„Vom bloßen Wünschen ist noch keiner satt geworden.
Es hilft nichts, ja schwächt, wenn kein scharfes Wollen hinzukommt.
Und mit ihm ein scharfer, umsichtiger Blick, der dem Wollen zeigt, was getan werden kann.“
(Bloch, Ernst: Prinzip Hoffnung, Bd.3, 1602)
Eine gekürzte Fassung des Beitrags ist am 30. April 2025 im Makronom erschienen.
Wirtschaftswachstum im Zentrum der Strategie
„Deutschland steht vor historischen Herausforderungen“ (Koalitionsvertrag KV, Zeile 3) und es ist allen Beteiligten klar, dass die kommenden Jahre entscheidend sein werden. Die Koalitionäre formulieren ein hohes Anspruchsniveau (Ziele) gepaart mit einem ausgeprägten Macher-Selbstbewusstsein:
- Ambitionierte (sozio-ökonomische) Ziele: „… auch in Zukunft in einem freien, sicheren, gerechten und wohlhabenden Deutschland leben.“ (4)
- Große Antworten: „Koalitionen aus CDU, CSU und SPD waren immer dann stark, wenn wir uns große Antworten zugetraut haben. Das ist auch jetzt unser Anspruch: Wir werden beweisen, dass drei Parteien der demokratischen Mitte das Land gemeinsam erfolgreich gestalten können. In diesem Geiste wollen wir Stabilität garantieren, neue Zuversicht stiften und unser Land umfassend erneuern.“ (79-82)
- Ludwig Erhard als Pate: „Wir erneuern das Versprechen der Sozialen Marktwirtschaft – Chancen und „Wohlstand für alle.“ (33)
- Wirtschaftswachstum als ökonomische Grundlage: „Wir schaffen die Bedingungen für eine wettbewerbsfähige und wachsende Volkswirtschaft.“ (34)
Entscheidend für die Erfolgsaussichten ist eine konsistente Strategie. Gleich in der Präambel des KV finden sich dazu wichtige Elemente: Erforderlich sei „zunächst Klarheit in der Standortbestimmung“ und „Klarheit über den richtigen Weg“ (9). Strategischer Kern und entscheidende ökonomische Grundlage soll weiterhin das Wirtschaftswachstum sein, d.h. die Überwindung der seit einem halben Jahrzehnt anhaltenden Wachstumsschwäche. Davon hängt alles andere ab: die Tragfähigkeit der Schuldenlast, der soziale Zusammenhalt, die innere und äußere Sicherheit.
Neues Wirtschaftswachstum
Die Priorisierung des Wirtschaftswachstums ist nicht neu. Das galt auch schon in der letzten Legislaturperiode – und war ein wirksamer Spaltpilz der Ampel-Koalition. Die Wachstumsschwäche ist Teil des Erbes der neuen Koalition – und ebenso die Erfahrung, dass keines der vielen Wachstums-Beschleunigungs-Programme signifikanten Erfolg hatte. Wie kann sich das nun ändern? Haben sich die Umfeldbedingungen verbessert und/oder bringen die Koalitionäre neue Lösungsansätze mit (Politikwechsel, Reformagenda)?
Im Hinblick auf das geopolitische Umfeld fällt die Antwort recht eindeutig aus: Zur Zeitenwende 1.0 (2022), dem russischen Angriff auf die Ukraine, ist die Zeitenwende 2.0 (2025) hinzugekommen, der US-amerikanischer Rückzug aus NATO-Verpflichtungen (Europa allein zuhaus). Daher sollen nun die deutschen Verteidigungsausgaben massiv erhöht werden, weit über das 100 Mrd. € Sondervermögen hinaus. Die US-Handelspolitik, der Protektionismus, der sich auf Zölle stützt, wird auch die deutsche Wirtschaft erheblich belasten – und damit die öffentlichen Haushalte. Das soll durch mehr Kreditfinanzierung ausgeglichen werden, d.h. Befreiung von Schuldenregeln.
Bringen die Koalitionäre mit der KV neue Ideen und Impulse ein, die einen Pfadwechsel bewirken, d.h. nicht nur der Bekämpfung der Rezession dienen, sondern den langfristigen Wachstumstrend verändern? Die (neue) Wachstumspolitik müsste zugleich an allen Bestimmungsfaktoren des Wachstums (Produktionspotentials PP) ansetzen: Arbeit, Kapital, Produktivität.
