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Degrowth einfangen: Eindrücke von der laufenden Konferenz

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DG_RZ_Logo_72dpi 150px„Ihr wart Teil eines Experiments“ sagt  einer der beiden Hauptkoordinatoren am ersten Tag der Konferenz, zur Begrüßung der über 2000 zuhörenden Menschen „Ihr konntet zahlen, was ihr wolltet.“  Der Mindestpreis pro Teilnehmer_in betrug 15 Euro. Da käme bei 2500 Teilnehmern etwas mehr als die Raummiete der Universität Leipzig für eine Woche zusammen, also nur ein Bruchteil der Gesamtkosten für die Konferenz. „Am Ende ist dabei mehr Geld herausgekommen, als wir erwartet hatten. Das zeigt, dass wir fähig sind, ehrlich und solidarisch miteinander zu sein.“ Der Wert der Degrowth-Konferenz ist trotzdem nicht in den dafür bezahlten Preisen messbar.

Nicht nur weil die 120 Helfer_innen und der größte Teil des 50-köpfigen Organisator_innenkreises für Monate und sogar Jahre ehrenamtlich gearbeitet haben. Tendenziell wird versucht, vieles auf der Konferenz nicht-monetär zu organisieren und der Welt der Dienstleistungen und Produkte zu entziehen. Die Anzeichen für eine Kultur der kooperativen Selbstorganisation tragen viele bereits auf ihren T-Shirts: Teilnehmer_innen mit Namensschildchen und grünen, roten und blauen Klebepunkten. Jede Farbe steht für eine Sprache, in der sie sich als „Flüsterdolmetscher“ zur Verfügung stellen. Und durch die Namensschildchen weiß man, dass man jetzt Merelin um Rat fragen könnte oder Holger erklären kann, wo der Kinderraum ist – er läuft gerade aus dem Raum, schwungvoll ein Kind unter den Arm klemmend. Wie würde es wohl aussehen, wenn wir auch wüssten, wer uns in der U-Bahn gegenübersitzt oder in der Kasse vor uns steht?

Es ist inzwischen halb acht. Mindestens drei Generationen sitzen auf Stühlen oder Stufen des überfüllten Audimax und noch zweier Hörsäle die Stockwerke darüber- es sieht aus, wie wenn die Bahn Verspätung hat. Hanna, wie auf dem weißen Aufkleber zu lesen ist, und ihre Tochter verlassen gerade den verdunkelten Hörsaal, der Naomi Kleins Gesicht in der Patina der Skype-Übertragung abbildet – wobei jedes ihrer Brillengläser groß wie das Rednerpult darunter ist. Gelassen legt die Autorin der „Schock-Strategie“ gerade dar, wie das aufkommende Bewusstsein des Klimawandels mit dem Freihandel und Privatisierungswellen übereinander fielen. Die US-Amerikanerin ist das Pendant zu Alberto Acosta, dem Mitgründer der Yasuni-Initiative, der kurz vor ihr gesprochen hat. Bekannte Kapitalismuskritik – aber in einer neuen Liaison zwischen globalem Süden und Norden, Individuum und System, Feminismus und Nachhaltigkeitspolitik.

Was sich auf dem Innenhof der Universität Leipzig  abspielt, könnte ein kleines, ruhiges Volksfest sein. Nur riecht es nicht nach fettiger Bratwurst. Der Duft von Couscous mit Gemüse und veganer Kokossauce kommt aus einem, von Containern umstellten, Zelt. Weiße Schirme, Bierbänke und einige grasbewachsene Badewannen stehen vor dem Getränkezelt „Grüne Minna“ daneben – es ruft mit der pinken Banneraufschrift: „sometimes we are antisocial, but we are always antifascist!“. Am ersten Tag war Krisenstimmung in dem Koch-Kollektiv, das die Aufgabe übernommen hatte  2000 Konferenzteilnehmer_innen zu versorgen. Wam Kat und Le Sabot war der Gashahn „abgedreht“ worden, weil dieser nicht von einem unabhängigen Prüfer abgenommen worden war. Er war zwei Wochen lang vergeblich kontaktiert worden. Die Dichte an Experten von Brandschutz und Gesundheitsamt ist zufälliger Weise die Tage extrem hoch.  O-Ton eines Mitorganisatoren: „Linke Bewegungen hat man seit jeher am liebsten mit Hygieneverordnungen und Brandschutz gebremst“. Sich dagegen aufzulehnen wäre eine leicht zynische Interpretation von „struggle against the system“.

