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Die gute Nachricht: Kapitalismus ohne Wachstum gibt es nicht

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DG_RZ_Logo_72dpi 150px Wachstum ist keine Option, denn eine absolute Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch hat sich historisch als unmöglich erwiesen – diese Position eint all jene, die zur Degrowth-Konferenz beitragen. Wachstumskritik ist auch in den Medien immer präsenter. Selbst die liberale Wochenzeitung DIE ZEIT (Nr. 10/ 2013) beendete ihren Leitartikel zum Thema mit den Worten „Die Deutschen […] sind ausgewachsen“. Zu diesem Ergebnis kommt sie aufgrund einer Analyse des Eigentums des (nicht existierenden) Durchschnittsjugendlichen Jan Müller im Vergleich zu seinem Vorgänger Wilhelm Müller vor gut hundert Jahren, sowie mit Blick auf Leon Müller aus dem Jahr 2038, der bei dem gerne anvisierten Wachstumsziel von jährlich drei Prozent bereits doppelt soviel essen, shoppen oder sonstwie verkonsumieren müsste. 

Ohne Wachstum geht es nicht

Doch – um jetzt auch mal diese Floskel zu gebrauchen, für die mensch sich durchs Studium der Wirtschaftswissenschaften beißt – „als Ökonomin“ frage ich mich: War die Ressortleitung gerade im Urlaub? Wie kann eine liberale Tageszeitung so etwas schreiben, ohne zu dem selben Schluss zu kommen, wie er bei der Pendant-Titelgeschichte über Konsumverzicht im Magazin DER SPIEGEL(Nr. 14/2014) zu lesen war: „…was für den Einzelnen gelten mag, trifft für eine Volkswirtschaft nicht zu […] Ohne Wachstum geht es nicht.“

Tja, so ist das. Denn was passiert, wenn nicht nur Sie Ihre 20 Jahre alten Anzüge anziehen statt sich neue zu kaufen (dann werden Sie schräg angeguckt; und wenn Sie eine Frau sind und es um Kleidung geht, dann schon nach ungefähr zwei Monaten), sondern auch Ihre Nachbar_innen? Die Nachfrage sinkt, darum sinkt die Produktion, dann die Beschäftigung und darauf das Volkseinkommen – was schließlich dazu führt, dass Sie und ihre Nachbar_innen sich gar keine neuen Anzüge mehr leisten können. Und wenn Sie weniger erwerbsarbeiten? Die Beschäftigung sinkt, darum sinkt das Volkseinkommen, dann die Nachfrage und darauf die Produktion – weshalb Sie betriebsbedingt gekündigt werden. Und was, wenn ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen auf nicht-sinnvolle Produktion verzichtet? Entweder es vermarktet sich erfolgreich mit diesem Alleinstehungsmerkmal unter vielen bösen Unternehmen – oder es geht pleite.

Okay, was also, wenn viele gemeinwohlorientierte Unternehmen auf nicht-sinnvolle Produktion verzichten? Die Produktion sinkt, darum sinkt die Beschäftigung, dann geraten Volkseinkommen und Nachfrage in eine Abwärtsspirale – und Bundeskanzlerin Merkel teilt dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping beim nächsten Staatsbesuch mit: „Übrigens, wir wollen nicht mehr wachsen, schön, nicht?“, um säuselnd hinzufügen: „Wären Sie bitte so nett, unsere Unternehmen nicht aufzukaufen?“

Warum dem Kapitalismus hinterhertrauern?

Nein. Kein Unternehmen und keine Volkswirtschaft kann bei bestehender Konkurrenz beschließen, einfach nicht mehr zu wachsen. Es kann keinen Kapitalismus ohne Wachstum geben. Und hier füge ich kein „leider“ ein. Denn warum sollten wir einem Wirtschaftssystem nachtrauern, das der Diagnose „depressive Episode“ nicht nur in Deutschland den Spitzenplatz bei Fehltagen am Arbeitsplatz überlässt, sondern dem sich auch der Rest der Welt mit Riesenschritten nähert? Übrigens immer im Wettrennen mit Krebs, Suchtfolgen, Schlaganfällen und Anderem, was auch nicht gerade unabhängig von der Ökonomie zu sehen ist.

Einem Wirtschaftssystem, das noch nie ohne (post-)koloniale Ausbeutung anderer Länder bestehen konnte? Was übrigens gerade durch viele Maßnahmen des „Green Growth“ und der Energiewende eine von Basisbewegungen des Globalen Südens als „Klimakolonialismus“ bezeichnete Verstärkung erfährt. Das im 19. Jahrhundert Massenhunger eingeführt hat, an dem nach wie vor Zigtausende, wenn nicht Hunderttausend, täglich verhungern? Es ist also eine gute Nachricht, dass es jetzt endlich Schluss sein muss mit dem Kapitalismus.

