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Das Grundeinkommen als Debattenanstoß

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Die Absurdität des BIP als Wohlfahrtsmaß

Der zentrale Maßstab zur Bewertung erfolgreicher Wirtschaftspolitik ist derzeit in allen westlichen Staaten das Bruttoinlandsprodukt bzw. dessen Wachstum. Die Problematik dieser Erfolgsmessung wurde hinreichend thematisiert – der Wachstumszwang der kapitalistischen Wirtschaft ist eines der grundlegendsten Probleme, die der ökologischen Transformation unserer Gesellschaft im Weg stehen.

Absurd ist die Idee, dass ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt zwingend Fortschritt bedeute. In Deutschland gab es in den 1950ern bis Mitte der 1960ern das berühmte Wirtschaftswunder. Der Grund für hohe Wachstumsraten war aber der Wiederaufbau nach den Schrecken des Krieges. In den Jahren vor der Tsunamikatastrophe in Japan, in deren Folge es zu einer Kernschmelze in einem Reaktor in Fukushima kam, schrieben Wirtschaftsexpert*innen die japanische Wirtschaft schlecht, denn das ökonomische Wachstum stagnierte. Die Naturkatastrophe sorgte jedoch für einen ökonomischen Boom. Durch den Schaden in Höhe von 235 Milliarden Dollar musste ein Wiederaufbau eingeleitet werden, der Japan 2012 und 2013 ein grandioses Wirtschaftswachstum bescherte (vgl. Bregman, 2017).

Auch Drogenmissbrauch, Ehescheidungen und schwere Krankheiten sind Goldminen für Suchtkliniken, Scheidungsanwält*innen und Pharmariesen. Von Rutger Bregman stammen die Worte, dass der/die ideale Bürger*in zur Erhöhung des BIP „ein Spielsüchtiger mit Krebs wäre, der einen nicht enden wollenden Scheidungskrieg führt, den er nur ertragen kann, indem er sich mit Prozac vollstopft und am Black Friday in einen Kaufrausch verfällt“ (2017, S. 107). Die Absurdität des Zwangs zu ökonomischem Wachstum wird jedoch zurecht von immer mehr Menschen in Frage gestellt. Dies sind Indizien dafür, dass das BIP ein komplett verfehltes Messinstrument für menschlichen Fortschritt darstellt. Alles womit Geld zu machen ist, wird wirtschaftlich positiv angesehen, egal, ob es im Sinne von menschlichem Glück, Natur- oder Tierschutz hilft oder schadet. Mit dieser Denkweise eng verwoben ist die neoliberale Doktrin – die Ökonomisierung allen Seins.

Das bedingungslose Grundeinkommen und sein Effekt auf Postwachstumsdiskurse

Eine andere progressive Idee, die immer mehr in den Blick gerät, ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens. Dieses würde jedem/r Bürger*in einmal monatlich ausgezahlt, egal ob er oder sie noch andere Einkünfte hat oder nicht. Das Netzwerk Grundeinkommen definiert es folgendermaßen

„Ein Grundeinkommen ist ein Einkommen, das eine politische Gemeinschaft bedingungslos jedem ihrer Mitglieder gewährt. Das Grundeinkommen stellt somit eine Form von Mindesteinkommenssicherung dar, die sich von den zurzeit in fast allen Industrienationen existierenden Systemen der Grund- bzw. Mindestsicherung wesentlich unterscheidet. Das Grundeinkommen wird erstens an Individuen anstelle von Haushalten gezahlt, zweitens steht es jedem Individuum unabhängig von sonstigen Einkommen zu, und drittens wird es gezahlt, ohne dass eine Arbeitsleistung, Arbeitsbereitschaft oder eine Gegenleistung verlangt wird“ (https://www.grundeinkommen.de).

Ein solches Grundeinkommen wäre Garant für Selbstbestimmung und Freiheit: Anders als von vielen Konservativen befürchtet, würde es nicht zum Faulsein animieren, vielmehr könnten Menschen selbstbestimmt eine Arbeit verrichten, die ihnen gefällt und in der sie Sinn finden. Arbeiten dürfen statt arbeiten müssen – ein Grundeinkommen würde unsere Erwerbsarbeitsgesellschaft zu einer Sinngesellschaft transformieren. Finanziert als ökologisches Grundeinkommen, würde es zudem Umweltverschmutzung hoch besteuern und somit Antrieb für die ökologische Transformation sein. Und das BGE würde – wenn auch nur indirekt – die Diskussion um eine Postwachstumsgesellschaft beleben und sie in die Mitte der Gesellschaft tragen.

Parallelen zwischen BGE und Postwachstum und mögliche Debattenanstöße

So manche Leser*in mag sich fragen: Warum aber soll ein Grundeinkommen die Ideologie des stetigen, unaufhörlichen Wirtschaftswachstums in Frage stellen?

