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Fiktive Rückschau auf die Zeit der „Wachstumswende“ – im Interview mit Katja Kipping

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logo-stream-72-dpi-150pxKatja Kipping ist Vorsitzende der Partei Die Linke. Neben ihrem Engagement für gute Arbeitsbedingungen als sozialpolitische Sprecherin unterstützt sie den Austausch von Parteipolitik und Zivilgesellschaft durch ihre Aktivitäten in sozialen Bewegungen wie dem Netzwerk für ein Bedingungsloses Grundeinkommen.

Für das Interview versetzen wir uns in eine mögliche Postwachstumsgesellschaft im Jahre 2030, um aus vorgestellter Zukunftsperspektive „damalige“ Schwierigkeiten und Zündungsmomente für einen gesellschaftlichen Wandel zu greifen. Von diesem Blickwinkel aus sieht Katja Kipping besonders die Demokratisierung öffentlicher Bereiche als einen wichtigen Schritt in Richtung Postwachstumsgesellschaft.

Stellen Sie sich vor, die Welt erlebt eine Zeit des „Guten Lebens“ jenseits des Wachstums. Blicken wir dann, sagen wir im Jahre 2030, auf die vergangenen Jahrzehnte zurück. Inwiefern war unsere Gesellschaft wachstumsabhängig?

Eine Produktionsform, die auf Konkurrenz und Profit orientiert ist, muss wachsen, weil nur durch Wachstum in der Konkurrenz bestanden wird, und weil Profit nur langfristig realisierbar ist, wenn die Produktion intensiv oder extensiv wächst – und mit gegebenem Verwertungsdruck zwecks Profitrealisierung auch der Konsumdruck steigen muss. Wachstum der Produktion heißt mehr Ressourcenverbrauch – Verbrauch natürlicher und menschlicher Ressourcen. Kapitalismus hieß also unökonomische Verschwendung wertvoller gemeinsamer Güter – Natur, menschliche Fähigkeiten, kultureller und intellektueller Errungenschaften.

Welche waren die Hindernisse, die einer Wachstumswende im Wege standen?

Ideologisch begründeter und institutionell abgesicherter Profit- und Konkurrenzzwang, der die Interessen weniger bediente – nämlich derer, die ohne Rücksicht auf Verluste Profit- und Machtzuwächse erreichten. Eine kulturelle Orientierung, die im Mehr von Waren angesichts des schon jahrzehntelang existierenden Überflusses an den Dingen und Fähigkeiten für das gute Leben, ihr Heil suchte – eine gefährliche Illusion, wie wir heute wissen.

Welchen Beitrag haben Sie für eine Gesellschaft jenseits des Wachstums geleistet?

Radikale Demokratisierung aller öffentlicher Bereiche, inklusive der Ökonomie, und in Hinblick auf die Commons. Dies war eine politische Aufgabe, der ich mich gern stellte. Außerdem lag mir die Einführung einer bedingungslosen materiellen Absicherung aller Menschen durch ein Grundeinkommen am Herzen – und gebührenfreie Zugänge zu Kultur, Wissen und Bildung, zum öffentlichen Verkehr und zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung für alle. Wer keine Angst hat vor Existenznöten und Ausgrenzung aus der Gesellschaft braucht auch nicht „raffen“ und muss sich nicht an „Heilsversprechen“ der Wachstumsideologen klammern.

Was macht für Sie das „Gute Leben“ innerhalb einer Gesellschaft mit bewusst geringem Produktions- und Konsumniveau aus?

Muße, Freundschaften und geliebte Menschen, Zeitsouveränität, Kultur, Tanzen, keine Angst vor Existenznöten und sozialer Ausgrenzung, politischer und intellektueller Wettstreit, Leben und Arbeiten in Harmonie mit der Natur, Produktion dessen, was wir bedürfen. Produkte, die schön sind, die gefallen. Wie Sie sehen eine ganze Menge Luxus. Gutes Leben ist luxuriöses Leben, so wie wir es heute haben. Wie arm dran waren wir doch vor 16 Jahren inmitten des Elends des Wachstums.

Welche Anzeichen für eine Welt jenseits des Wachstums gab es schon 2013?

Von klugen Leuten organisierte wachstumskritische Aufklärung, die Graswurzel-Bewegungen für eine solidarische und ökologische Ökonomie, die sozialen Bewegungen für ein Grundeinkommen, für gebührenfreien öffentlichen Verkehr, für Zugänge zu Bildung, Kultur, Wissen, Gesundheitsversorgung für alle, für Zeitsouveränität. Ärmere Länder, die auf die Ausbeutung von Erdöl, auf die Umweltzerstörung, Klimagefährdung und Zerstörung von sozialen Gemeinwesen verzichten wollten, dafür eine Entschädigung von den reichen Ländern des globalen Nordens haben wollten – und sie damals leider nicht bekamen. Sie alle waren Wegbereiter des guten Lebens, das wir heute haben.

Ein Gespräch zwischen Katja Kipping und Robert Skidelsky mit dem Titel „Wieviel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des Guten Lebens“ wurde aufgezeichnet.

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