für geplante Obsoleszenz auf allein Arglist zu reduzieren, geht weiterhin nicht nur bei Ihnen an der Sache vorbei. Dazu haben andere und ich bereits ausführlich geschrieben. Mit dieser Literatur scheinen Sie sich noch nicht befasst zu haben, daher der Gedanke zur Oberflächlichkeit, der sich jedoch nicht nur auf Ihren Blogbeitrag bezieht. Andere Veröffentlichungen von Ihnen kenne ich nicht und kommentiere ich diese daher auch nicht.

    Da kein Kunde konkrete Produkteigenschaften bestellt hat, bleiben selbstverständlich alleine Hersteller und Handel dafür verantwortlich, was sie in die Regale stellen. Auch die sogenannten „Konsummuster“ sind Parameter, die alleine die betriebliche Seite von Herstellern, Handel, Werbeagenturen und Marktforschung zu vertreten haben. Geplante Obsoleszenz bezieht sich schon alleine der Definition wegen auf die betriebliche Entscheidungsebene. Ihr Nachweis ist bereits vollzogen und wird auch durch Sie und die UBA-Studie, wenn auch mit anderen Worten oder Darstellungen bestätigt. Eine Debatte zur Sinnhaftigkeit des Begriffs „geplante Obsoleszenz“ ist nicht erforderlich. Eine sachliche Debatte zu den Ursachen von geplanter Obsoleszenz, deren Schadfolgen und zielführende Maßnahmen zu deren Beendigung ist insbesondere für den krisichen Kontext der Postwachstumdebatte hilfreich. Wenn ich andere zu einer Teilnahme an dier Debatte auf diesem Blog einlade, ist dies jedoch kein „Schlachtaufruf“. Warum geht Ihre Wahrnehmung in diese Richtung? Nebenbei, wenn Sie einen Dialog mit mir persönlich suchen wollen, empfehle ich das direkte Gespräch. Dieser Bolg ist meines Erachtens eher der Ort für eine sachbezogene Debatte.

  2. Ich gehe davon aus, das die geplante Obsoleszenz in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat und inzw. auch von Institutionen wie der Stiftung Warentest vollumfänglich akzeptiert wird.
    Ich habe gerade einen Mixer (AEG PerfectMix SB2500 Mini Mixer) mit dem Testurteil „Gut“ erworben der max. 1 min. benutzt werden darf, da er sonst durchschmort. Das Gerät das ich dafür ausrangiert habe konnte gut 2min ohne Probleme mixen und kostete nur ein Drittel des AEG.
    Ich habe diversen „Elektroschrott“ bei der die Absicht erkennbar ist, ich gehe davon aus das läuft so ähnlich wie bei den Abgaswerten für Dieselfahrzeuge.

    Ciao
    DD

  3. Harald Wieser sagt am 4. Februar 2017

    Lieber Herr Schridde,

    In Ihrem Beitrag und dem Kommentar zu meinen Blog-Beitrag werfen Sie mir so einiges vor: Oberflächlichkeit in der Analyse, ich würde meine eigenen Anschauungen auf Basis schlichter Annahmen herleiten, ich wäre selbst Schuld an einer Reduktion der Debatte, und mangelndes Solidaritätsverständnis. Dazu kommt ein Schlachtaufruf bei Ihren rund 30.000 Facebook-Anhängern. Eine solche Reaktion trägt kaum dazu bei, die Debatte auf eine sachlichere und weniger überhitzte Ebene zu heben – und erinnert an die teils heftige Kritik, der die Autoren der UBA-Studie ausgesetzt waren.

    Auf dieser Basis macht es auch wenig Sinn, auf alle Ihre Punkte einzugehen. Um grobe Missverständnisse zu verhindern, möchte ich aber doch auf einige Punkte kurz eingehen.

    Ich würde absichtliche Maßnahmen der Hersteller zur Verkürzung der Nutzungsdauer ignorieren und nur den Konsumenten ansprechen: Das ist völlig falsch. Vielmehr habe ich einige solcher Maßnahmen in meiner bisherigen Forschung untersucht und in mehreren Publikationen (siehe bspw die zwei genannten am Ende meines Beitrags) thematisiert. Dass viele Unternehmen die Obsoleszenz von Produkten beschleunigen, steht außer Frage. Ich wehre mich aber gegen die verkürzte Sicht, dass dies lediglich in der Verantwortung der Hersteller liege und immer böswillig geschähe.

    Es ist auch nicht richtig, dass ich bisher nur das Verhalten von Konsumenten untersucht hätte und ich daher nichts über Herstellerpraktiken sagen könnte. Zum einen forsche ich zurzeit über die Strategien von Herstellern (das konnten Sie auch nicht wissen), zum anderen muss man eben Konsumenten und nicht Hersteller studieren, wenn man den Einfluss von Herstellerpraktiken untersuchen will.

    Ich habe auch an keiner Stelle erwähnt, die Produktbindung wäre nicht wichtig. Meine Kritik ist schlicht, dass Sie eine „Arbeitshypothese“ als empirische Evidenz verkaufen. Weitere Untersuchungen sind dazu nicht nur hilfreich, sondern absolut notwendig um überhaupt von einer „Häufigkeitsverteilung der Produktbindungseinstellungen“ reden zu können. Ähnliches gilt für die Kalkulation der Gesamtkosten aus „geplanter Obsoleszenz“. Wenn man keine Datengrundlage hat, sollte man auch keine Szenarien erstellen – völlig egal wer den Mangel an Daten verschuldet hat.

    Auch den Vorwurf einer „selbst mitverursachten Reduzierung der analytischen und handlungsorientierten Betrachtung der vielfältigen Erscheinungsformen [geplanter Obsoleszenz]“ kann ich nicht nachvollziehen, plädiere ich doch in meinem Blog-Beitrag und anderen Publikationen durchwegs für eine ausgewogenere Debatte, die den vielfältigen Formen und Ursachen von Obsoleszenz entspricht.

    Noch ein kurzer Kommentar zu Ihrer Aussage „Die Schwierigkeit eines Nachweises ist kein Beweis für die Nichtexistenz des Untersuchungsobjekts“: Dem stimme ich im Allgemeinen vollkommen zu, aber die „geplante Obsoleszenz“ ist nicht etwas, das man nachweisen könnte. Ein Gericht ist tatsächlich der richtige Ort für eine solche Untersuchung, aber es kann nichts beweisen, sondern nur feststellen, ob eine Verkürzung der Nutzungsdauer in einer bestimmten Situation ‚angemessen‘ bzw. ‚vertretbar‘ war oder nicht.

    Ich hoffe wir können die Debatte zur Sinnhaftigkeit des Begriffs der „geplanten Obsoleszenz“ auf einer sachlichen Ebene fortführen, denn einen regen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis halte ich für sehr wichtig. Meinungsverschiedenheiten und öffentliche Kritik sind für mich kein Ausdruck mangelnder Loyalität, sondern ein wesentlicher Bestandteil jeder ernstzunehmenden Debatte und stärken ihre Glaubwürdigkeit. In diesem Sinne bin ich gespannt auf die kommenden Blog-Beiträge.

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