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Effizienzkonsum

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Der Fortschritt wird meist als Einbahnstraße dargestellt: Die Industrie denkt sich Innovationen aus, stellt das schon Bekannte immer besser oder preiswerter her und die Konsument*innen lassen sich verführen, greifen begeistert zu, verlangen nach mehr. Ich möchte hier meine These darlegen, dass diese Straße auch zurückführt: Ein bestimmter Teil unseres Konsums ermöglicht der Wirtschaft erst weiteres Wachstum und fördert die Beschleunigung – wir drehen gemeinsam am großen Hamsterrad.

Konsum ist eine ökonomische Notwendigkeit

Nehmen wir das Mobiltelefon einer berufstätigen Mutter. Nüchtern betrachtet ist es nicht überlebensnotwendig. Auf Nachfrage wird sie vermutlich antworten: „Es ist total praktisch! Es erhöht meine Flexibilität, ich muss weniger planen, kann unproduktive Zeiten nutzen und spontan Dinge erledigen. Erst dadurch kann ich Beruf und Familie verbinden.” Der letzte Satz ist wichtig: Ihr Konsum ist eine ökonomische Notwendigkeit. Man könnte noch ergänzen: Meistens in Verbindung mit einem Auto, welches eine ähnliche Begründung hätte.

Das ist das Vokabular der Wirtschaft. Was dort Produktivitätssteigerung genannt wird, heißt im Privaten Erhöhung des Lebensstandards. Beides bedeutet aber meistens das Gleiche: In kürzerer Zeit mehr erreichen – Maschinen machen lassen, ein bequemeres Leben führen, die Welt zum Dorf machen. Ein paar Beispiele wären: Auto statt Fahrrad, Spülmaschine statt Abwasch, Fertiggerichte statt selbst kochen, Kindle statt Buch. Aber auch im Virtuellen gibt es diese Entwicklung: amazon statt Karstadt, facebook statt Kneipe.

Wir machen das aus einem Mix an Gründen, aber ganz wesentlich ist dabei die Sicherung unserer Lebensgrundlage: Zeit ist Geld, und wer effizienter ist, kann besser und mehr Geld verdienen, anspruchsvollere Arbeitsstellen annehmen und trotzdem noch im Privaten seinen Ausgleich finden. Um das zu erreichen, müssen wir bestimmte Produkte konsumieren. Sie werden zunehmend von außen eingefordert, und wer sie nicht nutzt, gerät in Legitimationsnot, steht abseits – oder zahlt höhere Preise. Dem Wachstumszwang der Wirtschaft entspricht ein Wachstumszwang im Privaten. Wir sind zur Erhöhung unseres Lebensstandards verdammt. Smartphone, eReader und facebook werden zu Angeboten, die man scheinbar nicht ablehnen kann.

Unser Lebensstil ermöglicht erst die Spezialisierung der Industrie

Dieser „Effizienzkonsum“ hat eine Rückkopplung auf unser Leben. Eine gut ausgebildete junge Frau hätte unter den Bedingungen eines Dorfhaushaltes der 1950er Jahre keine Arbeit annehmen können, sondern hätte in die Stadt ziehen müssen. Heute dagegen kann sie sich ein Häuschen im Grünen leisten und täglich mit dem Auto zur Arbeit pendeln, in einen Firmenneubau auf dem flachen Land. Wenn abends die Zeit knapp ist, schiebt sie sich und den Kindern eine Tiefkühlpizza in den Ofen, während der Wäschetrockner schon piept, weil die Wäsche schranktrocken ist.

Die Idee der Kleinfamilie oder des modernen Singles ist ohne Haushaltstechnik überhaupt nicht denkbar, aber genau dieser Lebensstil hat überhaupt erst weitere Spezialisierungen in der Industrie ermöglicht: Kleinere Firmen können qualifizierte Mitarbeiter*innen aus einem weiteren Umkreis anziehen, sie können preiswerte Grundstücke abseits der Siedlungen nutzen und für den Wechsel einer Arbeitsstelle kann man eben mal in eine andere Stadt ziehen. Die Industrie reagiert auf die zunehmende Individualisierung mit weiteren Verfeinerungen der Wertschöpfungskette.