Draußen hat jemand an eine Glastür gehängt: „Volkstänze im Innenhof um 14 Uhr“. Eine halbe Stunde ist der Zettel wieder spurlos entfernt. Die Mensa der Universität kocht einige Meter weiter ihr Tagesprogramm, auch für die Konferenz. Gerichte ohne tierische Produkte sind bereits aus. Schlangen von paniertem Fisch und Gemüsestrudel schieben sich bis vor zum Eingang der Mensa, während am anderen Ende nur zwei Kassen von vier besetzt sind. Vor mir beginnen ein paar Studentinnen ihr Essen im (Schlange)stehen einzunehmen. Er hätte nur mit 150 Menschen gerechnet, meint der Küchenchef und ordnet für die nächsten Tage die Öffnung zweier weiterer Kassen an.

Die Akustik der Glashalle macht Gespräche ein wenig mühsam. Laute, schwere Türen und diffuser Hall produzieren ungewollt eine Art „Unpersönlichkeit“.  Die Massen kleiner Menschen stecken in der größeren, der unantastbaren Ordnung der Mensakantine fest. Im wahrsten Sinne: die Interaktion mit Boden und Wänden ist schwer beschränkt. Die Maßregelung in der Universitätsarchitektur reicht bis zur Tesafilmsorte. Um so verrückter, hier zusammen zu kommen, um Räume der Selbstbestimmung wieder zu entdecken und einen der vielen, scheinbar(!) gesichtslosen Zwänge unserer gesellschaftlichen Ordnungen zu hinterfragen. Die Gigantomanie des Augusteums, diese eklektizistische Kabine zwischen Antike und Star Wars, wirkt wie eine Erinnerung daran, mit welcher mächtigen Realität die Idee der freiwilligen Selbstreduktion zu kämpfen haben wird. Die Neuinterpretation der zerstörten Paulinerkirche stammt von eben jenem Architekten, Erick van Egeraat, der gerade erst eine künstliche Insel für die Olympischen Spiele in Sotschi aufschütten ließ. Übrigens sitzen im 5. Stock des Universitätsturmes nicht die Geisteswissenschaftler – sondern die Mathematiker…

Ein zentrales Format der Konferenz ist der „Group Assembly Process“ – Kleingruppen treffen sich mehrere Tage um unter einem Fokusthema mehrere eingereichte Thesenpapiere zu diskutieren. Während um die 250 Menschen sich für das erste Großtreffen in der festen Bestuhlung und dem engen Zeitplan zurecht finden, zeigen die Planer_innen Photos von Diskutierenden um Holztische und Plastikstühle in einem Garten – das erste Treffen dieser Art in Barcelona. Es sieht um einiges konvivialer aus. Später in der Kleingruppe, sitzt die GAP-Gruppe „Solidaric Economies. Social Business“ zumindest kreisrund in dem krankenhausweißen Seminarsaal zusammen. Die Gesprächsrichtung ist noch nicht vorgegeben, doch schon die Vorstellungsrunde spannt einen anspruchsvollen Rahmen. Von Co-Workingspaces zwischen neoliberaler Selbstausbeutung und solidarischer Kooperative, Kulturen der Empathie und bis zu Eigentumsformen in Ökodörfern reichen die Themen. Auch zwei Markenentwickler sitzen in der Runde. „Profits are great!“ ruft Jen Hinton vom Postgrowth Institute – die Markenentwickler sehen auf. „…as long as as they are not privatised!“ – vier Augen richten sich wieder auf die Rechner. Elisabeth Voß fragt nach den Kräften, die einen Wandel tatsächlich stemmen können und die „Vibekeeperin“, eine Art Achtsamkeitswärterin der Gruppe,  erinnert an die Rolle nicht-monetärer Arbeit für die solidarischen Ökonomien, die vor allem in den generellen ökonomischen Perspektiven keinen Platz fänden. Die Stimmung ist gut. Jutta Sundermann, in dieser Gruppe als Moderatorin, wiederholt und rekontextualisiert den Satz, mit dem wir zu Anfang begrüßt wurden: „This conference ist a great experiment for us. Let’s see, if we find some common goals“.

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