Ohne Kapitalismus keine Finanzmärkte, keine Erwerbsarbeit und kein Geld

Denn nein: Einfach weniger arbeiten und produzieren würde auch nicht die Angebots- und Nachfragekurve obsolet machen, wonach es nun mal immer Menschen braucht, die sich etwas nicht leisten können – sonst kann es keinen ‚Gleichgewichtspreis‘ geben. Und ohne Konkurrenz und Ausschlüsse haben wir keinen Kapitalismus. Dann dann brauchen wir auch keine Finanzmärkte, keine Erwerbsarbeit und kein Geld. Denn wer sich beispielsweise das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie anschaut, wird feststellen, dass es im anvisierten Idealzustand diese Mechanismen dort zwar alle noch gibt, sie jedoch ihrer Funktionen enthoben sind. Ersetzt sind sie hier wie in anderen jüngeren Modellen nicht durch zentrale Planung, sondern durch dezentrale, basisdemokratische Mechanismen.

Commons-basierte Peerproduktion, „Commonismus“ oder „Ecommony“ als Alternative

So etwas auszusprechen bringt eine schnell in die Ecke der Utopie. Doch tatsächlich zeichnet sich in den letzten Jahren in Ansätzen alternativer Ökonomie sowie verschiedenen anderen Bereichen eine Wirtschaftsweise ab, die zwar viele Elemente beispielsweiser früherer indigener Gesellschaften beinhaltet, und die dem Ideal „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ entspricht, die aber doch anders ist, als es sich in den vergangenen Jahrhunderten ausgedacht wurde. Bezeichnet wird sie als „commonsbasierte Peerproduktion“, als „Commonismus“ oder, von mir, als „Ecommony“ – womit ich betonen will, dass sich auch die „große Wirtschaft“ damit denken lässt.

Da sich nichts veräußern ließe, gäbe es kein Eigentum mehr über jenen Besitz hinaus, den jemand tatsächlich braucht und gebraucht. Da der Zugang zu Ressourcen nicht von unserer Verwertungsmöglichkeit auf dem Erwerbsarbeitsmarkt abhinge, bräuchten wir das jedem Menschen innewohnende Verlangen, sich in dieser Welt zu verwirklichen, nicht kaputt machen zu lassen durch Konkurrenz, Druck und Entfremdung. Es wäre ein Ende des strukturellen Hasses, wo den eigenen Lebenslauf aufzuhübschen immer bedeutet, den aller anderen zu verschlechtern, und den Job zu bekommen, jemand anderen auszubooten. Es wäre ein System struktureller Gemeinschaftlichkeit, indem wir aufbauen auf dem, was andere schaffen. Doch ohne die Enge von Gemeinschaft, und ohne, dass wir bessere Menschen sein müssten. Wir würden einfach nur in einem System anderer Selbstverständlichkeit leben.

Utopisch? Klar. Wir stecken ja auch in einer anderen Rationalität. So wie die Wikinger in Grönland, die keinen Fisch essen wollten. Und deshalb untergingen.

Gerettet hätte sie nicht, darauf zu warten, dass jemand an die Macht kommt, der Fisch essen akzeptabel macht – denn so jemand wäre nicht an die Macht gekommen. Gerettet hätte sie, anzufangen, Fisch zu essen. Und so die Rationalität ihrer Gesellschaft zu verändern. Bissen für Bissen. Schritt für Schritt.

Dr. Friederike Habermann ist Wirtschaftswissenschaftlerin, Historikerin und Politikwissenschaftlerin, wie auch Autorin, Aktivistin und freie Akademikerin. Im Nachgang zu ihrem Buch "Halbinseln gegen den Strom" über alternative Ökonomie erkannte sie, dass jüngere Ansätze auch mit den Prinzipien der commonsbasierten Peerproduktion übereinstimmen. Um dieses Potenzial für die Gesamtwirtschaft hervorzuheben, nennt sie dies "Ecommony". In ihrem Buch "Geschichte wird gemacht. Etappen des globalen Widerstands" (2014) beschreibt sie die alternative Globalisierungsbewegung basierend auf eigenen Erfahrungen." Zuletzt von ihr erschienen ist "Ecommony. UmCARE zum Miteinander" (2016).

11 Kommentare

  1. György Ligeti sagt am 21. Dezember 2022

    Eine polemische Glosse, getragen von der bangen Hoffnung, althergebrachte Parolen müssten doch nicht einst als Lebenslüge über Bord gehen.

    Tatsache ist hingegen, dass – z.B. der hier zitierte – Bekleidungsmarkt in Deutschland bereits seit Jahrzehnten nicht mehr wächst – ein Beispiel für Kapitalismus ohne Wachstum und ohne steigenden Ressourcenverbrauch.

    Wir leben auch längst in einer Welt, in der nurmehr sehr wenige Menschen etwas „produzieren“ – was jedoch weiterhin im historistischen Denkzentrum der Autorin steht – sondern im sog. „Informationssektor“ arbeiten. Da wird bestenfalls noch Immaterielles produziert.

    Im Übrigen gibt es auch ein Wachstum, gegen das niemand etwas einzuwenden hat: den Fortschritt.