Und in der Tat gibt es neben linken Utopist*innen auch neoliberale Vordenker*innen eines bedingungsfreien Grundeinkommens, denen sicher nicht an Beschränkungen für die Wirtschaft gelegen ist. Und zunächst würde die Einführung des BGE die Binnennachfrage auch ankurbeln, somit das ökonomische Wachstum eher befeuern. All dies widerspricht auf den ersten Blick der Idee, dass das Grundeinkommen der erste Schritt hin zur Postwachstumsgesellschaft sei. Auf den zweiten Blick ist es folgerichtig, und aus meiner Sicht sogar notwendig, dass die Einführung des Grundeinkommens der Abkehr vom Wirtschaftswachstum vorausgehen muss.

In unserer kapitalistischen Wirtschaftsform existiert ein entscheidender Grund für den Wachstumszwang: Der beständige technologische Fortschritt führt zu einer Produktivitätssteigerung, wodurch die gleiche Menge an Gütern und Dienstleistungen mit immer weniger Arbeitskraft her- bzw. bereitgestellt werden kann. Dieser Fortschritt bedroht aber eine Erwerbsarbeitsgesellschaft, deren Betriebssystem „Vollbeschäftigung“ lautet und die ihre Steuereinnahmen zum Großteil aus der Besteuerung von Lohn erwirbt. Um trotz ständig steigender Produktivität jedoch möglichst allen Menschen einen Vollzeitarbeitsplatz zu sichern, gibt es nur eine Möglichkeit: Es muss immer noch mehr produziert werden – Wachstum bis in alle Ewigkeit erscheint dabei alternativlos.

Durch die Einführung des Grundeinkommens hätten wir eine realistische Chance, die Mehrheitsgesellschaft vom ideologischen Ziel der „Vollbeschäftigung“ abzubringen. Und wenn dieser entscheidende Schritt einmal erfolgt ist, dann werden Ideen wie die Abkehr von Wirtschaftswachstum auch im politischen Mainstream ankommen und vermehrt als realistische und kluge Ziele diskutiert werden. Auch die Arbeitszeitverkürzung wird dann Realität – viele Menschen werden nicht mehr Vollzeit, sondern z.B. 20 oder 30 Stunden pro Woche arbeiten und lieber Zeitwohlstand statt immer weiter steigenden materiellen Luxus genießen wollen. Die Einführung des Grundeinkommens agiert dann als Game Changer, der auch andere Gesellschaftsutopien wie Arbeitszeitverkürzung, Postwachstum und vielem mehr den Weg bahnen wird. Die Einführung eines Grundeinkommens erachte ich in den ersten europäischen Ländern noch in diesem Jahrzehnt für wahrscheinlich, da steigende Arbeitslosigkeit im Zuge der Digitalisierung sonst den sozialen Frieden gefährden würde. Richard David Precht hat dies in seinem Buch Freiheit für alle: Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten überzeugend dargelegt. Für die Postwachstumsbewegung bietet das die Chance, Allianzen mit BGE-Befürworter*innen einzugehen. Podiumsdiskussionen, gemeinsam erarbeitete Manifeste und kreative Formate sind nur einige Ideen, wie BGE- und Postwachstumsbewegung Hand in Hand gehen können.

 

Literatur:

Bregman, Rutger (2019): Utopien für Realisten: die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

Mayer, Jens (2020): Die partizipative Marktwirtschaft. Hamburg: tredition GmbH.

Precht, Richard David (2022): Freiheit für alle: das Ende der Arbeit wie wir sie kannten. München: Goldmann.

Homepage des Netzwerkes Grundeinkommen: https://www.grundeinkommen.de.

Jens Mayer (*1988) lebt in Ingolstadt. Er studierte von 2009 bis 2012 Politik und Gesellschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und arbeitet derzeit als Betreuer in einer Unterkunft für Geflüchtete. Politisch engagiert er sich für Klimagerechtigkeit und setzt sich für ein Grundeinkommen ein. In seiner Freizeit unternimmt er gern etwas mit Freunden und in der Natur. Die Partizipatorische Marktwirtschaft ist sein erstes Buch. Jens Mayer ist erreichbar unter kontakt@hausarbeiten-lektorat.de.

4 Kommentare

  1. Zwei Probleme mit dem Grundeinkommen:

    1. die bereits mit der Wirtschaft verstrickte bzw. durch sie domminierende Politik wird noch weiter verstrickt. Der Staat wird im sozialistischen Sinne zum ‚guten Hirten‘. Die bereits recht erschreckende Realität der sogenannten Coronapolitik zeigte wie der Staat sich immer weiter zu einem bevormundenden und eingleisig denkenden ‚Retter in der Not‘ stilisiert und mächtig für alle entscheidet. Hier kann man zwar über die Gefahren geteilter Meinung sein, das zentralisierte und fragwürdige Machtpotenzial ist darin allerdings nicht wegdiskutierbar. Wenn also der Staat (mit dem Hintergrund wirtschaftsmächtiger Konzerne) zunehmend die Fragen der Gesundheit, der Bildung, der ‚richtigen Meinung‘ UND der finanziellen Grundlage quasi als Monopol beantwortet, wäre das nicht im gesellschaftskritischen Sinne mehr als fragwürdig? Verbindet man die Idee mit dem bereits in Regierungskreisen angeklungenen ‚chinesischen‘ social scoring bzw. social credit system, dann entstehen auf diesem Feld ganz neue Horizonten der Massenabhängigkeit und Massenlenkung.

