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Gefährliches Werben: Wachstumskritik von Rechts

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Wachstumskritische Autor*innen und Befürworter*innen einer Postwachstumsgesellschaft werden dafür kritisiert, dass ihre Argumente für eine Vereinnahmung von autoritär-nationalistischer und völkisch-rassistischer Seite offen seien. Weil solche Einwürfe oft polemisch und pauschalisierend vorgebracht werden und eher auf die Delegitimierung wachstumskritischer Positionen insgesamt zielen, reagieren die Kritisierten oft nur mit verärgerter Zurückweisung. Dennoch sollten sich Befürworter*innen von Postwachstum und Degrowth ernsthaft fragen, inwiefern die eigenen Argumente nicht tatsächlich für eine solche Vereinnahmung von rechts anschlussfähig sind.

Wegen der Unterbestimmtheit des Gegenstands „Wachstum“ ist Wachstumskritik per se in der Tat politisch nicht klar verortbar. In einer Repräsentativbefragung von 2016 stimmten der Aussage „Wenn ich sehe, dass unsere Wirtschaft Jahr für Jahr weiter wächst, frage ich mich: wie lange kann das noch gut gehen?“ fast drei Viertel der Befragten zu. Dass dahinter sehr unterschiedliche politische Haltungen stehen müssen, liegt auf der Hand.

Dementsprechend sind öffentlich artikulierte wachstumskritische Positionen auch in fast allen politischen Lagern – mit Ausnahme allenfalls des wirtschaftsliberalen Spektrums – präsent. Überraschend ist es also nicht, dass Wachstumskritik auch in der politischen Rechten Anklang findet. Die Auseinandersetzung hierum ist jedoch umso dringlicher geworden, weil mit dem Erstarken des autoritären Nationalismus politische Kräfte an Einfluss gewonnen haben, die mit ihren rassistischen Ideologien teilweise an der verbreiteten Wachstumsskepsis anzudocken versuchen. Für die fatalen Folgen der Ansicht, die gemeinsame Gegnerschaft zu „Neoliberalismus“ oder EU-Austeritätspolitik mache den Feind des Feindes zum Freund, sollten die als wachstumskritisch geltenden Cinque Stelle, die italienische Fünf-Sterne-Bewegung, die zusammen mit einer neofaschistischen Partei regiert, mahnendes Beispiel sein. Dies zwingt Wachstumskritiker*innen, die sich als emanzipatorisch verstehen, zur Konkretisierung der eigenen Kritik und zu klaren Abgrenzungen.

Rechtspopulismus und Wachstum: Unhinterfragte Befürwortung

Nun ist rechts nicht gleich rechts, und verschiedene autoritär-nationalistische Akteure stehen dem Wachstum und seiner Kritik ganz unterschiedlich gegenüber. Am einfachsten liegt die Sache bei denjenigen Kräften, die als ‚populistisch‘ einigermaßen passend beschrieben sind – z.B. Trump, UKIP („Partei für die Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs“) oder der national-neoliberale Flügel der AfD. „Populismus“ meint hier eine politische Strategie, die auf kurzfristigen Erfolg in Wahlen und Abstimmungen zielt, Stimmungen bedient und mit Schuldzuweisungen gegen Minderheiten und „Die da oben“ an verbreitete Vorurteile appelliert. Solche Kräfte können mit Wachstumskritik meist nichts anfangen, ist Wachstum doch in ihrer Vorstellung des „gesunden Volksempfindens“ nach wie vor positiv besetzt, weil mit persönlichen Wohlstandsgewinnen assoziiert. Dies ist eng verknüpft mit marktliberalen Glaubenssätzen, die inzwischen von einer Mehrheit als ökonomischer Common Sense verinnerlicht worden sind. Dass solche Kräfte versuchen könnten, die Wachstumskritik zu vereinnahmen, ist eher nicht zu befürchten.

Völkischer Rassismus: Wachstumskritik von rechts

Anders ist es bei den offen völkisch-rassistischen Strömungen der Rechten, und insbesondere der „Neuen Rechten“, die sich statt offener Faschismus- und NS-Bezüge lieber bei der Tradition der sogenannten „Konservativen Revolution“ in der Zwischenkriegszeit bedient. Die „Neue Rechte“ – in Deutschland u. a. der Verleger Götz Kubitschek und die „Identitäre Bewegung“ – vertritt die bis in die politische Mitte hinein anschlussfähige Vorstellung, dass Ungleichheiten zwischen Menschen durch ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen „Kulturen“ berechtigt und eine Vermischung derselben schädlich sei. Zwar wird nicht mehr offen die Ausrottung anderer „Völker“ gefordert, wohl aber behauptet, dass es für alle am besten sei, wenn jede*r da bleibe, wo er*sie hingehöre. Der völkisch-rassistische Kernglaubenssatz bleibt dabei erhalten: Es gebe verschiedene Menschentypen, die ungleich seien und es bleiben müssten. Somit sind solche Ideologien stets im Kern anti-egalitär, anti-universalistisch und anti-individualistisch.