  2. Marie-Luise Volk sagt am 24. Oktober 2014

    Bitte lesen Sie zwei Bücher:
    „Das Geldsyndrom 2012“ von Helmut Creutz und „Börsenkrach und Weltwirtschaftskrise – Der Weg in den dritten Weltkrieg“ von Günter Hannich.
    Klar brauchen wir Schrumpfung: Nämlich Schrumpfung der exorbitant angewachsenen Geldvermögen, verursacht durch den Zinseszinsmechanismus, mit Hilfe einer Finanztransaktionssteuer. Außerdem brauchen wir umlaufgesichertes Geld, was sich nicht horten lässt. Des weiteren brauchen wir eine Bodenreform, damit landgrabbing verhindert wird.

  3. „Da sich nichts veräußern ließe, gäbe es kein Eigentum mehr über jenen Besitz hinaus, den jemand tatsächlich braucht und gebraucht.“

    Das unterstellt allerdings, dass es nur eine Form des Eigentums über den Besitz hinaus gibt, nämlich die, die zur privateigentümlichen Aneignung und Veräußerung von Waren ermächtigt.

    Was ist mit gemeineigentümlichen Formen des Vermögens, über die Entwicklung und Anwendung der Produktivkräfte /-mittel zu bestimmen (also mit gemeineigentümlichen Eigentumsformen)?

  4. Schrumpfung ist auch keine Option, wenigstens keine vernünftige, d.h.mitmenschliche. Wer meint, Kapitalismus mit verpauschalisierender Propaganda gegen Green Growth und ein wenig solidarisches Unternehmertum weg schnippen zu können und damit das letze Hindernis auf dem Weg zur leuchtenden Zukunft aus dem Weg geräumt wäre, könnte einmal unsanft auf dem Boden landen, den die Brown Economy inwischen in aller Seelenruhe bereitet. Die haben ihre ganz eigenen Vorstellung von „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ Wir sollten wissen, wozu die fähig sind.

    Marx (welt-) kommunistische Perspektive wird m.E. nur insofern zur realistischen Option wie das weltweite Wachstum der Bedürfnisse und Fähigkeiten vorankommt, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten mit den sozioökologischen Kosten ins Benehmen zu bringen, die deren Befriedigung (bzw. Anwendung) unter diesen oder jenen Umständen kostet Globale Nachhaltigkeitsizele, ein System von Ökozöllen die nationale, lokale usw. Umbauprogramme finanieren, könnten um Beipsiel Marksteinchen auf dem Weg zu einem Für- und Voneinanders auf Grundlalage eines – am Ende weltgemeinschaftlichen – Nachhaltigkeitsmanagement sein, d.h. der Fähigkeit, gemeinsam zu entscheiden, was wachsen und was schrumpfen soll. Siehe auch: http://oekohumanismus.wordpress.com/2014/05/07/wachstum-oder-post-wachstum-ist-nicht-die-frage/

  5. Ein rasant geschriebener Artikel, bestechend und stringent in der Logik und Konsequenz, klar und nachvollziehbar. BITTE LAUT ÜBERALL HIN POSTEN!! Ich habe es in meinem Rahmen bereits getan. UND DANKE auch!!

  6. Liebe Friederieke Habermann,

    ich arbeite gerade an einer Doku zum Thema Postwachstumsökonomie und bin bei meiner Recherche auf Ihren Artikel gestoßen! Großartig! Es ist immer toll etwas von jemandem zu lesen, dass man genauso denkt, aber aufgrund mangelnden Wissens so nie ausdrücken könnte. Und dann ist es auch noch von einer Frau geschrieben! Bis jetzt ist unsere Doku sehr männlich orientiert in dem Sinne, dass die meisten Interviewpartner bisher Männer sind. Ich hoffe schon die ganze Zeit, dass ich bei meinen Recherchen auf eine Frau stoße, die das ganze Thema so genial formulieren kann wie Sie. Vielleicht könnte ich Sie als Interviewpartnerin gewinnen? Das wäre mir eine große Freude!

    Mit den besten Grüßen und danke für den tollen Artikel! (Der genau auch das Thema Abschaffung von Geld formuliert, das meinen sehr netten männlichen Mitstreitern Bauchschmerzen macht. Das können sie sich einfach nicht vorstellen. Und Bingo: Hier habe ich die richtigen Argumente gefunden!)

    Patricia Günther

  7. Jan Müller sagt am 6. Juni 2014

    Vielen Dank für diesen Artikel!

    Jetzt bin ich motiviert, doch bei der DeGrowth Konferenz in Leipzig vorbeizuschauen und mit antikapitalistischen Positionen zu argumentieren.
    Wie wir die Vorstellung einer besseren Gesellschaft nennen ist sicherlich nicht die wichtigste Frage, ich persönlich plädiere dafür, nicht lauter neue Wörter zu erfinden, sondern alte Begriffe zu benutzen. Diese von ihren „Altlasten“ zu befreien wird nicht einfach, doch beschreibt „Kommunismus“ immernoch genau diese Vorstellungen, ohne den autoritären Beigeschmack.

    LIebe Grüße,
    Jan Müller

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