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Europa, raus aus der Wachtumsfalle?

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“Europa, es ist Zeit, die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum zu beenden!”, hieß es in dem öffentlichen Brief, den im Anschluss an die Post-Growth Konferenz in Brüssel im Herbst 2018 zahlreiche Wissenschaftler/innen unterschrieben. Acht Monate später stehen wir kurz vor der nächsten Europawahl und gehen der Frage nach, ob es in Deutschland zur Wahl stehende Parteien gibt, die in ihrem Wahlprogramm das Wirtschaftswachstum als Zweck wirtschaftspolitischen Handelns in Frage stellen oder gar eine Postwachstumsökonomie einführen möchten.

 

Unter dem Leitspruch „Europa, raus aus der Wachstumsfalle!“ fand im Herbst 2018 die Post-Growth Konferenz in Brüssel statt, in deren Anschluss ein offener Brief veröffentlicht wurde, den über 200 Wissenschaftler/innen unterzeichneten. Der Brief richtete sich an die europäische Politik und trug den Titel “Europa, es ist Zeit, die Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum zu beenden!” In dem Brief hieß es: „Angesichts der sich abzeichnenden Risiken wäre es unverantwortlich, wenn Politiker*innen und politische Entscheidungsträger*innen sich nicht mit den Möglichkeiten für eine Zukunft nach dem Wachstum auseinandersetzen.“

Jetzt, so kurz vor der Wahl zum Europäischen Parlament ist es an der Zeit, einmal herauszuarbeiten, welche Einstellungen zum Thema Wirtschaftswachstum mit den Parteien in das EU-Parlament einziehen werden:

Schon in der Präambel ihres Wahlprogrammes zur Europawahl machen die Unionsparteien CDU und CSU deutlich: „Unser Ziel ist weiterhin, Wirtschaftswachstum und Umweltschutz zu vereinen.“ Arbeitsplätze, Ressourcenschonung, Entwicklung ländlicher Regionen, Wohlstand und soziale Sicherheit – dies sind die zentralen Punkte, denen eine positive Korrelation mit Wirtschaftswachstum in dem Wahlprogramm zugeschrieben wird.

Im Europawahlprogramm der SPD heißt es: „Wachstum darf nicht nur monetären Wohlstand bedeuten, sondern auch zu einem Mehr an Lebensqualität führen.“ Hier deutet sich also an, dass die Fortschrittsdefinition allein über den Indikator des BIP vorsichtig in Frage gestellt wird. Auch wird dem Schlagwort Wirtschaftswachstum im Wahlprogramm der SPD eine weit weniger zentrale Rolle zugeschrieben als in dem der Unionsparteien. Außer dem vorgenannten Satz findet sich nur noch die Forderung, „Europa zur führenden Innovationsregion bei der Erschließung von Potentialen der Meere und Küsten für Wachstum und Beschäftigung [zu] machen.“

Die FDP hingegen macht den Punkt „Wachstum und wirtschaftliche Dynamik freisetzen“ zu einem zentralen Ziel ihrer Europapolitik: „Wir Freie Demokraten wollen ein marktwirtschaftliches Europa, das sich durch dynamisches und nachhaltiges Wachstum auszeichnet.“ Das Wahlprogramm macht deutlich: die FDP betrachtet Wirtschaftswachstum als das wichtigste, übergeordnete Ziel ihrer Wirtschaftspolitik und als zentralen Indikator für Wohlstand und Fortschritt.

Bündnis 90/Die Grünen haben zum Wachstumsindikator BIP Folgendes zu sagen: „Der Wachstumsmaßstab Bruttoinlandsprodukt (BIP) muss durch ein grünes BIP ersetzt werden, das die Bewertung einer gesunden Umwelt und einer zufriedenen Gesellschaft sowie die demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen der Wirtschaft beinhaltet.“ Dies wird jedoch nicht weiter ausgeführt und auch ansonsten lassen sich in ihrem Programm kaum explizite Aussagen zu diesem Thema finden.

„Investitionen, die die Lebensqualität verbessern, für soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz sollen die Orientierung auf Wachstum um jeden Preis ersetzen“, propagiert hingegen Die Linke, und fügt auch an, der Zwang zu permanentem Wirtschaftswachstum im Kapitalismus untergrabe die natürlichen Lebensgrundlagen. Damit positioniert ihr Programm also die Partei als dezidiert kritisch gegenüber der Haltung, Wachstum als politische Zielsetzung zu verfolgen.

Im Wahlprogramm der AfD lässt sich keine explizite Aussage zum Wachstum des BIP finden, allerdings empfiehlt die Partei, aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen und kritisiert, die Dekarbonisierung führe nicht nur zur Reduzierung der Wirtschaftskraft Deutschlands, sondern entwickle „sich [auch] zunehmend zu einer illegitimen gesellschaftlichen Wende hin zu einem ökologistischen Planungs- und Zwangsstaat mit gewollter Mangelwirtschaft“. Diese Bewertung lässt sich zweifelsohne gegensätzlich zu den Forderungen nach einer Postwachstumsgesellschaft lesen.

Im Programm der paneuropäischen Partei Volt wird Wirtschaftswachstum durchweg positiv assoziiert und mit wirtschaftlicher Stärke, Inflationsbekämpfung, Beschäftigung, Nachhaltigkeit, Krisenprävention und Krisenentschärfung in Verbindung gebracht.

Ganz anders sieht das wiederum die ÖDP, die eine Abkehr vom Wachstumsparadigma als zentralen Punkt ihres Wahlprogrammes aufgenommen hat. Dort heißt es: „Wir setzen uns für eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft ein, die ihren Namen verdient. Die gegenwärtige neoliberale Marktwirtschaft ist weder ökologisch noch sozial. Sie setzt einseitig auf Wirtschaftswachstum und hohe Kapitalrenditen. Sie führt zu wiederkehrenden Finanzmarktkrisen, Umweltzerstörung, sozialen Verwerfungen und sie vergrößert die Kluft zwischen Arm und Reich. Die ÖDP bekennt sich zu Ideen der Postwachstumsökonomie und dem Grundsatz „Weniger ist mehr!“. Wir wollen mit weniger materiellem Aufwand gutes Leben für alle ermöglichen. Unser Ziel ist die Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks von Personen, Unternehmen und Staaten.“ Diese Zielsetzung wird im Wahlprogramm mit einer Reihe von Maßnahmen unterlegt, die den Weg in eine Postwachstumsökonomie ebnen sollen.

In dem Programm der Piratenpartei sowie dem Manifest der Partei Demokratie in Europa, DiEM, lassen sich keine deutlichen Positionen zum Thema Wirtschaftswachstum ausmachen. Das Programm der Freien Wähler ist hingegen durchweg wachstumsfreundlich.

Es gibt sie also, die Forderungen das Wachstumsparadigma zu hinterfragen oder gar zu überwinden. Ebenso scheinen sich leise Zweifel zu mehren, dass das BIP der entscheidendene Indikator für gesellschaftlichen Wohlstand ist. Dennoch sind die kritischen Stimmen noch immer nur vereinzelt wahrnehmbar, während Wachstum in den meisten Programmen weiterhin eine zentrale Rolle einnimmt. Oftmals heißt es „nachhaltiges“ Wachstum, „grünes“ Wachstum oder „qualitatives“ Wachstum – aber ohne Wachstum scheint es (noch) nicht zu gehen.

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