In der AfD ist solches Gedankengut prominent durch den thüringischen Landesvorsitzenden Bernd Höcke vertreten, der ideologisch klar in diesem Spektrum verortet ist. Er verbindet seine Vorstellungen einer völkischen Wende mit expliziter Wachstumskritik. In deren Zentrum stehen jedoch nicht die Steigerungszwänge, die sich aus dem kapitalistischen Wettbewerbsprinzip und der abstrakten Logik der erweiterten Reproduktion des Kapitals ergeben, sondern der Zins: „Die gegenwärtige Krise ist definitiv keine […] der Marktwirtschaft, sondern eine des korrespondierenden Geldsystems, des zinsbasierten Kapitalismus.“ (Leserbrief an die Junge Freiheit, 2008). Gemäß einer langen Tradition scheinbar antikapitalistischer rechter Argumentationen verortet er so das Problem in antisemitisch aufgeladener Weise im „parasitären“ Wesen des verzinslichen Kredits. Den Schritt zur personalisierenden Zuweisung der Schuld für die negativen Folgen des Wachstums an „die Juden“ nimmt Höcke nicht explizit vor, doch sein Publikum wird verstehen, was gemeint ist. Dass zinskritische Argumente, wenn auch ohne antisemitische Konnotation, auch in Teilen der Postwachstumsdebatte immer wieder angeführt werden, sollte emanzipatorisch orientierten Wachstumskritiker*innen zu denken geben.

Eine weitere wichtige Figur ist Felix Menzel, selbsterklärter intellektueller Kopf der „Identitären Bewegung“. Er veröffentlichte im Blog von Kubitscheks „Sezession“ eine Reihe zur Wachstumskritik, die neben der Zinskritik vor allem das Bevölkerungswachstum im globalen Süden als angebliche Gefahr für die Gesellschaften des globalen Nordens hervorhebt. Um dem entgegenzutreten, müssten vor allem Migrationsbewegungen verhindert werden, nötig sei eine Abkehr von der Globalisierung und eine Rückbesinnung auf das „Eigene“ nationaler und regionaler Kulturen. Die Nähe zu manchen Varianten von Wachstumskritik ist augenfällig. Und so ruft Menzel denn auch linke Kritiker*innen von Wachstum und Globalisierung auf, sich dem völkischen Denken zuzuwenden, um gemeinsam gegen eine „Metaideologie“ der „grenzenlosen Flexibilität“ und für „ein bescheidenes Leben auf der Basis des gesunden Menschenverstandes“ zu kämpfen. Dass dieses ‚Angebot‘ auf das Schärfste zurückgewiesen werden muss, sollte klar sein.

Wie damit umgehen?

Das deutschsprachige Postwachstumsspektrum hat erst in Ansätzen begonnen, sich der Auseinandersetzung mit Vereinnahmungsversuchen von rechts zu stellen. Während in den konservativen und suffizienzorientierten Strömungen kaum Problembewusstsein erkennbar ist, überwiegt im Degrowth-Spektrum die deutliche Abgrenzung. Auf degrowth.info wird in vielen Beiträgen sehr klar die Unvereinbarkeit von Degrowth mit völkischen oder nationalistischen Positionen betont. Auch eine praktische Solidarisierung mit von Rassismus Betroffenen findet statt.

Wie aber sieht eine ‚unvereinnahmbare‘ Wachstumskritik aus? Rein auf Öko- und Entfremdungsargumenten beruhende Positionen laufen allzu leicht Gefahr, in Menzels Falle zu tappen und sich den falschen „Verbündeten“ zuzuwenden. Eine Position, die Degrowth als globale Gerechtigkeitsbewegung versteht und die Aufhebung wirtschaftlicher Steigerungszwänge als Voraussetzung der ökologischen und sozialen Gleichheit aller Menschen begreift, widersteht diesem Irrtum. Entscheidend für „Unvereinnahmbarkeit“ sind der zentrale Bezug auf globale Gleichheitsforderungen, aus denen sich ökologische Ansprüche ergeben (und nicht umgekehrt), der positive Bezug auf den emanzipatorischen Gehalt, den das universalistische Denken der Moderne immer auch gehabt hat, und eine Kritik kapitalistischen Wirtschaftens, die auf dessen Logik von Extraktion, Ausbeutung und Zerstörung abhebt statt auf Zins, Geld und Konsum.

 

Dieser Beitrag ist eine gekürzte Version des Artikels „Gefährliches Werben. Über die Anschlussfähigkeit der Postwachstumsdebatte gegenüber dem autoritären Nationalismus – und was sich dagegen tun lässt“ aus dem Schwerpunktheft zu „Degrowth“ des Forschungsjournals Soziale Bewegungen. Die Artikel-Reihe zum Schwerpunktheft auf dem Blog Postwachstum ist in Zusammenarbeit mit dem Degrowth-Webportal des Konzeptwerk Neue Ökonomie entstanden.

Alle Beiträge zu dieser Reihe finden Sie unter dem Schlagwort „Schwerpunkt Entwachstum“.

Dr. Dennis Eversberg hat Soziologie, Sozialpsychologie, Politik- und Rechtswissenschaften studiert. 2013 promovierte er zum Thema „Dividuell aktiviert. Zur dividualisierenden Dynamik 'aktivierender' Arbeitsmarktpolitik und ihren subjektiven Auswirkungen am Beispiel von Jugendlichen in einer Pilotmaßnahme". Von 2012-2018 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Kolleg Postwachstumsgesellschaften der Friedrich-Schiller-Universität Jena und forschte unter anderem zur Degrowth-Bewegung. Ab 1.3.2019 leitet er die Nachwuchsgruppe "Mentalitäten im Fluss. Vorstellungswelten in modernen bio-kreislaufbasierten Gesellschaften" am Institut für Soziologie der FSU Jena.

1 Kommentare

  1. Die theoretische Grundlage dafür wurde schon von Ulrich Beck geliefert („Die Neuvermessung der Ungleichheit unter den Menschen“ 2008). In der öffentlichen Debatte tut man sich aber noch immer schwer damit. Vielleicht hilft nun die Auseinandersetzung mit rechts-populistischen Positionen, für mehr Klarheit zu sorgen. Becks Analyse wird dabei hilfreich sein: „die soziale Position von Individuen und Gruppen im Weltmaßstab […] ist die eigentliche Dimension der Ungleichheit!“

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