- Arbeitskräfte: Neben der Mobilisierung interner Potentiale (Frauen-Erwerbstätigkeit, Renteneintrittsalter, Freisetzung in der Auto-Industrie etc.) geht es vor allem um einen erhöhten und dauerhaften Zuwanderungssaldo (Größenordnung 400.000 p.a.) – weil wir „als alternde Gesellschaft auf Zuwanderung angewiesen sind“ (57). Zu beachten sind Grenzen der gesellschaftlichen Integrationsfähigkeit. Der KV verspricht: „Wir stärken die Rahmenbedingungen für gelingende Integration.“
- Kapital: Es müssen sowohl die staatlichen (Infrastruktur-)Investitionen als auch die privaten Investitionen verstärkt werden, um die höheren Abschreibungen der Transformation (stranded assets) auszugleichen. Nur die Netto-Investition führt zur Kapazitätserweiterung. Dem Staat stehen nun 500 Mrd. € über 12 Jahre, d.h. 41,7 Mrd. € p.a. kreditfinanziert zur Verfügung. Private Investitionen sollen angeregt werden u.a. durch Abschreibungserleichterungen, (Aussicht auf) steuerliche Entlastung, Bürokratie-Abbau.
- Produktivitätswachstum (technischer Fortschritt, Totale Faktorproduktivität TFP): Förderung von F&E-Ausgaben und von Start-Ups verstärken und vereinfachen.
Auf der Reformagenda stehen Wachstumshemmnisse aller Art, insbes. Umwelt- und Klimaschutz. Auch die „Reform“ der Schuldenbremse, die noch weitere Ausnahmen schaffen soll, um die Kreditfinanzierung von Staatsausgaben („Investitionen“) zu ermöglichen, bleibt auf der Agenda.
Wird es in Summe damit gelingen, die Wachstumsrate im langfristigen Trend um deutlich mehr als einen Prozentpunkt p.a. zu erhöhen, also von 0,5% p.a. (business as usual) auf 1,5% p.a.? Angesichts der fortwirkenden Ungewissheit und der geopolitischen Entwicklungen (Protektionismus) erscheint das zweifelhaft. Zudem werden sowohl Migration (auch Zuwanderung in den Arbeitsmarkt) als auch die Einschränkung von Umwelt-/Klimaschutz auf massiven Widerstand in der Gesellschaft stoßen. Die Fixierung auf Wachstum könnte sich als strategischer Fehler erwiesen, wenn alle Programme und Maßnahmen weiterhin unwirksam bleiben hinsichtlich der Ausweitung des Produktionspotentials. Was sollen Wirtschaft und Gesellschaft dann tun, denen über Jahre und Jahrzehnte eingebläut wurde: „Ohne Wachstum ist alles nichts“? Stehen wir dann vor dem Nichts?
Der KV will Zuversicht vermitteln, dass nun die Überwindung der Wachstumsschwäche gelingen wird. Die zusätzlichen, kreditfinanzierten Staatsausgaben werden sicherlich einen Multiplikatoreffekt haben und können aus der Rezession führen. Die entscheidende Frage ist, ob sie – zusammen mit angekündigten Strukturreformen (Entbürokratisierung etc.) – angebotsseitig zu einer Erweiterung der Kapazität (Produktionspotenzial) führen. Das erscheint fraglich. Soweit es um (überfällige) Ersatzinvestitionen und um die Beschaffung von Waffen geht, ist kein Kapazitätseffekt zu erwarten. Es kommt also auf (Akzeptanz für) mehr qualifizierte Zuwanderung und höheres Produktivitätswachstum (Innovation) an. Unter den neuen Bedingungen von Protektionismus und Transformation zur Kriegswirtschaft ist die Entwicklung dieser Faktoren kaum prognostizierbar. Die Hoffnung auf die Rückkehr Deutschlands auf einen (höheren) Wachstumspfad ist offen und nicht schlüssig begründbar.
Anhaltende Wachstumsschwäche und eine Schrumpfungsphase können nicht ausgeschlossen werden. Das hätte gravierende sozio-ökonomische Folgen, zumal im KV vieles unter Finanzierungsvorbehalt steht, d.h. letztlich unter Wachstumsvorbehalt steht. Die Analyse und Vorbereitung auf eine solche Entwicklung erscheint daher dringend geboten und wäre Teil der Verantwortung der neuen Regierung. Es geht nicht nur um Produktivität und Effizienzsteigerung, sondern auch um Suffizienz, d.h. um weniger Einkommen und weniger Konsum. Angeknüpft werden könnte an die Ansätze der Ampel-Regierung zu „Wohlstand erneuern“ und zur Sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Die Befassung mit Szenarien ohne Wachstum zu vernachlässigen, wäre ein signifikanter strategischer Fehler.
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