Wer die derzeitige Lage der Welt mit wachem Blick analysiert, erkennt, dass an der Postwachstumsgesellschaft vermutlich kein Weg vorbeiführt. Sie wird vor allem eine Postkonsumgesellschaft sein, die etwa so charakterisiert sein könnte: mehr lokale und regionale Versorgungskreisläufe, mehr informeller Tausch in sozialen Netzwerken, mehr Selbermachen, weniger industriell hergestellte Produkte und damit auch weniger kurzlebige Massenware, mehr qualitativ hochwertiges Handwerk, weniger Automatisierung und Mechanisierung bei Einsparung von fossiler Energie und knappen Erden sowie ein erheblich reduzierter Flächenbedarf. Die derzeitige Monokultur „alle kaufen von möglichst wenigen Monopolhaltern“ wird abgelöst von einer ausdifferenzierten Arbeitsteilung.
Bewusster Konsum
Der Konsum würde in der postfossilen Ökonomie seine warenästhetische und kompensatorische Rolle transformieren; was er aber bewahren wird, ist seine statusverleihende, leitbildgebende, sozial orientierende und identitätsstiftende Rolle. An die Stelle des „bewusstlosen“ Konsums könnte eine Kombination aus reduziertem, stärker regional und ethisch orientiertem Konsum treten, der von einem ausgeweiteten informellen Subsistenzsektor flankiert wird. Wenn wir es intelligent angehen, werden diese Veränderungen nicht mit Knappheit und Mangel, sondern mit einer neuen Ökonomie der Fülle verknüpft sein, die auf einem postmateriellen Begriff von Wohlstand basiert. Erste Konturen einer solchen Postkonsumgesellschaft sind heute bereits zu erkennen – z.B. in der neuen urbanen Gartenbewegung, die den Mythos des immerwährenden gesellschaftlichen Fortschritts durch ökonomisches Wachstum durch eigenwillige soziale Praxen und postmaterielle Wohlstandsmodelle kontrastriert. Die neuen urbanen GärtnerInnen legen mitten in der Stadt Gemeinschaftsgärten an, reproduzieren Saatgut selbst, tauschen es untereinander, statt Hybridsorten im Baumarkt zu kaufen, sie kultivieren alte Sorten, ziehen lokales Gemüse, bereiten es im Idealfall gleich vor Ort zu und verspeisen es – klimaneutral und in bester Qualität – gemeinsam mit anderen Gartennutzern.
Coolness des Gardenings
Unübersehbar ist, dass zumindest die mittelschichtgeprägten jüngeren Generationen nur ungern von neokolonialen Verhältnissen profitieren. Dieses Statement ist Teil ihres Lifestyles. Die Kultursoziologin Eva Illouz zeigt in „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ (2006) auf, wie passgenau die öffentlichen Selbstinszenierungen des privaten Selbst heute auf die ökonomische Sphäre zugeschnitten sind. Sie spricht vom „emotionalen Kapitalismus“ als einer Kultur, in der sich emotionale und ökonomische Diskurse und Praktiken gegenseitig formen (ebd., S. 13). Auch das Gärtnern in der Stadt findet nicht in jedem Fall „außerhalb“ der wirkmächtigen Realität des Marktes statt, sondern kann eine Distinktionspraktik sein, und die erste eigene Gemüseernte samt der damit verbundenen Coolness der Autonomieerfahrung zur markanten Hinzufügung relevanter Codes im eigenen Zeichenkosmos werden. Identitätspolitiken und Nachhaltigkeitsstrategien liegen hier nah beieinander und prägen auch einige der urbanen Gärten, die gerade dadurch zu eminent politischen Orten werden. Nicht zuletzt stößt man beim Säen, Ernten und Tafeln unweigerlich auf Fragen wie: Woher kommt das Essen, und wie wird es produziert? Wem gehört das Land, und wer erntet seine Früchte? Und kann ich womöglich mit meiner eigenen Hände Arbeit dazu beitragen, un(ge)rechte Strukturen aufzubrechen?