Wer hat je die Produktivität von Konsument*innen gemessen?

Die Zeitgewinne aus privaten Produktivitätsgewinnen sind nicht dauerhaft, beispielsweise in Form von mehr Muße oder mehr Teilnahme an Kultur. Wir wechseln in der Regel nicht auf eine Teilzeitstelle und gehen dafür öfter ins Theater oder kochen selbst, sondern kaufen uns und unseren Kindern weitere technische Produkte, die uns effizienter machen, werden Mitglied bei facebook und sorgen uns um die Zukunft unserer Kinder, weil Dreisprachigkeit langsam ein Muss wird. Der „Zeit-Reboundeffekt”† nimmt zu. Wer hat je die Produktivität von Konsument*innen gemessen?

Je effizienter wir werden, desto höher wird der Zeitdruck, weil wir alle Zeitpuffer nach und nach abschaffen und unsere Arbeitgeber*innen mit neuen Rationalisierungen drohen, die wir ihnen erst ermöglichen. Nicht „die Welt” wird schneller, sondern wir werden immer besser. Das ist die Magie des Hamsterrades, welches wir selbst unbewusst über unseren Konsum antreiben. Wir versuchen ebenso verzweifelt wie begeistert, immer weitere Produktivitätslücken zu schließen, um sozial und wirtschaftlich mithalten zu können, insbesondere auch mit Hilfe des Internets, der größten Effizienzrevolution der Neuzeit.

In der Postwachstumsdebatte wird dies bisher kaum thematisiert. Aber diese modernen Formen des Konsums sind ein Wachstumstreiber par excellence. Ich boykottiere bereits viele Formen dieses Effizienzkonsums: Fernsehen, Mobilfunk, Auto, Fliegen, Fertiggerichte, amazon, facebook & Co. Wie steht Ihr dazu?

†: Siehe zum Beispiel
Martin Bruckner, 2008: Die Rolle von Arbeitszeit und Einkommen bei Rebound-Effekten in Dematerialisierungs- und Dekarbonisierungsstrategien

2 Kommentare

  1. Patrick sagt am 9. Juli 2013

    Fernsehen boykottiere ich zu weiten teilen auch (es gibt ein paar Ausnahmen: Tatort ;-D, ein bisschen Sport und gelegentlich ein Film – der aber meist via DVD)

    Auto boykottieren ist für mich praktisch unmöglich, Flüge kann man gut boykottieren,
    Mobilfunk lässt sich sicherlich boykottieren (für mich aber keine Option), Fertiggerichte weitestgehend auch, Facebook boykottiere ich seit Anfang an und Amazon nutze ich nur selten bzw. in bestimmten Fällen.
    Meine Bücher kann ich genau so gut im Buchladen im Ort bestellen.

    Alles in Allem auf jeden Fall eine interessante Herangehensweise in diesem Beitrag.

  2. Empfindest du es so, dass der Boykott von Effizienzkonsum zu einer Desynchronisierung mit dem „Rest der Gesellschaft“ führt, sprich: du ohne Handy und Facebook vom sozialen Geschehen ausgeschlossen bist? Falls normale Informationsvermittlung über Effizienzkonsum läuft, könnte es sein, dass andere Formen der Kommunikation nicht mehr funktionstüchtig sind.
    Zur Frage: wie stehe ich selbst dazu. Ich nutze twiiter und facebook, wobei ich beim Letzteren immer mehr zweifle, da facebook seine sozialen Vorteilhaftkeit (events organisieren etc) ja dadurch „erkauft“, dass es für die Werbeindustrue unsere Kommunikation kommodifiziert. Auto, Fernsehen und Mobilfunk: nein bzw. nur bei und mit anderen Menschen zusammen. Amazon-Konto ist gelöscht (das war vielleicht aufwändig!) und Fliegen: nur wenig und wenn dann wertschätze ich das sehr und mag es auch.
    Ben

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