    2. Es gibt ein gutes Beispiel mit dem Märchen des Internets (Stichwort: B. Gates / R. Kurzweil etc.). Das Internet wird allen Menschen einen großen Bildungs- und Entwicklungsschub geben. Gezeigt hat sich, wie vor allem bildungsferne Schichten in dem Sumpf systematisch kreierter ‚verdummender Inhalte‘ untergehen. Die relative inhaltliche Freiheit des Internets förderte nur die bereits bestehenden Ungleichheitsstrukturen und so weiter. Das gepredigte Wunder blieb aus und es wendete sich eher in ein Desaster (Stichwort: Überwachungskapitalismus, Zuboff). Die (zuvor entsprechend den Machtzentren beeinflussten) Menschen werden nicht per se aus sich heraus zum ‚Guten und Edlen‘ streben. Sie gehen vor allem den Weg des geringeren Wiederstands in Bezug auf ihre eigene Entwicklung und landen demnach weitgehend in entsprechend systematisierter Fremdlenkung durch Massenmedien und Politschauspiel. Durch Grundeinkommen wird der Mensch also nicht einfach so zu guter gesellschaftlicher Wirkung getrieben, sondern er realisiert lediglich die bereits in ihm entwickelten Anlagen. Da der Zustand unseres ‚Bildungssystems‘ nichts mit Bildung, sondern lediglich mit der Allokationsfunktion auf dem Arbeitsmarkt und der Reproduktionsfunktion des etablierten Systems zu tun hat, sind die geförderten Anlagen in den Menschen weitgehend desaströs. Das System förderte Schlafwandler in einer dehumanisierten Gesellschaft. Was sollen Schlafwandler mit dem Grundeinkommen? Sie fallen in einen noch tieferen Schlaf der Bequemlichkeit und Abhängigkeit (also Anpassung) – in ein Koma. Dadurch werden sie noch effektiver als Humanmasse verwaltet werden können.

    Wer darin einen pessimistischen Blick auf den Menschen sieht, irrt sich. Denn es ist meiner Ansicht nach nicht der Mensch per se als ‚faul und schlecht‘ zu bezeichnen. Diese Ansicht vertreten ja einige moderne Vertreter von Klimarettung und Stammtischkritik. Die Machtzentren (im gesellschaftskritischen Sinne) haben die Menschen über eine lange Zeit entsprechend gefördert, so dass man diese Anlagen erst einmal reflektieren und aufräumen muss, bevor man zum wirklich Humanen kommt.

    Die Lösung würde also in einer Bildung liegen, die den Menschen erst zum Menschen macht und gewillt und fähig ist die kritische Sicht auf den gesellschaftlichen Kontext zu lenken und daraus den Menschen ‚herausdestilieren‘!

  2. Brigitte B. sagt am 28. Juli 2022

    Und wo kommt das Grundeinkommen her?

    Wenn alle weniger arbeiten bzw. Hobbies nachgehen, dann werden wenig/keine Steuern gezahlt. Auch würde dies die Masseneinwanderung aus armen Ländern erheblich verstärken. >>> nicht finanzierbar

    • Redaktion Blog Postwachstum sagt am 31. August 2022

      Zur Finanzierung des Grundeinkommens gibt es viele unterschiedliche Berechnungsgrundlagen. Dazu finden Sie hier einige Herangehensweisen.

      Die Frage, wie der Kreis der Anspruchsberechtigten definiert wird, würden wir als zu diskutierende weitere Fragestellung sehen.

      Redaktion Blog Postwachstum

  3. Hier die richtige Definition des Grundeinkommens : „Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Einkommen für alle Menschen, das existenzsichernd ist und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, auf das ein individueller Rechtsanspruch besteht, das ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert wird.
    Das Grundeinkommen soll dazu beitragen, Armut und soziale Notlagen zu beseitigen, den individuellen Freiheitsspielraum zu vergrößern sowie die Ent­wick­lungs­chancen jedes Einzelnen und die soziale und kulturelle Situation im Gemein­wesen nachhaltig zu verbessern. “ Quelle: Netzwerk Grundeinkommen, https://www.grundeinkommen.de/grundeinkommen/idee
    Hier noch ein Hinweis auf die laufenden Europäische Bürgerinitiative Grundeinkommen – http://www.ebi-grundeinkommen.de

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