Rezensionen

Die Externalisierungsgesellschaft und ihr Preis

Kommentare 4

Was hat ein Dammbruch in einer brasilianischen Eisenerzmine mit dem Kaffeekonsum in Deutschland zu tun? Eine ganze Menge, wie man in der Einleitung von Stephan Lessenichs Buch „Neben uns die Sintflut“ erfährt. Soziale Ungleichheit ist global gesehen eng mit dem Phänomen der Externalisierung verknüpft.

Der Globale Norden lebt auf Kosten anderer. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrhunderte war nur möglich, weil wir Ressourcen anderswo ausgebeutet haben und andere die Folgen des verschwenderischen Konsumerismus tragen mussten bzw. müssen. Genau das ist Hauptbestandteil der Externalisierungsgesellschaft. Inzwischen besitzen 80 Menschen so viel wie 3.5 Milliarden – doch uns einzureden, diese 80 seien an allem schuld, greift zu kurz, denn auch der Otto-Normalverbraucher in Deutschland trägt zur sozialen Ungleichheit bei. Insgesamt profitieren wir von der globalen Ungleichheit, und sei es nur, dass wir durch unseren Kaffee aus Aluminiumkapseln mitverantwortlich sind für den Eisenerzabbau, der in Brasilien unter miserablen sozialen und ökologischen Bedingungen erfolgt.

Ein ökologisch ungleicher Tausch

Die Botschaft Lessenichs ist klar. Er betont, weniger den moralischen Finger erheben, sondern vielmehr dieses Leben zu Lasten anderer aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten zu wollen – im Verlauf des Buchs unter anderem aus wirtschaftlich-historischer, soziologischer oder auch psychoanalytischer Perspektive. Hierbei werden immer wieder Theorien bekannter Größen wie Marx, Weber, Smith oder Bourdieu aufgegriffen und mit Externalisierung verknüpft. Dabei kommt der Autor stets auf die zentrale Problematik zurück, dass der globale Norden auf Kosten des globalen Südens lebt, wie etwa anhand des Beispiels Landwirtschaft: In Deutschland geht der Anteil der Beschäftigten im Agrarsektor immer weiter zurück und die Nachfrage nach Lebensmitteln lässt sich durch Ertragssteigerungen alleine nicht bedienen.

Dies gelingt nur, weil Agrarprodukte aus Ländern des globalen Südens importiert werden, im Fall von Soja beispielsweise aus Lateinamerika. Unser Flächenbedarf wird einfach ausgelagert, insgesamt sind es etwa 5 Millionen Hektar. Die Umwelt- und Gesundheitsschäden durch den Einsatz von Glyphosat oder 2,4-D, die riesige Monokulturen mit sich bringen, bekommen wir als Konsument/innen nicht zu spüren, wohl aber die Bauern in Argentinien und anderswo. In Lateinamerika ist es die Sojabohne, in Indonesien sind es Ölpalmen und in Teilen Afrikas Rohstoffe, in Indien Baumwolle, in Thailand Shrimps. Ganz egal wo, das Schema ist immer ähnlich, so Lessenich: Die reichen Industriegesellschaften exportieren die negativen umweltbezogenen und sozialen Folgen ihres Konsums in ärmere Gesellschaften und streichen die ökonomischen Profite ein. Während wir uns hierzulande eine saubere Umwelt „leisten“ können, kann man es als Bürger/in ärmerer Länder nicht. Dies bezeichnet Lessenich als ungleichen ökologischen Tausch.

Die halbe Globalisierung

Ein weiterer Bestandteil dieser ungleichen Dynamik ist die „halbe“ Globalisierung: Während hierzulande das Reisen immer günstiger wird undwir die ganze Welt sehen können, haben Bürger/innen aus dem globalen Süden strenge Auflagen zu erfüllen, um überhaupt ein Visum zu erhalten. Der reiche Norden schottet sich ab.
Genauso vor Migrationsströmen: Dass Menschen den schlechten Lebensbedingungen und damit den Folgen des Lebensstils des Nordens entfliehen wollen, um im reichen Europa ihr Glück zu finden, sehen viele gar nicht gerne, wie sich immer wieder zeigt. Denn „was man sich selbst erlaubt, das gesteht man anderen noch lange nicht zu“, formuliert der Autor treffend. Die Flüchtlingskrise enthüllt damit die Externalisierungsgesellschaft auf eine besondere Weise.

