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Die Ökonomisierung der Sorgearbeit

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Wer produziert, muss auch die Möglichkeit haben, seine Arbeitskraft zu reproduzieren. Unser heutiges Leben in einer westlichen Gesellschaft untersteht der Logik des Kapitalismus. Ist es da nicht folgerichtig, auch den Reproduktionsaspekt des Alltags in das ökonomische System einzugliedern? Die Antwort auf diese Frage lautet meiner Meinung nach: nein, und zwar aus folgenden Gründen:

Bis vor wenigen Jahren ruhte die Verantwortung für die Erziehung der Kinder und die Pflege der Alten größtenteils selbstverständlich auf den Schultern der Frau. Aufgrund des verbreiteten Rollenbildes verrichtete sie ihre Arbeit kostenlos und wurde im Gegenzug von ihrem Ehemann ernährt. In unserer Gegenwart behauptet ein Großteil der Frauen ihren Anspruch auf Unabhängigkeit durch Erwerbstätigkeit. Die Sorgearbeit oder Carework, also die Arbeit für und mit Menschen, wird dann notwendigerweise an andere Stellen delegiert, beispielsweise Kindergärten oder Seniorenheime. Hier arbeiten qualifizierte Arbeitskräfte gegen Lohn im Dienste der Menschen. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass die in der Sorgearbeit Tätigen vor allem weiblichen Geschlechts sind, denn immer noch dominieren althergebrachte Klischees die Berufswahl sowohl der Frauen als auch der Männer. Das liegt wohl zu einem geringen Teil an tatsächlich unterschiedlichen Neigungen, vor allem aber am Einfluss des Umfelds auf Entscheidungen über Ausbildung und Beruf. Ein männlicher Pfleger läuft ebenso wie eine Automechanikerin Gefahr, belächelt zu werden oder bissige Kommentare zu ernten. Es ist, zumindest bis zu einem gewissen Grad, nicht von einer realen Veränderung der Rollenverteilung zu sprechen.

Reproduktionsarbeit liegt im Widerspruch zur Gewinnlogik

Allerdings ließe sich doch vermuten, dass es der Wertschätzung der Reproduktionsarbeit zugutekomme, wenn sie entlohnt würde. Schließlich ist das ehemals Selbstverständliche nun als Teil des Dienstleistungssektors anerkannt. Doch es ergibt sich folgende Schwierigkeit: Das allgemein geltende Prinzip der Gewinnmaximierung baut darauf, dass die Reproduktionsarbeit reibungslos funktioniert und so wenig Geld wie möglich kostet. Aber sobald beispielsweise in einem Pflegeheim darauf geachtet wird, in immer kürzeren Zeiten immer mehr Pflegebedürftige „abzuhandeln“, leiden darunter sowohl die Pflegenden als auch die Gepflegten.

Ebenso verhält es sich in der Kinderbetreuung. Wo sich ErzieherInnen bei zu großer Gruppengröße und zu langen Arbeitszeiten mit den Anforderungen der Effizienzsteigerung konfrontiert sehen, haben sie keine Chance mehr, sich den Kindern im nötigen Maße zu widmen. Ihre Arbeit wird für sie selbst unbefriedigend und ihre Überbelastung wirkt sich negativ auf die Entwicklung der Kinder aus.

Transnationale Sorgeketten

Verschiedene höchst problematische Antworten auf die schwierige Frage nach der Rolle von Care-Work in der kapitalistischen Wirtschaft geben unterschiedliche Familienstrukturen. Wer es sich leisten kann, beschäftigt Haushaltshilfen, die gegen wenig Geld den Aufgabenbereich der Reproduktionsarbeit übernehmen. Meist handelt es sich hier um Migrantinnen, die, um diese Arbeit leisten zu können, ihren eigenen Haushalt und die Erziehung ihrer Kinder in die Hände anderer geben müssen. So entsteht eine Kette von Verantwortlichen, die den vorherigen Missstand durch einen neuen ersetzt. Einige Frauen wiederum, deren Männer weiterhin die Rolle der Ernährer übernehmen, erfüllen neben ihrem Haushalt eine Vielzahl von Nebenjobs, da ein Gehalt allein nicht reicht, die Familie zu versorgen. Sie können es sich nicht leisten, die Sorgearbeit zu delegieren und bleiben weiterhin in der Rolle der Abhängigen. Genauso gibt es immer noch die von staatlichen Hilfen Lebenden, die ebenfalls keine Möglichkeit haben, für sich die Dienstleistung der Care-Arbeit in Anspruch zu nehmen.

Die soziale Krise des Kapitalismus führt zum „Burn-Out“ unserer Gesellschaft

Die Funktionsweise des Kapitalismus, der die Ressource Reproduktion wie aus einer nie versiegenden Quelle schöpft, führt zu einem Problem, auf das bisher noch keine Antwort gefunden wurde und das eine soziale Krise mit sich bringt.

Ein Ansatz zur Lösung dieses Problems wäre beispielsweise die Idee der Care Revolution. Doch die von ihren VerfechterInnen gestellten Forderungen in die Realität umzusetzen, scheint einen deutlichen Richtungswechsel in der gesamtdeutschen Politik zu erfordern, vor allem im Hinblick auf die Wirtschaft. Darum ist es meiner Ansicht nach wichtig, zunächst den Blick für aktuelle Schieflagen in der Gesellschaft zu schärfen. Dann kann gemeinsam über mögliche Lösungen diskutiert, Verschiedenes ausprobiert und allmählich Neues normal werden.

Denn auf lange Sicht ist die Folge des Nicht-Beachtens dieser Krise wohl ein „Burn-Out“ unserer Gesellschaft.

Literatur

Gabriele Winker: Soziale Reproduktion in der Krise – Care Revolution als Perspektive; Das Argument 292/2011

Adelheid Biesecker, Christa Wichterich, Uta v. Winterfeld: Feministische Perspektiven zum Themenbereich Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität; Bremen, Bonn und Wuppertal 2012

Lisa Haller, Silke Chorus: Die Regulation geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung. Auf der Suche nach einer feministischen Kritik der politischen Ökonomie; grundrisse 38/2011

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