Notwendigkeit eines global-egalitären Reformprojekts

Wie der Dynamik der Externalisierung zu entrinnen ist, versucht Lessenich schließlich kurz aufzuzeigen. Zunächst müsse das Bewusstsein entstehen, dass der Wohlstandskapitalismus nur durch die Existenz unerträglicher Lebensbedingungen anderswo funktioniert. Darauf müsste eine Umstellung auf eine Politik globaler gleicher Lebenschancen folgen und eine radikale Abkehr von der Externalisierungsgesellschaft stattfinden: Die Privilegien des Nordens im Welthandel müssen aufgehoben und weltweite Finanztransaktionen effektiv besteuert werden. Es müsste ein Umbau reicher Volkswirtschaften in eine Postwachstumsökonomie erfolgen und ein globaler Sozialvertrag zur gemeinsamen Bewältigung der Folgen des Klimawandels abgeschlossen werden. Kurz gesagt: Es müsste ein global-egalitäres Reformprojekt angestoßen werden. Der Autor gesteht, dass niemand wissen kann, ob es jemals dazu kommen wird. Die Alternative sei jedoch, dass sich die Welt auch für uns zum Schlechteren wenden wird.

Hat man sich bereits näher mit Postwachstumsthemen beschäftigt, ist das Buch eher eine Bestätigung bekannter Ideen als ein Augenöffner. Dennoch ist es interessant zu lesen, gerade dank der eingängigen Schreibweise und dem Versuch, sich dem Thema aus verschiedenen Richtungen zu nähern. Mein persönlicher Tipp: Eine besonders gute Figur macht das Buch unter dem Weihnachtsbaum, am besten für die Großeltern, die so gerne diesen Kaffee aus den praktischen Kapseln trinken, oder für die Cousine, deren Kleiderschrank mit Kleidung von Primark, H&M und Co. gefüllt ist. Hier könnte „Neben uns die Sintflut“ zum Nach- und Umdenken anregen.

 

Stephan Lessenich: Neben uns die Sintflut. 2016, Hanser Verlag, München.

Caron Pomp hat Südostasienwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert und nach dem Lesen von „Befreiung vom Überfluss“ den Entschluss gefasst, Integrated Natural Resource Management zu studieren. Aktuell schreibt er seine Masterarbeit, die sich mit dem Bau von Wasser- und Kohlekraftwerken und deren soziale Auswirkungen in Myanmar befasst.

4 Kommentare

  1. […] wer­den ras­sis­tisch und völ­kisch umge­deu­tet. Die Rech­te pro­pa­giert eben­so den unbe­grenz­ten Zugriff auf Res­sour­cen in ande­ren Län­dern. Sie bie­ten als schein­ba­re Lösung für die sozi­al-öko­no­mi­sche Kri­se ein […]

  2. Caron Pomp sagt am 2. Februar 2017

    Natürlich hätte man diese Thematik noch weiter ausbauen können, Lessenich beschreibt diese inneren Zwänge in den Gesellschaften des globalen Nordens hier aber recht treffend, wie ich finde: Wir leben auf Kosten anderer, weil wir es können, gleichzeitig können wir gar nicht mehr anders. Das von Ihnen genannte Buch werde ich jedenfalls in meine Leseliste aufnehmen, danke für den Hinweis. Zur Ihrer letzten Frage: Glücklicherweise wird auch Fair Trade Kleidung immer modischer und ist einigermaßen bezahlbar 🙂
    mfG

  3. Peter Mönnikes sagt am 1. Februar 2017

    Naja, eine zumindest mir neue Perspektive stellt die Charakterisierung unserer Gegenwartsgesellschaft als Externalisierungsgesellschaft unbedingt dar. Als „Fan“ des Soziologen Lessenich vermisse ich hier das Anknüpfen an seine komplexen Gedanken zu dem unseren bewussten Entscheidungen entzogenen Alltagshandeln und dem daraus folgenden Konflikt, dass wir gleichzeitig Täter und Opfer in der Externalisierungsgesellschaft sind (vgl.: Die Neuerfindung des Sozialen). Was hier im Blick auf das weltweite Zusammenspiel wirtschaftlichen Handelns beschrieben ist, findet sich auch innerhalb bspw. unserer deutschen Gesellschaft in Form sozialer Ungleichheit. Antrieb dieses Handelns ist wohl der auf Wachstum notwendig angewiesene Kapitalismus, so verstehe ich das Fazit des gemeinsam mit Klaus Dörre und Hartmut Rosa verfassten Debattenbandes „Soziologie Kapitalismus Kritik“. Diese sich bedingenden Abhängigkeiten nicht deutlicher gemacht zu haben, kritisiere ich an dem besprochenen Buch. Was, werter Herr Pomp, sagen Sie Ihrer Cousine für den Fall, dass sie zu arm ist, als woanders als bei einer der beispielhaft genannten Ketten einzukaufen?

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